Dschihadisten-Netzwerke

Geldgeber des Terrors aus Süddeutschland

11:14 Minuten
Im Vordergrund sind auf dem Symbolbild Münztürme zu sehen, auf denen eine Banknote liegt. Im Hintergrund ist ein Schatten eines Maschinengewehrs zu sehen. Auf den ersten Blick scheint der MG-Schatten der Schattev der Münztürme und der Banknote zu sein.
Das Mitglied einer Gruppe schreibt einem verdeckten Verfassungsschützer: "Warum machst du keinen Aufruf in den sozialen Medien und schreibst: Eine Schwester braucht Unterstützung.“ © imago / Fotosearch / Dimjul
Von Joseph Röhmel |
Audio herunterladen
Dschihadisten aus Süddeutschland kämpfen für islamistische Terrorgruppen wie Al Kaida in Syrien und im Irak. Sie sind gleichzeitig wichtig für die Finanzierung des Terrornetzwerks, denn sie werben in verschiedenen Kanälen um Spenden.
Hunderte deutscher Dschihadisten sind seit 2012 nach Syrien und in den Irak ausgereist. Sie kommen zum Beispiel aus Bayern, aus Baden-Württemberg, aus Berlin oder Nordrhein-Westfalen.
Im Messengerdienst Telegram verbreiten sie die Propaganda-Botschaften ihrer Führer. Darin geht es zum Beispiel um die sogenannten Kuffar, die Ungläubigen aus dem Westen.

Gruppen mit Al Kaida-Nähe

„Unter den Muslimen gibt es einige, die für die Kuffar wie Hunde arbeiten", heißt es in einem Propagandavideo. "Denn sie hetzen sie gegen uns auf. Und machen alles, was die Kuffar ihnen befehlen.“    

Die Propagandisten aus diesen Videos kämpfen nicht für den Islamischen Staat (IS), der inzwischen militärisch zerschlagen wurde. Sie kämpfen für Gruppen, die sich teilweise einem Konkurrenten des IS verbunden fühlen: dem altbekannten Terrornetzwerk Al Kaida. Das sagt der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
„Da gibt es tatsächlich einige, die das in den letzten Jahren gemacht haben, die sich zu Al Kaida bekannt haben und wie Al Kaida vorgegangen sind und die auch Al Kaida-Personal in ihren Reihen hatten", erklärt Steinberg, "Die Al Kaida-Führung ist schon 2013 dazu übergegangen, wichtige Funktionäre aus Afghanistan, aus Pakistan und aus dem Iran nach Syrien zu schicken.“

Auffällig viele Kämpfer aus Bayern

Diese Gruppen abseits des IS halten sich insbesondere im Nordwesten Syriens im Gouvernement Idlib auf. Hauptakteur sei die sogenannte HTS, die Hayat Tahrir al Sham, sagt Guido Steinberg: „Es gab in den letzten Jahren so etwa 60 bis 100 Deutsche, die sich im Umfeld der HTS aufgehalten haben. Da muss man nun davon ausgehen, dass einige von denen tot sind.“
Steinberg fährt fort: „Es ist schon auffällig, dass unter diesen paar Dutzend Kämpfern, die sich in den letzten Jahren zur HTS und zu anderen Gruppierungen in ihrem Umfeld begeben haben, besonders viele junge Leute aus Bayern sind. Das betrifft die Stadt Augsburg, das betrifft aber auch Franken, die Oberpfalz und die Stadt München.“

Radikalisierung im Raum Augsburg

Warum das so ist, darauf gibt es bisher keine Antwort. Wir forschen nach und stoßen auf eine Gruppe aus dem Raum Augsburg, eine Handvoll junger Männer. 2016 radikalisieren sie sich gegenseitig und tauschen Chatnachrichten aus.
Ermittler können später diese Chats auswerten. Dabei finden sie auch dschihadistische Literatur. Ein Buchtitel lautet „Selbstmordattentate.“ Außerdem hetzt die Gruppe in ihren Chats gegen von ihr sogenannte Ungläubige: „Die Kuffar müssen gehasst werden.“

Ausreise nach Syrien

Diese Dschihadisten treffen sich auch zum gemeinsamen Sport. Unter ihnen Mehmet Ö., der 2016 einen deutschlandweit bekannten Salafisten-Prediger zu sich nach Hause einlädt. Wenig später wird Ö. nach Syrien ausreisen. 2021 soll er getötet worden sein.
Ein anderes Mitglied der Augsburger Gruppe namens Mohamed K. ist dagegen bis heute aktiv. Erst kürzlich hat er sich bei Telegram mit einer Audiobotschaft zu Wort gemeldet: „So eine Sache macht man nur aus Überzeugung", sagt er da. "Weil die Leute, die das nicht aus Überzeugung gemacht haben, die sind nach kurzer Zeit wieder abgehauen und sind jetzt in den Gefängnissen oder im Verfassungsschutz-Programm.“
2016 soll Mohamed K. nach Syrien zum Kämpfen gegangen sein. Davon geht der Bayerische Verfassungsschutz aus, der ihn ausspioniert hat.

Dschihadisten im Telegram-Chat

Bei Telegram gaben sich Verfassungsschutzmitarbeiter als Szeneangehörige aus. Nichtsahnend hat Mohamed K. ausgepackt. Auszüge der Kommunikation liegen Deutschlandfunk Kultur vor.
Die Gespräche gehen über mehrere Monate. Zum Beispiel macht Mohamed K. deutlich, er sei Anhänger von Al Kaida. „Allah hat mich geleitet. Alle großen Gelehrten und Dschihad-Führer waren bei Al Kaida.“  
Immer wieder zeigen sich Dschihadisten auf Telegram beim Trainieren. Auch Mohamed K. soll solche Videos via Social Media veröffentlicht haben.

Werben um Geld

In Syrien, an der Front, hat der Dschihadist seine alten Kontakte nach Bayern offenbar nicht vergessen. Vor allem, wenn es um Geld geht. Auf Telegram soll er zum Beispiel eine Anleitung geteilt haben, wie man mit der Kryptowährung Bitcoin Spenden nach Syrien überweisen kann. Denn Dschihadisten brauchen Geld für Lebensmittel, Nachtsichtgeräte und Waffen, oder um Rekruten nach Syrien zu locken.
So schreibt Mohamed K. dem Fakeprofil des Bayerischen Verfassungsschutzes: „Warum machst du keinen Aufruf in den sozialen Medien und schreibst: Eine Schwester braucht Unterstützung?"  

Weitverzweigtes Netzwerk in Deutschland

Mohammed K. ist also ganz offensichtlich nicht nur als Kämpfer in Syrien. Er ist außerdem Teil eines Netzwerks, das auf unterschiedliche Weise von Deutschland aus Geld ins Kriegsgebiet liefert beziehungsweise liefern lässt.
Dieses Netzwerk ist weitverzweigt: Spuren führen nach Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, auch eine dänische Hilfsorganisation soll verstrickt sein.

Finanzkanäle der Dschihadisten

Benno Köpfer leitet die Abteilung islamistischer Extremismus und Terrorismus beim Verfassungsschutz Baden-Württemberg. Zum Netzwerk kann er nichts sagen, weil aktuell Verfahren laufen. Ganz allgemein spricht er über die Finanzkanäle der Dschihadisten:
„Ganz banal: Kleine Spenden werden gesammelt im Freundeskreis. Und aus diesen kleinen Spenden werden vier- bis fünfstellige Beträge", erklärt Köpfer. Die würden dann über Finanzmittler via Türkei häufig nach Syrien transferiert. Daneben gebe es andere Systeme.
"Hawala ist, denke ich, ein Begriff: Analog zu Westernunion gehe ich zu einem Gewährsmann, händige das Bargeld aus. Und mit einem entsprechenden Passwort bekommt dann auf der Gegenseite am anderen Ende der Welt wieder jemand dieses Geld ausgehändigt.“
Neben Mohammed K. war auch Marco W. aus Nordrhein-Westfalen Teil des Netzwerks der Terrorfinanzierer für Dschihadisten in Syrien.
„So erhalte diese Belohnung von Allah, indem du einen Kämpfer ausstattest oder spendest, wenn du schon nicht selber zum Dschihad kommst: ein Anzug: 40 Euro, eine Waffe: 1000 Euro.“

Zieladresse: Ein Deutsch-Türke in Istanbul

Solche Botschaften hat Marco W. auf Telegram verbreitet. Inzwischen soll er ums Leben gekommen sein. Aber in dem Messengerdienst sind seine Propagandabotschaften noch immer zu finden. Noch 2018 verkündet Marco W., dass Spendengelder postalisch per Einschreiben transferiert werden könnten.
Als Zieladresse nennt er eine Anschrift in der Türkei. Es ist die Adresse eines aus Ulm stammenden Deutsch-Türken. Dieser Mann und ein mutmaßlicher Komplize müssen sich seit Herbst 2021 in Stuttgart vor dem Oberlandesgericht verantworten.
“Den Angeklagten wird vorgeworfen, dass sie eigenes Geld und Spenden mehrfach an Dschihadisten in Nordwest-Syrien weitergeleitet haben sollen", sagt Gerichtssprecher Matthias Merz. "Insgesamt geht es laut Anklage um rund 15.000 Euro.“

Die Rolle von Abu Fahd

Das Netzwerk ist damit aber längst nicht ausgetrocknet, es wird weiter ermittelt. Recherchen zeigen: Die Akteure sind weiterhin aktiv. Zum Beispiel ein Mann namens Abu Fahd. Vor Jahren verließ er Nordrhein-Westfalen Richtung Syrien. Seitdem fordert er Daheimgebliebene zum Spenden auf. Auch mit einem der in Stuttgart Angeklagten soll er per Mail in Kontakt gestanden haben.
Islamwissenschaftler Steinberg kennt Abu Fahd aus zahlreichen Islamisten-Prozessen, die er als Gutachter betreut hat: „In ganz vielen Ausreisefällen spielt Abu Fahd eine wichtige Rolle. Er scheint ein wichtiger Rekrutierer für die Organisation zu sein.“

Rekrutierungsprozess unbekannt

Auch Dschihadisten aus Bayern hat Abu Fahd nach Syrien gelotst. Aber ein wichtiges Detail vermisst Steinberg häufig bei den Ermittlungen.
„Der gesamte Rekrutierungsprozess ist nicht bekannt. Vor allem, wer hier in Deutschland gewirkt hat, ist nicht immer ganz klar", sagt der Wissenschaftler von der Stiftung Politik und Wissenschaft. "Das wäre wichtig, um zu verstehen, warum junge Leute aus Augsburg, München oder auch Nürnberg nach Syrien gehen.“
Inzwischen ist die Reisewelle abgeebbt. Corona und die zunehmend angespannte Situation in Syrien machen eine Ausreise unattraktiv.
Umso mehr sind die Dschihadisten auf Spenden angewiesen, auf Leute wie Abu Fahd – einen erfahrenen Rekrutierer und Kämpfer, verstrickt in ein Terrorfinanzierer-Netzwerk.

Militärische Grundlagen

Eine gefährliche Mischung auch für Deutschland? Könnte mit dem Geld auch ein Anschlag finanziert werden? Die militärischen Grundlagen für ein Attentat scheinen vorhanden zu sein. Teile deutscher Dschihadisten in Nordwestsyrien sollen von der sogenannten Malhama Tactical ausgebildet worden sein, eine paramilitärische Gruppierung, dominiert von Dschihadisten aus Zentralasien und dem Nordkaukasus.
Der Militärische Abschirmdienst hat mehrere Trainingsvideos dieser Gruppe analysiert. Die Auswertung liegt uns vor. Darin heißt es, dass die Art der Ausbildung nicht an das Niveau westlicher Spezialkräfte heranreiche. Trotzdem könne man „von einer im Umgang mit Waffen gut trainierten Gruppe sprechen. Es ist davon auszugehen, dass einige der ausgebildeten Kämpfer als Multiplikatoren in ihre eigenen dschihadistischen Gruppierungen hineinwirken und das so erworbene Wissen weitergeben können.“ 

Dschihad-Rückkehrer

Wie gefährlich sind diese Kämpfer, wenn sie irgendwann nach Deutschland zurückkehren? „Die Gewalterfahrungen sind nicht wegzudiskutieren", sagt Benno Köpfer vom Verfassungsschutz Baden-Württemberg: "Wer in so einem brutalen System gelebt hat und nicht nur ein paar Wochen reingeschaut hat, da wird es immer schwierig sein.“
In den letzten Jahren wurde viel über die Gefahren der sogenannten Dschihad-Rückkehrer berichtet. Bisher konnte man allerdings den Eindruck gewinnen, sie seien weniger gefährlich als anfangs befürchtet.
Aber Vorsicht bleibt angebracht: Denn sie wissen, wie man Netzwerke bildet, wie man kämpft und auch, wie man den Terrorismus finanziert. Das gilt vor allem für Hardliner – für solche, die sich vom Krieg in Syrien nicht beeindrucken lassen und von ihrem Dschihad überzeugt sind.
Mehr zum Thema