Dror Zahavi: Schrecken des Holocaust lässt sich nicht inszenieren

Dror Zahavi im Gespräch mit Dieter Kassel |
"Alles, was Sie sich vorstellen können: Es war noch schlimmer". Diesen Satz gab Marcel Reich-Ranicki dem Regisseur Dror Zahavi mit auf den Weg, als der Reich-Ranickis Autobiographie "Mein Leben" verfilmte. Deshalb habe er die Geschehnisse im Ghetto nicht verharmlosen wollen, sagte Zahavi. Um die Schrecken authentisch darzustellen, habe er Originalaufnahmen aus dieser Zeit benutzt, um sie nicht inszenieren zu müssen.
Frank Meyer: Es ist eine Geschichte vom Überleben, die Biographie von Marcel Reich-Ranicki. Eingesperrt im Warschauer Ghetto, versteckt im besetzten Polen - es ist ein Wunder, dass Marcel Reich-Ranicki diese Zeit überlebt hat. Morgen können Sie die Verfilmung seiner Autobiographie bei "arte" sehen.
(…)
Der Literaturpapst hat in einem Zeitungsinterview gesagt, er habe tatsächlich Angst gehabt, als er diesen Film zum ersten Mal in einer Voraufführung zu sehen bekam. Mein Kollege Dieter Kassel hat mit dem Regisseur des Films, mit Dror Zahavi gesprochen und ihn gefragt: Hatten Sie denn auch Angst vor diesem Moment, als Marcel Reich-Ranicki den Film zum ersten Mal zu sehen bekam?

Dror Zahavi: Na, Angst nicht, aber ich war aufgeregt. Ich war aufgeregt natürlich, bei so einem Mann wie Marcel Reich-Ranicki muss man auf alles gefasst sein. Deswegen war ich mir unsicher, war ich mir unsicher, was seine Reaktion anbetrifft, war ich mir aber nicht unsicher, was die Qualität des Films anbetrifft. Deswegen, Angst hatte ich nicht, nein.

Dieter Kassel: Man kann natürlich diese Angst, die er gehabt hat, auch anders verstehen. Es ist sicherlich so gemeint gewesen, unter anderem, wie wir es jetzt beide verstanden haben, nämlich Angst, oh Gott, was ist das für ein Film.

Zahavi: Genauso ist es, ja.

Kassel: Aber es gibt natürlich noch eine andere Angst. Marcel Reich-Ranicki und natürlich auch seine Frau, um die es da auch geht und die auch im Film eine sehr wichtige Rolle spielt, gehen in dem Fall ins Kino - auch wenn es eine Fernsehproduktion ist - und sehen die schrecklichste Zeit ihres eigenen Lebens noch mal. Ranicki sagt auch in diesem neuen Interview in der "FAZ", dass es seiner Frau im Moment nicht gut geht wegen dieses Films, nicht weil er schlecht ist, sondern wahrscheinlich, weil er so echt ist. Muss man daran als Regisseur denken, wenn man das Leben von Menschen verfilmt, die noch am Leben sind, die das selber sehen werden, was man denen zumutet?

Zahavi: Ja, das spielt bestimmt eine Rolle, aber eine sehr, sehr untergeordnete. Im Gegenteil: Ich werde es nie vergessen, meine letzte Begegnung mit Marcel Reich-Ranicki. Bevor die Dreharbeiten anfingen, war ich bei ihm zu Hause mit Matthias Schweighöfer, mit Katharina Schüttler, und wir saßen da zwei Stunden, es war sehr, sehr schön, wir haben über alles geredet.

Und dann sind wir aufgestanden und wollten gehen, und ich habe ihm die Hand gegeben und habe ihn gefragt: Herr Reich-Ranicki, jetzt fangen wir nächste Woche mit den Dreharbeiten an. Was können Sie mir sagen, was ist das Wichtigste für Sie, was können Sie mir mit auf den Weg geben? Und er hat mich angeguckt und hat gesagt einen Satz: Alles, was Sie sich vorstellen können: Es war noch schlimmer.

Und das war eher die Herausforderung für mich als eine Rücksichtnahme auf die Rezeption von Marcel Reich-Ranicki und seine Frau. Ich glaube, es wäre viel schlimmer, wenn er einen Film gesehen hätte, der die Ereignisse im Ghetto verharmlost, als was jetzt passiert ist, dass sie sehr betroffen sind. Meine Verantwortung als Regisseur war, im Namen dieser Millionen von Juden, die umgekommen sind, einen Film zu machen, der diese schreckliche Zeit glaubwürdig und authentisch wiedergibt.

Kassel: Dieser Satz von Reich-Ranicki, "Egal was Sie machen, es war in Wirklichkeit noch schlimmer". War dieser Satz manchmal da bei den Dreharbeiten?

Zahavi: Die ganze Zeit. Das hat mich im Grunde genommen auch, wenn ich ehrlich bin, zu der Schlussfolgerung gebracht, dass ich den Schrecken gar nicht inszenieren möchte. Beim Inszenieren gibt es immer, das ist so ein Spiel immer. Man tut, als ob. Und das wollte ich nicht machen. Und deswegen haben wir, um den Holocaust, um den Schrecken im Ghetto zu zeigen, haben wir Archivmaterial benutzt, um das nicht inszenieren zu müssen.

Kassel: Es gibt noch eine andere Stelle im Film, die Grundperspektive, das haben wir vorhin in dem Beitrag gehört, ist ja ein Verhör, das es nicht gegeben hat, so, in der Realität, aber es ist ja auch ein Spielfilm entstanden. Ein Verhör 1949 in Warschau, als - das wiederum stimmt - Marcel Reich-Ranicki eigentlich in London polnischer Gesandter war. Er wird im Film gleich zu Anfang nach Warschau delegiert und muss sich da diesem Verhör stellen. Und die Geschichte der Deportation seiner Eltern, die erzählt er da nur. War das auch aus den gerade von Ihnen genannten Gründen so eine Entscheidung? Weil zum Beispiel auch Joachim Krol in der Rolle des Vaters mich sehr beeindruckt hat, und ich finde, das ist keine einfache Rolle. Aber diese Entscheidung, die Deportation der Eltern nicht zu zeigen, die einfach erzählen zu lassen, das ist dann auch zeitlich schnell rum. Hatte das was mit dem zu tun, was Sie gerade beschrieben haben?

Zahavi: Auch damit, aber auch mit noch was anderem. Es ist sehr, sehr schwer, heute einen Film über diese Zeit zu machen, denn es sind schon Hunderte, wenn nicht Tausende von Filmen über dieses Thema gemacht worden. Speziell übers Warschauer Ghetto gab's den "Pianisten", gab's "Schindlers Liste", und das ist sehr schwer, in irgendeiner Weise das so zu zeigen, wie man das noch nicht gesehen hat. Deswegen war die Entscheidung bei uns von Anfang an, dass wir versuchen werden, sehr, sehr sachlich zu bleiben, frei von jeglichem Pathos und frei von der manchmal heuchlerischen Mühe, bei dem Zuschauer Tränen zu verursachen.

Dadurch kamen wir zu der Schlussfolgerung, dass es authentischer ist, für mich ist es auch stärker, gerade diese Szene, die unheimlich emotional ist, die unheimlich stark ist, die unheimlich - wenn wir sie gedreht hätten, hätten wir eben auf die Tränendrüse gedrückt - nicht zu zeigen und eben das mit einem ganz, ganz sachlichen, fast unbeteiligten Ton zu sagen. Ich glaube, dass die Wirkung dieser Szene auf diese Art umso stärker ist, als wenn man sie gedreht hätte.

Kassel: Bei mir zumindest war das auch so. Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Dror Zahavi. Er ist der Regisseur des Films "Mein Leben" nach dem Buch von Marcel Reich-Ranicki. Es gibt ja noch eine ganz wesentliche andere Geschichte in dem Buch und auch in Ihrem Film, es ist nicht nur die Geschichte dieser schrecklichen Zeit, es ist nicht nur die Geschichte von verfolgten Menschen, die durch Glück und durch Hilfe anderer - als er dann am Ende mit seiner Frau in diesem Keller versteckt worden von einem polnischen Bauern - überleben, es ist auch eine Liebesgeschichte. War das schwierig, das zu verknüpfen? Denn im Prinzip ist es ja eine fast - und das meine ich nicht abwertend - naive Romantik, die zwischen den beiden ... Ich meine, die leben beide auch noch zusammen, das ist seine jetzige Frau, die er da in Ihrem Film kennengelernt. War das schwierig, das so zu verknüpfen?

Zahavi: Nein, ich glaube, dass Marcel Reich-Ranicki gerade diesen Part in seiner Biografie unheimlich gut wiedergegeben hat. Ich werde es nie vergessen. Ich habe diese Biografie mehrmals gelesen, und jedes Mal, wenn ich das letzte Kapitel, was Tosia gewidmet ist, lese, das ist das kürzeste Kapitel, da erzählt eigentlich nur, wie er in Frankfurt auf dem Balkon den Sonnenuntergang sieht und Tosia ist in der Wohnung, in der Küche, kocht. Und nur diese anderthalb Seiten oder drei Seiten, die da beschrieben sind, sind so stark, dass sie mindestens genauso wichtig sind wie die ganze Biografie.

Und ich glaube, ich habe jetzt wirklich viele, viele Interviews mit Marcel Reich-Ranicki im Zuge dieses Films gehört, ich glaube, dass es wirklich so ist, dass er ohne diese Frau den Holocaust nicht überlebt hätte, genauso wie sie den Holocaust ohne ihn nicht überlebt hätte. Das ist ein Schicksal, was damals 1942 mit der Hochzeit zusammengeknüpft wurde, das nicht zu lösen ist voneinander. Ich hoffe, dass beide noch sehr lange gesund bleiben, denn ich kann mir das nur sehr schwer vorstellen, dass einer von beiden ohne den anderen bleibt.

Kassel: Das wäre jetzt ein schönes Schlusswort, aber ich habe jetzt in unserem Gespräch mit diesem Schlusswort das gleiche Problem, das ich auch dann mit dem Film hatte, ich finde ein wunderbarer Film. Man sollte an dieser Stelle vielleicht auch noch mal sagen, Tosia zu spielen, war bestimmt deshalb schwierig, weil sie sagt quasi nichts in dem Film, sie sagt sehr wenig. Und das ist, glaube ich, in der Realität auch so, dass die echte Teofila Reich-Ranicki, so heißt sie ja offiziell, auch wenig sagt, aber viel damit ausdrückt - ist im Film sehr gut gelungen, finde ich.

Aber der Film endet damit, dass die beiden - da sieht man allerdings nur ihn oder Schweighöfer - in Frankfurt am Main wieder ankommen, 1958, Reich-Ranicki telefoniert aus einer Telefonzelle, und die wenigen Passanten, die man sieht, die werden - das ist ja große Absicht von Ihnen - alle gespielt von Schauspielern, die vorher Nazifunktionäre waren oder zumindest auf der Naziseite standen. Das finde ich sehr spannend, Ranicki sagt auch, fabelhaft, über diese Stelle.

Und dann sieht man das Gebäude der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und weiß, ein paar Wochen später - steht dann auch im Text - schrieb er seine erste Kritik für diese Zeitung. Das finde ich unglaublich spannend, was dann auch ab da passiert ist. Die beiden Verfolgten in der Bundesrepublik damals, diese Karriere. Haben Sie Lust, den Rest sozusagen, 1958 bis sagen wir mal 2005, auch noch zu verfilmen?

Zahavi: (lacht) Das wäre nicht schlecht. Ich hätte Lust schon deswegen, weil diese Arbeit für mich vielleicht die wichtigste in meinem Leben bis jetzt ist, und das will man immer fortsetzen. Ich glaube aber nicht, dass die zweite Hälfte seines Lebens so geeignet ist. Ich glaube, dass man dort eben mit dem Marcel Reich-Ranicki zu tun hat, den man kennt, und dann muss man den Schauspieler lispeln lassen und dann ist es eher eine lustige Geschichte als ein Drama oder eine tragische Geschichte, die wir gemacht haben. Ich weiß, beim WDR bei der Abnahme fiel mal dieses Stichwort, ja, wir machen einen zweiten Teil davon. Ich würde mich freuen, ich glaube das aber nicht.

Kassel: Dror Zahavi, der Regisseur von "Mein Leben", der Verfilmung der Autobiografie von Marcel Reich-Ranicki, im Gespräch mit Dieter Kassel. Dieser Spielfilm "Mein Leben" ist morgen um 21 Uhr bei ARTE zu sehen und am kommenden Mittwoch um 20 Uhr 15 in der ARD.