Einschüchtern, isolieren, zermürben
Betriebsratswahlen werden sabotiert, gewerkschaftsnahe Betriebsräte werden versetzt, sozial isoliert und mit Abmahnungen und Kündigungen überzogen. Das alles geschieht, um Tarif-Initiativen im Keim zu ersticken, um den Einfluss von Gewerkschaften in Unternehmen einzuschränken.
"Sehr geehrter Herr Piezocha, am 31.10.2014 wurden Sie dabei beobachtet, wie Sie über die Hoffläche des Wareneingangs unmittelbar vor den Verladetoren in Richtung Hochregallager gingen. Eine Warnweste trugen Sie dabei nicht. (…) Mit Ihrem Fehlverhalten verstoßen Sie gegen die Arbeitssicherheit."
"Am 09.02.2015 haben Sie 7 Minuten zu spät eingestempelt und 31 Minuten zu früh ausgestempelt. Am 10.02.2015 haben Sie 3 Minuten zu spät eingestempelt und 8 Minuten zu früh ausgestempelt. Am 12.02.2015 haben Sie 2 Minuten zu spät eingestempelt und 1 Minute zu früh …"
"Man fängt an, an sich zu zweifeln, man überlegt sich jeden Schritt doppelt, also man dreht sich manchmal gedanklich im Kreis und kommt nicht voran. Und das vermute ich, dass das bewusst gemacht wird. Man versucht mich abseits zu stellen, ja."
"Erhebt ein Arbeitnehmer den Vorwurf, er werde durch die Geschäftsführung gemobbt, bedeutet das, dass er den (einzigen) Geschäftsführer eines der gröbsten Verstöße im Arbeitsverhältnis, die denkbar sind, bezichtigt. Dieser Vorwurf stellt eine so schwere Belastung des Arbeitsverhältnisses her, dass für die Zukunft mit einer gedeihlichen Zusammenarbeit nicht mehr zu rechnen ist."
"Mein Name ist Andreas Piezocha, ich bin 43 Jahre alt und ich bin Lagerarbeiter bei der Firma KiK in Bönen. Ich bearbeite zurzeit die reinkommenden Retouren. Wir schauen auf die EAN-Code, was in den Retouren drinnen sein müsste, zählen dann diese und dann werden die wieder natürlich eingelagert. Man arbeitet auch mit Maschinen, auch natürlich mit Staplern. Ich habe auch einen Staplerschein, also ich bin auch Staplerfahrer."
Andreas Piezocha arbeitet seit 2010 als Lagerarbeiter im Zentrallager des Textildiscounters KiK in Bönen. Von hier aus gelangen die Waren zu den KiK-Filialen. 2013 lässt sich Piezocha ein Zwischenzeugnis ausstellen:
"Ehrlichkeit, Fleiß und Pünktlichkeit sind für Herrn Piezocha selbstverständlich. Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen ist jederzeit einwandfrei."
2014 wird Piezocha in den Betriebsrat gewählt - und seitdem mit Abmahnungen überzogen. KiK beantwortet Fragen dazu schriftlich. Zusammenhänge zwischen der Betriebsratstätigkeit von Piezocha und den Abmahnungen gegen ihn bestehen demnach nicht:
"Wie in allen Unternehmen, müssen sich auch unsere Mitarbeiter an gewisse Regeln halten, anderenfalls müssen sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Dies gilt natürlich ebenfalls für Mitarbeiter, die Mitglieder im Betriebsrat sind."
"Der Gesamteindruck drängt sich dahin auf, dass eine Strategie dahinter steckt, den Betriebsrat soweit zu zermürben, dass er keine ernstlichen Widerstände mehr leistet zur Interessenvertretung der Arbeitgeberseite."
Wolfgang Schulze-Allen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, vertritt den Betriebsrat bei KiK Logistik seit seiner Neu-Konstituierung im Jahr 2014. Eigentlich sollte der Anwalt dieses Mandat bereits 2010 übernehmen. Damals wurde der Betriebsrat gegründet. Doch dann wechselten die Mehrheitsverhältnisse innerhalb des Gremiums:
"Es gab viele Fragen in diesem Zusammenhang, wie es zu diesen Mehrheitsverhältnissen gekommen ist. Fakten dazu lassen sich nicht verifizieren."
Es erfolgte dann der Beschluss: Der Betriebsrat wollte sich nun nicht mehr durch einen Anwalt vertreten lassen. In der Folgezeit schließt der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit ab. Der 2014 neu gewählte Betriebsrat lässt diese gerichtlich anfechten:
"Das Ergebnis war, dass das Arbeitsgericht uns Recht gegeben hat, die alte Betriebsvereinbarung "Arbeitszeit" ist vom Arbeitsgericht für unwirksam erklärt worden, weil der Betriebsrat praktisch alle wesentlichen Entscheidungsrechte auf den Arbeitgeber übertragen hatte."
Piezocha: "Und das wollten wir natürlich besser machen. Wir wollten uns dafür einstellen, die Arbeitsbedingungen für die Kollegen zu verbessern."
Schulze-Allen: "Der Betriebsrat ist ganz überwiegend gewerkschaftlich organisiert. Jedenfalls aber auch in der Wahrnehmung durch den Arbeitgeber hat sich rausgestellt, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat offensichtlich als Gewerkschaftsorgan angesehen hat, weil die gewerkschaftlich organisierte Belegschaft wünschte den Abschluss eines Tarifvertrages, was von KiK prinzipiell abgelehnt wurde. Das hat zu einer gewissen Erbitterung bei der Belegschaft geführt, die Löhne waren recht niedrig."
Piezocha: "Mittlerweile verdienen wir ja 1850,- brutto, aber ein Tarifeinzelhandelsvertrag beinhaltet 2106,- € nach meinem Stand. Und natürlich die Arbeitszeit: Das sind 37,5 Stunden-Woche, nicht 40 Stunden-Woche, wie jetzt."
Schulze-Allen: "Und es ist dann zu Arbeitskampfmaßnahmen gekommen, zu einer ganzen Reihe von Verdi organisierten Streiks, die bei KiK wohl bis dahin noch nicht vorgekommen waren und denen man mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegnen wollte."
Piezocha: "Es ist den Kollegen, die nicht gestreikt haben, eine Nicht-Streik-Prämie gezahlt worden von 20 Euro."
Sprecherin, den gezielt beförderten Streikbruch wegwischend:
"Durch die Streiks ist es bei den nicht-streikenden Mitarbeitern zu einer erhöhten Arbeitsbelastung gekommen. Dies haben wir durch eine Sonderzahlung honoriert."
"Durch die Streiks ist es bei den nicht-streikenden Mitarbeitern zu einer erhöhten Arbeitsbelastung gekommen. Dies haben wir durch eine Sonderzahlung honoriert."
Schulze-Allen: "… und man hat versucht, die fehlenden Streikteilnehmer durch Werkvertragsbeschäftigte von außen zu ersetzen."
Sprecherin: "Saisonbedingt arbeiten wir seit langer Zeit mit Personaldienstleistern zusammen, die uns auch während der Streikphasen intensiv unterstützt haben."
Die Arbeitskämpfe sind bislang ergebnislos verlaufen. Weiterhin gibt es keinen Tarifvertrag. - Und Betriebsratsmitglied Andreas Piezocha steckt mittlerweile in zweiter Instanz in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren. Erstinstanzlich bekam KiK vom Arbeitsgericht Dortmund Recht:
"Es war so in den ersten Streiks, natürlich war die Presse da, und dann hieß es, wir müssen jemand vom Betriebsrat sprechen, ist jemand da, der sich artikulieren kann. Und wir haben auch einige Kollegen, die einen Migrationshintergrund haben, wo die Sprache rhetorisch nicht mehr so begabt ist, sage ich mal. Und dann hieß es auch, wo ist denn der Andreas, schickt mal den Andreas dahin. Und dann habe ich mich halt hingestellt und habe auch Interviews gegeben. Und dadurch bin ich dann in den Fokus geraten."
Was passiert da eigentlich bei KiK? Ist es nicht normal, dass Kapital und Arbeit einander auch mal mit harten Bandagen bekämpfen? Elmar Wigand, Journalist, Aktivist und Sozialforscher, glaubt jedenfalls, dass sich Fälle von "Arbeitsunrecht", wie er das nennt, häufen:
"Freunde von mir wollten einen Betriebsrat gründen in einer Einzelhandelskette, und ich hab die da unterstützt, versucht zu unterstützen. Die sind grandios gescheitert. Da wurden also Methoden angewandt, also, Leute dann zusammenzurufen zu Belegschaftsversammlungen nach der Arbeit und die dann einzunorden, zusammenzufalten, zurechtzukneten. Da flossen dann Tränen und so weiter. Und irgendwann wurden die Betriebsratsgründer so unter Druck gesetzt, dass sie die Gründung abgeblasen haben."
Zusammen mit seinem Kollegen Werner Rügemer beginnt Wigand bundesweit zu recherchieren, für eine Studie im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung der Gewerkschaft IG Metall zum Thema "Union Busting". Dabei handelt es sich um rabiate Methoden der Gewerkschaftsbekämpfung in Unternehmen, wie sie in den USA schon lange bekannt sind. In Deutschland richteten sich Zersetzung und Zermürbung vor allem gegen Betriebsrats-Mitglieder, die auch gewerkschaftlich "geschult" organisiert seien, sagt Elmar Wigand - und dies, während die vielgepriesene "Sozialpartnerschaft" zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erodiere.
"Ab Anfang der neunziger Jahre setzt also eine riesige Welle der Tarifflucht in Deutschland ein. Es sind jetzt in Deutschland momentan ungefähr 42 Prozent der Beschäftigten nur noch von Tarifverträgen erfasst. Ich sprech‘ da immer von der dunklen Seite des Mondes, und der Mond ist auch noch ein abnehmender Mond. Das heißt, wir sehen nur einen Teil, und wir vergessen irgendwie, dass dahinter noch ein ganz großer anderer Bereich liegt."
"Hallo und Willkommen zu "Legends of Honor". Heute arbeiten wir an euren diplomatischen Fähigkeiten, indem wir uns für eine Fraktion entscheiden und Allianzen bilden."
Der Hamburger Computerspiele-Hersteller "Goodgame Studios" gehört zu einer jungen Branche, in denen es die alten Mitbestimmungs-Normen schwer haben. Im IT-Bereich arbeiten hochqualifizierte, selbstbestimmte Fachkräfte und handeln ihren Lohn individuell aus.
"Ich weiß, das wird auch immer zitiert, in der Games-Branche wird nicht so gut bezahlt. Ich bin aber der Meinung, dass, wenn diese immensen Gewinne eingefahren werden - ich glaub‘, für 2014 gab’s einen Gewinn von 35 Millionen - ja, da fragt man sich halt, ob es nicht möglich wäre, die Mitarbeiter ein bisschen besser zu bezahlen."
Tim Behr, das ist ein Pseudonym, ist Anfang Dreißig, studierter Informatiker und mittlerweile gekündigter Spiele-Entwickler bei Goodgame. Sein eigenes Gehalt, das bei circa 2500 Euro brutto liegt, findet er "okay". Aber dann berichtet er zum Beispiel von der Abteilung Qualitätssicherung:
"Ich weiß, dass vor Einführung des Mindestlohns, haben da viele unter dem Mindestlohn quasi verdient, und dann, als der Mindestlohn eingeführt wurde, wurden die Gehälter da massiv quasi angehoben. Und da gab’s halt auch ganz rigide Methoden, da wurde drauf geguckt, wann, wie die aufs Klo gehen, wenn die in die Küche gehen, um sich ‘n Getränk zu holen, wie lange die da in der Küche sind und solche Dinge. Da hab‘ ich große Augen bekommen, wie unterschiedlich die Menschen im selben Unternehmen behandelt werden."
Sprecherin: "Wir haben Anfang 2015 unsere Qualitätssicherung grundlegend umstrukturiert und professionalisiert."
… aus einer schriftlichen Stellungnahme von Goodgame Studios zu den Vorwürfen gegen den Spiele-Produzenten:
"Im Zuge dessen wurden geringfügige Beschäftigungsverhältnisse von zum Beispiel Praktikanten zugunsten von regulären Arbeitsverhältnissen ersetzt. Entsprechend stieg auch das Lohnniveau. Eine unverhältnismäßig strenge Erfassung der Arbeitszeiten oder Beschwerden dahingehend über die dafür vorgesehenen feedback-Kanäle sind uns nicht bekannt."
Mitarbeiter beklagen, ihre Anregungen etwa zur Spiele-Entwicklung würden kaum aufgegriffen, in erster Linie zähle für Goodgame die Profitmaximierung. Außerdem gebe es entgegen der Selbstdarstellung des Unternehmens sehr straffe Hierarchien. Eine Menge Unzufriedenheit staut sich also auf. Tim Behr und vierzehn weitere Kollegen schieben eine Betriebsratsgründung an.
"Von einer allgemeinen Unzufriedenheit unserer Mitarbeiter kann keine Rede sein. Eine von Mitarbeitern initiierte Befragung im Unternehmen, an der knapp zwei Drittel teilgenommen haben, zeichnet ein anderes Bild. Hier schneiden insbesondere auch die Bereiche ‚Vorgesetzte‘, ‚Benefits‘ und ‚Unternehmenskultur‘ überdurchschnittlich gut ab."
Goodgame-Video: "Die Wahl eurer Fraktion entscheidet über die Allianzen, denen ihr beitreten könnt."
Tim Behr und seine Mitstreiter brauchen Beratung für ihr Vorhaben Betriebsratsgründung. Sie wenden sich im Herbst 2015 an die zuständige Hamburger Gewerkschaftssekretärin von ver.di, Gaby Weinrich-Borg.
"Weil dieses Thema in dieser Firma überhaupt nicht platziert ist und auch wenig bekannt, was das bedeutet, haben wir darüber gesprochen mit den Kollegen, dass wir einen Flyer entwerfen, in dem wir sozusagen mal darstellen, was ist ein Betriebsrat, was kann ein Betriebsrat, was soll ein Betriebsrat, sozusagen unter diesem Motto. Und wir hatten unter anderem im November, am 23. November, uns vereinbart, vor dem Gebäude mal zu treffen, um zu gucken, wo und wie verteilen wir denn diesen Flyer dann. Und dann war das Ergebnis, als ich dahin kam: Mittags um zwölf, genau zu dieser Uhrzeit, standen zwanzig Personen vor der Tür, und ihnen ist an diesem Tag die Kündigung ausgesprochen worden. Ich saß gegen 10.30 Uhr an meinem Arbeitsplatz, und dann stand plötzlich mein Chef-Chef sozusagen, also der Vorgesetzte meines Vorgesetzten vor mir und meinte, ich solle meine persönlichen Sachen zusammenpacken und mit ihm in einen Meeting-Raum kommen, und da wurde mir dann nur lapidar mitgeteilt, dass ich aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werde."
Insgesamt achtundzwanzig Mitarbeitern kündigt Goodgame an diesem Tag. Darunter sind die fünfzehn Angestellten, die sich für einen Betriebsrat einsetzen und am Mittag mit Gaby Weinrich-Borg von ver.di verabredet sind.
Diese Kollegen haben sich immer über ein internes Chat-Programm über ihre Pläne ausgetauscht. Hat das Goodgame-Management mitgelesen?
Sprecherin: "Das von uns für die interne Kommunikation genutzte Chat-Programm Slack ist eine international weitverbreitete Software (…) Die von uns genutzte Version bietet keine Zugriffsmöglichkeiten auf die Inhalte von Unterhaltungen."
Goodgame-Video: "Bedenkt bitte, dass das Wechseln eurer Fraktion nicht zu verachtende Folgen hat. Ihr werdet aus eurer Allianz entfernt und verliert alle eure gesammelten Ehren-Punkte."
Tim Behr ist von der Arbeit freigestellt. Solange seine Kündigungsfrist aber noch läuft und er formal dem Unternehmen angehört, wirbt er weiter für einen Betriebsrat. Doch nach den Kündigungen seien viele Kollegen eingeschüchtert gewesen, berichtet Behr.
Sprecherin: "Die Geschäftsführung hat bei unterschiedlichen Gelegenheiten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie den Willen der Mitarbeiter bezüglich einer Arbeitnehmervertretung selbstverständlich respektieren wird."
Am 19. Januar dieses Jahres findet doch noch eine Betriebsversammlung zur Einberufung eines Wahlvorstandes für den Betriebsrat statt. Zu mehr als sechzig Prozent sprechen sich die Anwesenden auf der Versammlung allerdings gegen einen Betriebsrat aus. Stattdessen wird seitdem eine alternative "Mitarbeitervertretung" im Unternehmen angestrebt. Tim Behr und die anderen Betriebsrats-Initiatoren sind zum Zeitpunkt der Betriebsversammlung bereits arbeitslos. Sie haben ein Kündigungsschutz-Verfahren angestrengt, das bisher noch nicht entschieden ist.
Piezocha: "Es ist sehr frustrierend, ja. Manchmal sitzt man allein zu Hause und überlegt, ja, da kamen mir schon manchmal die Tränen, aber aufgeben geht nicht."
Auch KiK-Lagerarbeiter Andreas Piezocha droht die Kündigung: Anfang 2015 beantwortet er einem Interview Fragen zu seiner Betriebsratstätigkeit, zu Arbeitsbedingungen, Löhnen und den Auseinandersetzungen um einen Tarifvertrag. Er wirft KiK "Lohndumping" vor, spricht auch von "Mobbing" und erzählt, dass die KiK-Geschäftsführung die Kanzlei Schreiner und Partner beauftragt habe, "massiv" gegen den Betriebsrat vorzugehen. Er selbst habe seit seinem Eintritt in den Betriebsrat bereits 11 Abmahnungen erhalten. KiK reagiert:
Sprecherin: "Wir beabsichtigen, das mit Herrn Andreas Piezocha (…) bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos zu kündigen (...). (…). Auf der Internetseite der Partei "Die Linke" (Betrieb und Gewerkschaft) wurde (…) ein Interview mit Herrn Piezocha veröffentlicht, welches auf der einen Seite falsche Tatsachenbehauptungen (…) enthält und auf der anderen Seite beleidigende Äußerungen (…)."
Doch als Betriebsratsmitglied genießt Piezocha einen besonderen Kündigungsschutz. Sein Arbeitgeber benötigt die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung. Als der Betriebsrat diese verweigert, wendet sich KiK an das zuständige Arbeitsgericht und beantragt, die fehlende Zustimmung "ersetzen" zu lassen – mit Erfolg. Das Gericht stimmt der Kündigung zu.
Sprecherin: "Das Arbeitsgericht Dortmund hat am 2. September 2015 die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung ersetzt."
Schulze-Allen: "Die Begründung, die das Arbeitsgericht Dortmund für die Zustimmungsersetzung gegeben hat, lag im Wesentlichen darin, dass gesagt wurde, Herr Piezocha habe hinsichtlich der Verdienste ungenaue Angaben gemacht. Darin sei eine gegenüber dem Arbeitgeber nicht zu tolerierende Missachtung seiner Interessen zum Ausdruck gekommen, was man glaubte darin bestätigt zu sehen, dass Herr Piezocha auf seiner Facebook-Seite ein Bild veröffentlicht hatte, in dem KiK als "Ramschrampe" bezeichnet worden war."
Sprecherin: "Durch das Posten des Bildes auf der Facebook-Seite stellt sich der Beteiligte hinter die Aussage: ‚Ach, KiK dich doch selbst ins Knie, du Ramschrampe!‘"
Schulze-Allen: "Eine Sache, die man eher als einen nicht ganz gelungenen Jux subsumieren würde. Hier wurde sie aber vom Arbeitsgericht sehr viel ernster genommen, wie ich meine, unzulässiger Weise. Es handelte sich um eine private Veröffentlichung, auf einer privaten Facebook-Seite. Und das wird man sicher zu betrachten haben, inwieweit diese Veröffentlichung denn dann noch für eine Rolle gespielt haben könnte."
Sprecherin: "Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass unrichtige Tatsachenbehauptungen und ehrverletzende Äußerungen dem Gebot zur Rücksichtnahme widersprächen. Durch den wiederholten Verstoß gegen dieses Gebot sei auch für die Zukunft nicht von einem vertragsgemäßen Verhalten des Betriebsratsmitglieds auszugehen."
Schulze-Allen: "Diese Entscheidung ist aber nicht rechtskräftig geworden bislang, sondern das Verfahren befindet sich jetzt in der Beschwerdeinstanz beim Landesarbeitsgericht Hamm. Insofern ist hier also noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die Verhandlung beim Landesarbeitsgerichts ist am 15. April."
Sprecherin: "Effektive Strategien im Umgang mit schwierigen Betriebsräten. So reagieren Sie richtig auf blockierende, übereifrige oder fremdgesteuerte Betriebsräte".
So und ähnlich lauten Seminar-Angebote auf der Webseite der Kanzlei Schreiner und Partner, die auch KiK gegen Andreas Piezocha vertritt.Stehen solche Veranstaltungen für Arbeitgeber im Widerspruch zum Betriebsverfassungsgesetz, in dem die Rechte der Arbeitnehmervertretungen geregelt sind? Diesen Verdacht weist die Kanzlei auf unsere Anfrage schriftlich zurück. Mandanten und Seminarteilnehmern empfehle man, möglichst einvernehmliche Lösungen zu suchen.
"Grenzen des Betriebsrats. So weisen Sie ihren Betriebsrat in die Schranken".
Für Sozialforscher Elmar Wigand ist rechtliche Beratung und Vertretung nur die eine Seite, wenn sich Arbeitgeber bei Auseinandersetzungen mit ihren Arbeitnehmervertretern robuste Anwälte oder auch Unternehmensberater ins Boot holten …
Wigand: "Die arbeiten aber gleichzeitig auch an der Bearbeitung der Belegschaft, gründen gelbe Belegschaftsinitiativen, Anti-Betriebsratsgruppen. Also, wir nennen das Kunstrasengruppen. Also, im Gegensatz zu Graswurzelgruppen, die von sich aus entstehen, Bürgerinitiativen oder Gewerkschaften, sind das halt künstlich erzeugte Gruppen …"
… und die können durchaus einen ganzen Betrieb umkrempeln.
Mai 2015. Erstes Treffen mit – nennen wir ihn: Olaf Kaufmann. Die Regale an seiner Wohnzimmerwand sind bis oben hin voll mit DVDs. Die Filme sind sein Refugium, der Ausgleich zu seiner Arbeit. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich in einem privat geführten Altersheim in Niedersachsen als "Seelenpfleger". Er begleitet die Bewohner durch den Alltag, soll sie bei den Mahlzeiten unterstützen, ihnen zuhören. Außerdem ist er aktiv im Betriebsrat des Heims.
Kaufmann: "Es gibt in diesem Haus einen Berater, der im Prinzip die Strippen zieht. Und der hat sehr eindeutige politisch-ideologische Ansichten. Die ganz grundsätzliche Haltung, dass man keine Gewerkschaft benötigt, dass man keinen Tarifvertrag benötigt. Die ganz grundsätzliche Haltung, dass man keinen Betriebsrat benötigt."
Der Berater droht schon mal damit, nur dann Weihnachtsgeld zu zahlen, wenn die Belegschaft den Betriebsrat abwähle - nachdem das Gremium der Staffelung der Extrazahlung widersprochen hatte. Denn wer mehr als vier Tage im Jahr krankgeschrieben war, sollte nichts bekommen. Dann verlassen zwei Betriebsrats-Mitglieder Ende 2014 das Unternehmen. Neuwahlen stehen an, und der Berater lädt Mitarbeiter zu Einzelgesprächen - auch Olaf Kaufmann.
Kaufmann: "In diesem Gespräch hat dieser Herr nur mir zu erkennen gegeben, dass er diese Art der Betriebsratsarbeit, die wir bisher praktiziert haben, dass ihn das nur Geld kostet und dass ihm das missfällt. Er hat das Gespräch abgeschlossen mit der Aussage: "wir werden uns nicht mehr oft sehen".
Zugleich rekrutiert ein Assistent der Heimleitung - bekannt als "die rechte Hand des Beraters" - im Betrieb Kandidaten für zwei "gelbe", das heißt vom Arbeitgeber gesteuerte Listen, unter seltsamen Umständen, wie Olaf Kaufmann von betroffenen Kollegen hört.
Kaufmann: "Kurz vorm Feierabend, kurz vorm Wochenende, freitags, die müssten da noch mal schnell unterschreiben, damit sie denn auch bei der Wahl dabei seien. Mitarbeiter, die nicht wussten, wie das funktioniert mit den verschiedenen Listen und dass es einen Unterschied macht, wo man nun draufsteht."
Sprecherin: "Der aktuelle Betriebsrat denkt nur an sich selbst. Wir kämpfen für alle Mitarbeiter! Eure Stimme für Wahlliste Zwei."
Die Arbeitgeber-Listen gewinnen bei der Wahl im März 2015 die Mehrheit. Olaf Kaufmann zieht wieder für die gewerkschaftsnahe Liste in den Betriebsrat ein - zusammen mit einem Kollegen, dem alten Vorsitzenden. Diesem wird bald nach der Wahl fristlos gekündigt, und mit der "gelben" Mehrheit stimmt der Betriebsrat dem zu. Die Begründung der Heimleitung:
Sprecherin: "Er gibt zwar an einigen Tagen an, Betriebsratsarbeit verrichtet zu haben […] An den oben genannten Tagen hat er jedoch seinen Dienstbeginn nicht korrigiert. Insofern gehen wir von Vorsatz aus."
Kaufmann: "Man hat einfach irgendwas gesucht. Im Prinzip ist der Arbeitsplatz ein Minenfeld, und du kannst jederzeit auf eine Mine treten."
Weder die Heimleitung noch der Berater sind zu einem Interview oder einer schriftlichen Stellungnahme zu den Vorwürfen bereit.
Zweites Treffen mit Olaf Kaufmann im März 2016. Inzwischen hat er gekündigt und eine andere Arbeitsstelle gefunden. Er erzählt, dass die Heimleitung im Sommer 2015 das Betriebsrats-Büro ausräumt, um es in ein Bewohner-Zimmer umzuwandeln. Eingeweiht sind nur einige Betriebsrats-Mitglieder, nicht aber Olaf Kaufmann. Für ihn ein Vertrauensbruch. Schließlich führen erhebliche Unstimmigkeiten bei seiner Einteilung im Dienstplan zu Kaufmanns Entschluss zu kündigen. Resümee:
Kaufmann: "Ich hab‘ sehr genau jetzt mal am eigenen Leib erfahren, dass das Betriebsverfassungsgesetz das Papier nicht wert ist, auf dem es steht. Denn letztendlich, sobald du dich wirklich engagierst, da schießt du dir selber ins Bein. Du verkackst dir deinen Arbeitsplatz."
Piezocha: "Ich hoffe immer noch, dass wir irgendwann mal auf einen grünen Zweig kommen und was für die Kollegen erreichen können, dass es nicht nur immer vor Gericht geht und mit Abmahnungen und Anträgen auf fristlose Kündigungen. Weil letztendlich geht es nicht um mich und es geht nicht um die Geschäftsführung, sondern für mich geht es um die Belegschaft und die Kollegen, die uns gewählt haben, die mir morgens die Hand geben."
Noch steht die Verhandlung zur Kündigung von KiK-Lagerarbeiter Andreas Piezocha vor dem Landesarbeitsgericht Hamm aus. Doch was wird Piezocha zukünftig erwarten, sollte er seinen Job und damit auch sein Amt als Betriebsrat tatsächlich behalten können? – KiK hat seine Absicht, Andreas Piezocha zu kündigen, untermauert und weitere Kündigungsanträge vorgelegt.
Schulze-Allen: "Der Betriebsrat hat die Zustimmung verweigert gegenüber den sechs Anträgen auf Zustimmung, die von der Arbeitgeberseite im Laufe der folgenden Monate dann noch nachgeschoben worden sind. Teilweise mit Begründungen bei denen man sich fragt, soll denn nun wirklich jede Absurdität zum Kündigungsgrund gemacht werden."
Piezocha: "Ich hatte im Rahmen eines Interviews gesagt, ich hätte mehrere Kündigungen bekommen. Dabei sind es ja nur Anträge beim Betriebsrat auf fristlose Kündigung."
Sprecherin: "Durch die falsche Tatsachenbehauptung wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, die Beteiligte (…) spreche rechtswidrige Kündigungen aus, ohne die erforderliche Zustimmung des Beteiligten (…) eingeholt zu haben."
Schulze-Allen: "Es ist offenkundig, die Arbeitgeberseite sucht jeden Grund, sich von Herrn Piezocha zu trennen. Nun haben wir hier erfreulicherweise die Situation, dass Herr Piezocha sehr gefasst auf die Situation reagiert hat. Das gibt sicher viele Beispiele dafür, aber es gibt auch viele Beispiele in denen Betriebsräte einem solchen Dauerdruck nicht standhalten und irgendwann freiwillig gehen."
Piezocha: "Das wäre der leichtere Weg natürlich, ich könnte einen neuen Job finden. Nein, aber ich kann diesen leichteren Weg nicht gehen. Die Kollegen haben mich gewählt und die erwarten von mir, dass ich mich für sie einsetze, und darum geht es mir auch, dass ich das auch tue."