Duchamps Zimmer
Der Münchner Konzeptkünstler Rudolf Herz hat in München die Wohnung nachbauen lassen, in der Marcel Duchamp 1912 für drei Monate lebte. Vor genau 100 Jahren kam der ebenfalls als Konzeptkünstler arbeitende Franzose in der bayerischen Landeshauptstadt an.
Kurz vor Mitternacht: die Lichtmaschine brummt und legt eine helle Spur über den Rasen vor der Alten Pinakothek. Fünf Monteure sind auf der Baustelle, ein Fotograf. Alle in Gummistiefeln. Auch der Künstler Rudolf Herz. Unsere Schuhe sinken an manchen Stellen fast bis zum Knöchel ein. Egal. Der Lichtkegel fällt auf ein riesiges Gebilde aus rechwinklig ineinander versenkten Betonplatten. Hier entsteht jene Wohnung, in der Marcel Duchamp im Sommer 1912 ein Zimmer gemietet hat. Soeben setzt der Kran die Wand zwischen Bad und Küche ein:
Arbeiter: "Guad, etzat sammer drin."
Herz: "Die Skulptur ist ja ne gekippte Wohnung, das heißt, dass ne ursprüngliche Seitenwand jetzt zum Boden wird und der Boden zur Seitenwand wird. Der steht hoch, und die Seitenwand liegt flach. Die haben hier die Längswand, auf der das ruht, aufgebaut. Hier, wo wir stehen, ist das Badezimmer. Es ist auch nass, des passt gut."
Mayerle:" ...weil's regnet."
Herz: "Und jetzt kriegen die das Scheißteil nicht rein ... "
Dass die Teile perfekt zusammenpassen, ist Sache des Statikers, um die Fugen soll sich der Architekt kümmern. Klare Aufgabenteilung. Also setzen wir uns in ein Café in der Nähe, und Rudolf Herz zieht das Modell der Skulptur aus der Tasche. Nicht einmal so groß wie ein Schuhkarton. Weiß.
Herz: "Das Haus ist ja im Krieg zerstört worden. Der Ursprungsbau war ein Mietshaus mit fünf Stockwerken, und im zweiten Stock gab es zwei Wohnungen, und eine dieser Wohnungen gehörte einem Ingenieur. Der wohnte da mit seiner Frau, einer Schneiderin. Und wenn Sie sich zwei Zeichnungen von Duchamp aus dem Sommer 2012 anschauen, sehn Sie nicht nur Fäden, sondern auch Fragmente von einer Nähmaschine."
Eine noch wichtigere Inspirationsquelle muss der Ehemann der Schneiderin gewesen sein. Der Ingenieur August Greß hatte zeitweilig in einem Verlag gearbeitet, der ein illustriertes Wörterbuch herausgab:
"Ein mehrbändiges Kompendium mit Tausenden von Abbildungen. Da geht's um Bergbau, Kraftmaschinen, Elektrotechnik, und diese Bücher zeigen zu einem Gegenstand, der dort dargestellt ist, die verschiedenen Fachbezeichnungen in den europäischen Sprachen - Russisch, Italienisch, Französisch - und dazu mussten diese Zeichnungen angefertigt werden von einer Mannschaft an Zeichnern, und deren Leiter ist zeitweilig der August Greß, ein Fachmann für technische Illustrationsgrafik. Diese Wörterbücher gibt es noch, antiquarisch, sind sehr begehrt, sind toll, wenn man die sieht und schaut, was Duchamp im Jahr 1913 für Zeichnungen anfertigt, dann ist es so frappant. Die Ähnlichkeit!"
1913 entsteht Duchamps erstes Ready-made: ein Hocker, darauf das Rad eines Fahrrads montiert. Alltägliche Gegenstände werden, neu arrangiert, zum Kunstwerk. In den folgenden Jahren vereinfacht er das Prinzip noch einmal, erklärt einen Flaschentrockner und ein Pissoir zu Kunstobjekten. Rudolf Herz wagt eine steile These: die Münchner Wohnung sei, so wörtlich im Buch zum Projekt: "die Wiege der Konzeptkunst".
Keiner der Duchamp-Experten hatte bisher den maßgeblichen Schritt des Künstlers mit einen einzigen Ort und noch dazu einem scheinbar marginalen in Verbindung gebracht. Herz beschreibt in seinem Buch "Le mystère de Munich" eine faszinierende Spurensuche. Hier findet man die Zeitungsannonce des Vermieters, die Pläne der Wohnung, Zeichnungen Duchamps, das bekannte Foto, das der spätere Hitler-Fotograf Heinrich Hoffmann aufgenommen hat und das Rudolf Herz neben das Dürer-Selbstbildnis aus der Alten Pinakothek stellt. Seit Jahrzehnten ist er dem Kollegen auf der Spur. Was treibt ihn an?
"Das ist doch ganz einfach: die Werke haben keine große ästhetische Kraft als Feuerwerk. Das sind sehr spröde Anregungen für jemanden, der Kunst als ein experimentell-geistiges Abenteuer versteht, und so was interessiert mich halt."
Arbeiter: "Guad, etzat sammer drin."
Herz: "Die Skulptur ist ja ne gekippte Wohnung, das heißt, dass ne ursprüngliche Seitenwand jetzt zum Boden wird und der Boden zur Seitenwand wird. Der steht hoch, und die Seitenwand liegt flach. Die haben hier die Längswand, auf der das ruht, aufgebaut. Hier, wo wir stehen, ist das Badezimmer. Es ist auch nass, des passt gut."
Mayerle:" ...weil's regnet."
Herz: "Und jetzt kriegen die das Scheißteil nicht rein ... "
Dass die Teile perfekt zusammenpassen, ist Sache des Statikers, um die Fugen soll sich der Architekt kümmern. Klare Aufgabenteilung. Also setzen wir uns in ein Café in der Nähe, und Rudolf Herz zieht das Modell der Skulptur aus der Tasche. Nicht einmal so groß wie ein Schuhkarton. Weiß.
Herz: "Das Haus ist ja im Krieg zerstört worden. Der Ursprungsbau war ein Mietshaus mit fünf Stockwerken, und im zweiten Stock gab es zwei Wohnungen, und eine dieser Wohnungen gehörte einem Ingenieur. Der wohnte da mit seiner Frau, einer Schneiderin. Und wenn Sie sich zwei Zeichnungen von Duchamp aus dem Sommer 2012 anschauen, sehn Sie nicht nur Fäden, sondern auch Fragmente von einer Nähmaschine."
Eine noch wichtigere Inspirationsquelle muss der Ehemann der Schneiderin gewesen sein. Der Ingenieur August Greß hatte zeitweilig in einem Verlag gearbeitet, der ein illustriertes Wörterbuch herausgab:
"Ein mehrbändiges Kompendium mit Tausenden von Abbildungen. Da geht's um Bergbau, Kraftmaschinen, Elektrotechnik, und diese Bücher zeigen zu einem Gegenstand, der dort dargestellt ist, die verschiedenen Fachbezeichnungen in den europäischen Sprachen - Russisch, Italienisch, Französisch - und dazu mussten diese Zeichnungen angefertigt werden von einer Mannschaft an Zeichnern, und deren Leiter ist zeitweilig der August Greß, ein Fachmann für technische Illustrationsgrafik. Diese Wörterbücher gibt es noch, antiquarisch, sind sehr begehrt, sind toll, wenn man die sieht und schaut, was Duchamp im Jahr 1913 für Zeichnungen anfertigt, dann ist es so frappant. Die Ähnlichkeit!"
1913 entsteht Duchamps erstes Ready-made: ein Hocker, darauf das Rad eines Fahrrads montiert. Alltägliche Gegenstände werden, neu arrangiert, zum Kunstwerk. In den folgenden Jahren vereinfacht er das Prinzip noch einmal, erklärt einen Flaschentrockner und ein Pissoir zu Kunstobjekten. Rudolf Herz wagt eine steile These: die Münchner Wohnung sei, so wörtlich im Buch zum Projekt: "die Wiege der Konzeptkunst".
Keiner der Duchamp-Experten hatte bisher den maßgeblichen Schritt des Künstlers mit einen einzigen Ort und noch dazu einem scheinbar marginalen in Verbindung gebracht. Herz beschreibt in seinem Buch "Le mystère de Munich" eine faszinierende Spurensuche. Hier findet man die Zeitungsannonce des Vermieters, die Pläne der Wohnung, Zeichnungen Duchamps, das bekannte Foto, das der spätere Hitler-Fotograf Heinrich Hoffmann aufgenommen hat und das Rudolf Herz neben das Dürer-Selbstbildnis aus der Alten Pinakothek stellt. Seit Jahrzehnten ist er dem Kollegen auf der Spur. Was treibt ihn an?
"Das ist doch ganz einfach: die Werke haben keine große ästhetische Kraft als Feuerwerk. Das sind sehr spröde Anregungen für jemanden, der Kunst als ein experimentell-geistiges Abenteuer versteht, und so was interessiert mich halt."