Viele Hürden auf dem Weg zum Traumjob
Im Zuge der Mobilitätsprogramme, mit denen die Europäische Union die Jugendarbeitslosigkeit nach der Finanzkrise zu senken verseuchte, kamen viele junge Auszubildende aus den finanziell schwächeren EU-Staaten nach Deutschland. Zwei von ihnen hat unsere Autorin begleitet.
Ein Juwelier in Sulzbach, einer saarländischen Kleinstadt. Seit Anfang August ist die junge Frau, die den wohlklingenden Namen Ana Rocío Fernandez Reyes trägt, hier beschäftigt. "Rocío heißt Morgentau", erklärt sie. Sie ist eine von insgesamt etwa 11.000 jungen Leuten, die vom Sonderprogramm MObiPro EU unterstützt werden.
Es wurde vor vier Jahren vom Bundesarbeitsministerium aufgelegt, um die Mobilität junger Menschen innerhalb der Europäischen Union zu fördern. Ziel war es, der hohen Jugendarbeitslosigkeit vornehmlich in Südeuropa entgegen zu wirken.
Auf der Suche nach der richtigen Arbeit
Für Ana, die im Januar 27 Jahre alt wird, verlief der Start in Deutschland ein wenig holprig. Die Lehre zur Einzelhandelskauffrau in einer Bäckerei war nicht das Richtige für sie.
"Die Arbeit war immer gleich und ich suchte etwas Kreativeres, weil ich habe ein Studium in Kunst in Spanien gemacht und suchte etwas Kreativeres, etwas mit Handwerk, mit Kunden."
Für Geschäftsinhaberin Brigitte Degenhardt war es eine glückliche Fügung, denn sie hatte lange nach einer geeigneten Auszubildenden gesucht.
"Schmuck und Juwelier, das ist ja ein sensibler Bereich und da hab´ ich einfach niemanden gefunden, der hier zu uns in den Landen passt. Dann war die Stelle im Internet ausgeschrieben über die Arbeitsagentur und da hat sich die Betreuerin von Frau Fernandez gemeldet und hat gesagt, ich hätte da jemanden, die hat schon eine Lehre begonnen und würde gerne wechseln. Dann habe ich ihre Unterlagen angesehen, und hab‘ gedacht, das könnte passen dann haben wir uns kennen gelernt und da dachte ich gleich, das wird was."
Wenn die Kommunikation mal hakt, hilft das Handy
Und wenn es sprachlich mal hakt, dann wisse man sich zu helfen.
"Sie kann auch gut Französisch. Wir können auch alle Französisch und wenn manchmal ein Wort mal nicht gefunden wird oder wir einfach nicht klarkommen, dann geht’s auf Französisch und wenn’s gar nicht geht, dann geht’s mit dem Handy und dem Übersetzungsprogramm. Und dann sagt Sie: Ach ja!"
Ihre Fremdsprachkenntnisse verleihen der Andalusierin Sicherheit. Emotional profitiert sie davon, dass sie in der nahen Großstadt Saarbrücken mit einem Spanier zusammen lebt.
"Er macht auch eine Ausbildung hier in Deutschland, Bierbrauer. Ja, ja wir sind allein, es ist viel besser mit einer anderen Person aus Spanien, wir können reden, über unseren Alltag."
Kaum Perspektiven in der Heimat
Zu Hause in Cádiz wäre ein Zusammenleben kaum möglich gewesen. Ana erging es wie vielen jungen Spaniern. Sie ist nach ihrem Kunst-Studium in Granada ins Elternhaus zurückgekehrt, eng angebunden an die Familie. Dieses Schicksal teilten viele ihrer Freunde und Bekannte, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielten und deshalb nicht auf eigenen Füßen stehen könnten.
"Das ist sehr hart, sehr traurig auch für junge Leute", sagt Ana. Während der Sommermonate hat sie für die Hafengesellschaft Tickets an Touristen verkauft. Saisonarbeit ohne Perspektive. Sie habe Spanien daher den Rücken gekehrt, nicht nur um einen Beruf zu erlernen sondern um sich gemeinsam mit ihrem Lebenspartner in Deutschland etwas aufbauen, das würden auch ihre Eltern verstehen.
"Die Eltern, sie sind ein bisschen traurig, aber sie verstehen, wir müssen arbeiten, wir müssen unser Leben haben, die Wohnung, ein Auto, wir sind jung, wir haben keine Arbeitsmöglichkeiten in Spanien, sie verstehen die Situation."
Die Arbeit soll Spaß machen
Ähnliche Erfahrungen wie Ana hat auch Ivan Alcolea gesammelt. Auch er ist Mitte 20 und weiß, was es heißt, von der Hand in den Mund zu leben.
"Ich wollte nicht mehr irgendwo arbeiten, als Kellner, als Verkäufer, ich habe auch in der Rezeption eines Fitnessstudios gearbeitet, so wie Minijobs, aber man verdient kein richtiges Geld. Für mich ist ganz schön wichtig, dass die Arbeit Spaß macht."
Ivan ist Mallorquiner und entstammt einer radsportbegeisterten Familie, ist als Jugendlicher Rennen gefahren, aber zum Profi habe es nicht gereicht.
"Ich bin nicht so gut, um professionell zu werden, das ist auch wirklich schwer, aber als Mechaniker kann man immer Räder anfassen und das macht Spaß, wenn man Fahrräder liebt."
Vor anderthalb Jahren hat er bei einem Radsportgeschäft in Zweibrücken eine Ausbildung zum Fahrradmechaniker begonnen und lebt jetzt seinen Traum.
"Ich habe mir das überlegt, will ich wirklich mein ganzes Leben lang mit Fahrrädern arbeiten, ja, ja, kann ich mir vorstellen."
Dank Mobilitätsprogramm zum Traumjob
In Spanien wäre das nicht möglich gewesen berichtet er. Dort gebe es keine vergleichbare Ausbildung. Erst das Mobilitätsprogramm der Bundesregierung hätte ihm diese Chance eröffnet. Wesentlichen Anteil daran hat Sarah Stark. Sie ist Mitarbeiterin beim CJD, beim Christlichen Jugenddorf Homburg, einer von zwei Projektträgern im Saarland. Sie war regelmäßig in Spanien, um junge Leute für eine Ausbildung in Deutschland zu werben. Ein Kriterium für die Teilnahme am Programm, ist ein Schulabschluss, erklärt sie:
"Grundsätzlich ist es gut, wenn mindestens ein mittlerer Bildungsabschluss vorliegt, weil sonst fehlen ein bisschen die Kompetenzen wie lerne ich, weil dann hat es auch zu Hause gefehlt. Und wie soll ich dann in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache, mit einer fremden Berufsschule, dann kommt man in die Überforderung rein und dann entwickeln die Jugendlichen Frust und dann klar, ist der erste Schritt, ich gehe wieder nach Hause."
Sprachkenntnisse sind Voraussetzung
Noch in Heimatland müssen die Jugendlichen Sprachkurse besuchen und mindestens das Sprachniveau B1 erreichen. Das heißt sie sollten einfache Aussagen zu allgemeinen Themen verstehen und die fremde Sprache selbständig anwenden können. Wer dieses einfache Sprachniveau nicht schaffe, für den mache es keinen Sinn, den Weg nach Deutschland anzutreten, so Stark. Parallel werden noch vor Ort die Berufswünsche der Interessenten in Erfahrung gebracht, sagt Starah Stark weiter:
"Wir akquirieren grundsätzlich nach den Wünschen der jungen Menschen, weil es keinen Sinn macht, jemanden zu limitieren. Und genauso sind wir hier in diesem Betrieb vorgegangen, wo jemand sagt, ich möchte was mit Fahrrädern machen, dann ist es auch unsere Aufgabe, was mit Fahrrädern zu suchen."
Die "Schnupperphase" ist entscheidend
Zunächst hat Ivan ein vierwöchiges Praktikum bei seinem Arbeitgeber absolviert. Die Schnupperphase verlief positiv In Deutschland, sagt Sascha Sieber, Inhaber des Radsportgeschäftes, hätten sich zu diesem Zeitpunkt kaum junge Leute bei ihm beworben, und wollten Zweiradmechaniker werden. Das ändere sich erst jetzt durch den zunehmenden Boom an Elektrofahrrädern. Aber ohne Leidenschaft fürs Rad, ginge es nicht, sagt er:
"Der Ivan hat eine Affinität zum Fahrrad, der ist interessiert, der ist wild, der will Radfahren, der will lernen , der hat auch Lust im Team mitzuarbeiten und das hat uns motiviert, ihn zu pushen, auch in der Schule läuft es mittlerweile sehr gut, aber wir warten mal das nächste Zeugnis ab, aber ich weiß die Noten, und die sind ganz gut."
Herausforderung Berufsschule
Das erste Jahr Berufsschule sei hart gewesen, bestätigt Ivan. Um halb sechs müsse er morgens raus, um mit Bus und Bahn, um acht Uhr in der Schule zu sein. Und letztes Jahr sei das Pensum kaum zu schaffen gewesen für ihn, seine sprachlichen Fähigkeiten hätten nicht ausgereicht.
"Wenn ich Hausaufgaben machen sollte und ich das Buch aufgemacht habe und gar kein Wort verstanden habe, das war echt kompliziert."
Aber dank seiner deutschen Freundin werde sein Deutsch immer besser.
"Jetzt muss ich unbedingt auch zu Hause weiter Deutsch reden, das macht den Unterschied…"
Zu große Klassen sind nachteilig
Im ersten Ausbildungsjahr seien überdies 30 Leute in der Klasse gewesen, da sei den Lehrern wenig Zeit verblieben, sich um ihn zu kümmern, es hätte Tage gegeben, da habe er nur Bahnhof verstanden. Auch das habe sich inzwischen geändert. Im zweiten Ausbildungsjahr sei die Anzahl der Schüler erheblich gesunken.
"Das hilft mir wirklich viel, ich kann jederzeit den Kollegen was fragen oder dem Lehrer sagen, ‚können Sie das bitte wiederholen, niemand hat ein Problem damit, aber wenn du 30 Leute alle fünf Minuten anhalten musst, dann läuft das nicht."
Sparsame Lehrjahre
Vorzeitige Vertragsauflösungen sind Alltag im deutschen Berufsschulsystem. Zu hohe Anforderungen, falsche Berufswahl, gesundheitliche Einschränkungen, in manchen Ausbildungsberufen - zum Beispiel bei Köchen - beträgt die Abbrecherquote 48 Prozent.
In Deutschland stehen für die Dauer des Programms zwischen 2013 und 2020 fast eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung. Davon abgerufen wurden nach Angaben des Bundearbeitsministeriums bis jetzt 177 Millionen. Davon werden Sprachkurse sowohl im Herkunftsland als auch in Deutschland finanziert, je eine Heimreise pro Ausbildungshalbjahr.
Und schließlich müssen die Auszubildenden im fremden Land ihre Wohnung und den Lebensunterhalt bestreiten. Das Lehrlingsgehalt wird deshalb analog zur deutschen Berufsausbildungsbeihilfe bis auf 818 Euro pro Monat aufgestockt. Nicht eben üppig, räumt Projektmanagerin Stark ein: "Das reicht schon, man muss damit haushalten, im Luxus lebt da keiner."
Wer das erste Jahr schafft, zieht es durch
Doch trotz all dieser Unterstützung, schaffen es viele nicht. Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums lag die Abbruchquote der MobI Pro Teilnehmer im Sommer dieses Jahres bei 63 Prozent. Allerdings macht das Ministerium darauf aufmerksam, dass einige in einem frühen Stadium scheitern. Oft schon im Sprachkurs oder nach dem Praktikum. Manche lösen – so wie deutschen Jugendliche auch - ihre Ausbildungsverträge vorzeitig auf.
Die Gründe dafür seien vielfältig, sagt Gema Garrdio, zuständig für Arbeit und Soziales bei der spanischen Botschaft: "Es ist eine Mischung. Für viele ist es das erste Mal, dass sie aus der Heimat, von zu Hause weggehen. Es ist das Wetter. Die Sprache ist anders, die Kultur ist anders, die Familie bleibt zu Hause, die Freunde."
Wer das erste Jahr übersteht, der habe es geschafft: "Dann, normalerweise bleiben sie in Deutschland, dann sind sie schon daran gewöhnt wie alles hier läuft, sehen alles einfacher und sind mehr motiviert."
Zeitlich befristetes Programm
Aber das Programm wird nicht weitergeführt. Es sei von vorneherein zeitlich befristet gewesen, heißt es seitens des Bundesarbeitsministeriums. Ana und Ivon gehören zum letzten Jahrgang.
"Für unsere Jugendlichen ist das keine gute Nachricht, weil der Fachkräftebedarf in Deutschland besteht und es gibt noch viele Jugendliche, die nach Deutschland kommen möchten", sagt Garrido.
Ivan hatte Glück, ihn stört eigentlich nur das Wetter in Deutschland.
"Das Wetter hier ist Katastrophe, hier ist seit drei vier Wochen grau, und es regnet und es schneit und ist grau und das macht ganz schön traurig."
(leicht bearbeitete Online-Fassung, thg)