Julia Bullock, Sopran
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Roderick Cox
Die warme Kindheit im Süden
Zwei große Künstler gaben ihr Debüt beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin: Der Dirigent Roderick Cox und die Sopranistin Julia Bullock. Auf dem Programm Samuel Barbers Kindheitserinnerungen "Knoxville Summer of 1915" und Musik von Strawinsky und Copland.
Auch dieses Rundfunkkonzert unterlag den Regeln der Pandemie - die Ensembles werden dabei zwar immer größer, aber die neuen Gesetze der Hygiene setzen nach wie vor Grenzen. Grenzenlos dagegen ist die Ausdruckskraft der Musikwerke, die sich über die Jahrhunderte Menschen aller Hautfarben, Religionen und sozialer Herkünfte ausgedacht haben.
Eine US-amerikanische Sopranistin und ein US-amerikanischer Dirigent waren am 21. August 2020 erstmals beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin zu Gast: Julia Bullock und Roderick Cox.
Und auch das Musikprogramm hat deutlich enge Bezüge zu Nordamerika. 1943 – mitten im Krieg begann ein Konzert bei der Cincinnati Symphony genauso wie dieses hier: Mit der "Fanfare for the common man" von Aaron Copland, mit der "Fanfare für den normalen Menschen". Ein Stück inklusiven Patriotismus' – alle sind normale Menschen, egal welcher Hautfarbe, Religion, Herkunft etc.
Geschichten aus dem Alten Neapel
Für das Boston Symphony Orchestra schrieb Igor Strawinsky 1922 seine Ballettsuite "Pulcinella" - das ist eine Figur der italienischen Commedia dell’arte. Er habe sich darin das erste Mal mit der Vergangenheit beschäftigt, behauptete Strawinsky.
Pulcinella klingt aber nicht viel anders als zum Beispiel die "Geschichte vom Soldaten", die er vorher komponiert hatte. Und hat er nicht auch mit seinen "Bildern aus dem Heidnischen Russland", mit "Le Sacre du printemps" viel Skandal verursacht, als er schon einmal viel weiter zurückgeblickt hatte in die Vorgeschichte?
"Pulcinella" ist ein Ballett, das auf barocken Vorlagen basiert. 1920 wurde es in Paris mit Bühnenbildern von Pablo Picasso uraufgeführt. Es sind höchst lebendige und schöne Liebes- und Eifersuchtsgeschichten aus dem Alten Neapel.
Viel geliebtes Jugendwerk
George Walker war 1996 der erste afroamerikanische Komponist, der den renommierten Pulitzer-Preis für sein musikalisches Werk bekam. Quasi am zweiten Todestag George Walkers spielte das DSO Berlin erstmals "Lyric for Strings", ein hochemotionales Werk, das Walker in Memoriam seiner Großmutter komponiert hatte, ein Jugendwerk, über dessen Erfolg sich der Komponist bis ins hohe Alter teils gewundert, teils vielleicht auch geärgert hat, denn stilistisch ist dieses spätromantische Stück nicht vergleichbar mit den anderen, moderner klingenden Werken Walkers.
"Lyric for strings" macht dennoch große Lust darauf, die Musik dieses nordamerikanischen Komponisten näher kennen zu lernen.
Betörend schön
Auch das darauffolgende Stück haben die Musikerinnen und Musiker das DSO noch nie gespielt. Obwohl der Komponist Samuel Barber in guter Erinnerung ist – nicht zuletzt seine ergreifende Oper Vanessa hat das Orchester vor einigen Jahren konzertant gespielt unter David Zinman. Betörend schön ist "Knoxville Summer of 1915", eine Art dramatische Kantate für Sopran und Orchester.
Das sind vertonte Erinnerungen eines Kindes an einen superheißen Sommertag im Süden der USA. Voller Agonie, Nostalgie und Sorge – meint der Dirigent Roderick Cox. Er stammt auch aus dem Süden - und es erinnert ihn auch an seine Familie, die er pandemiebedingt seit Monaten nicht treffen konnte.
Das Stück von Samuel Barber hat übrigens schon die legendäre Leontyn Price häufig gesungen, die als erste afroamerikanische Operndiva gilt. Und nun Julia Bullock, für die es auch ganz viel Wärme und Gefühl vermittelt.
Don't move stay cool!
Schon der Text von James Agee ist assoziativ, sprunghaft, sehr emotional und zugleich beobachtend. Dennoch ist die Musik ganz klar nachvollziehbar. Sie spricht direkt zu uns, auch wenn Samuel Barber manchmal den großen Farbtopf des Orchesters aufmacht. "Don’t move stay cool" – das Motto im heißen Süden - diese flimmernde Stimmung steht am Anfang des Werkes, doch so bleibt es nicht.
Verliebte Serenade
Die E-Dur-Streicherserenade von Antonín Dvořák beendet den Abend, ein weiteres Jugendwerk, entstanden lange bevor der tschechische Komponist Leiter des Konservatoriums von New York werden würde. Im selben Jahr, als Dvořák das Werk komponierte, erklang Smetanas "Moldau" erstmals in Prag.
Sehr stark tschechisch ist auch diese Serenade, nicht nur in ihren tänzerischen Sätzen, vor allem in den langsamen Abschnitten, die so voller satter ergreifender Melodien sind, lyrisch, aber auch religiös erhaben. Diese Musik ist heute immer noch frisch, optimistisch, zeigt, dass Dvorak verliebt war. Und sie ist - auch und nicht zu vergessen – Corona–tauglich: quasi erweiterte Kammermusik.
Hier können Sie das Gespräch mit dem Dirigenten Roderick Cox nachhören:
Hier können Sie das Gespräch mit der Sängerin Julia Bullock nachhören:
Aufzeichnung vom 21. August 2020 im Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks Berlin
Aaron Copland
Fanfare for the Common Man
Fanfare for the Common Man
Igor Strawinsky
Pulcinella Suite
Pulcinella Suite
George Walker
Lyric for Strings
Lyric for Strings
Samuel Barber
"Knoxville: Summer of 1915" für Sopran und Orchester op. 24
"Knoxville: Summer of 1915" für Sopran und Orchester op. 24
Antonín Dvořák
Serenade für Streichorchester E-Dur op. 22
Serenade für Streichorchester E-Dur op. 22