Duelle und Duette
Dieter Roth war nicht nur ein wortgewaltiger Künstler, sondern auch ein streitbarer Geselle. Nichtsdestotrotz verband ihn mit der Autodidaktin Dorothy Iannone aus Boston eine innige Beziehung. Im Sprengel Museum Hannover sind jetzt Werke beider Künstler zu sehen, darunter von Roth bemalte Postkarten an Iannone sowie erotische Werke der Amerikanerin.
Als wortgewaltigen, aber auch in sich verschlossenen, ja mit sich selbst hadernden Künstler kannte man Dieter Roth, den Meister der Verwesungsbilder, der Literaturwürste und Schokoladenskulpturen. Seine Aggressionslust ließ den gebürtigen Hannoveraner nicht im Stich, insbesondere nicht im Angesicht großer Geister wie dem Philosophen Ludwig Wittgenstein:
"Da ich Wittgenstein einen Superidioten finde, einen miesen, dreckigen Idioten, einen der übelsten Typen, die je gelebt haben, habe ich gesagt, was für ein Arschloch ich das finde."
Wie Roth Feindschaften als Quelle der Inspiration pflegte, konnte der Sammler Jan Ahlers erleben, als der Künstler während eines Treffens in den Schweizer Bergen Marcel Reich-Ranicki den blanken Hintern zeigte mit der Begründung, dieser Kritiker rezensiere seine, Roths Bücher nicht. Am nächsten Morgen auf der Frühstücksterrasse bemerkte Ahlers die beiden Kampfhähne:
Jan Ahlers: "Sich gegenseitig belauernd, zunächst anstarrend, dann habe ich sie zusammengebracht, mühsam. Dann haben sie schön miteinander gesprochen, aber immer noch sehr misstrauisch, jeder hat den anderen wohl bewundert, denn sie waren ja beide Exilanten."
Roth war während der Nazizeit aus dem verhassten Hannover in die Schweiz gelangt. Aber eine rechte Heimat konnte solch ein Berserker nicht finden. Und auch dass es da Ende der Sechziger eine Künstlerliebe, die Muse Dorothy Iannone gab, wird vielen neu sein. Die Autodidaktin aus den USA feierte ihren "Löwen", der bei Museumsleuten bereits gefürchtet war. Nur mit wenigen Künstlern wie Richard Hamilton oder Arnulf Rainer verband den Einzelgänger eine intellektuelle Freundschaft, die Leidenschaften für den Griff zur Flasche reservierte:
Dieter Roth: "Ich hol’ die Whiskyflasche, geb’ Dir einen kleinen Schluck … wie Du’s immer machst, schau mal: so!"
Aber ein Künstler wie der "Übermaler" Rainer war am Ende mehr als nur ein Trinkkumpan:
Arnulf Rainer: "Das waren einfach Duelle und Duette."
Bei Dorothy Iannone aber, neben deren überbordend buntem, von Popfiguren überquellendem Werk selbst Roths ausgelassene Arbeiten streng und konzeptionell wirken, entwickelten sich kaum Übereinstimmungen, Ähnlichkeiten oder gar Wahlverwandtschaften. Und auch Dietmar Elger, der als Kurator im Sprengel Museum die von der privaten Ahlers-Stiftung angekaufte Korrespondenz bearbeitet und zur Publikationsreife bringt, fällt allenfalls ein Beispiel ein:
Dietmar Elger: "Dorothy Iannone hat zuerst begonnen eine Druckgraphik herzustellen, 1969, die hieß "At home", wo sie ihr gemeinsames Leben schildert. Da sind viele Details, man erkennt sogar einzelne Möbelstücke, die sie jetzt noch, heutzutage in ihrer Wohnung hat. Man erkennt die beiden Protagonisten, sie und ihn, bei verschiedenen Tätigkeiten, auch beim Liebesspiel. Darauf hat Dieter Roth ein Jahr später geantwortet mit einem Blatt, das "Daheim" heißt, aber sehr viel konvulsiver, sehr viel abstrakter, sehr viel radikaler auch – als ein Chaos einfach."
Neben Iannones höchst anzüglich ausgeschmückten Liebesaltären mit Videomonitor verraten vielleicht 60 aufgereihte Postkarten von Roth an seine Geliebte etwas mehr:
Dietmar Elger: "Manchmal sind es einfach nur Liebesschwüre aus der Entfernung und aus dem Verlangen nach Nähe, manchmal sind es ganz banale Mitteilungen: "Lös’ bitte den Scheck ein" oder "Ich habe hier den und den getroffen" und "Ich komme dann und dann zurück"."
Aber vielleicht spiegelt sich darin auch nur eine Flucht aus einer Liebesfalle, die dem Phänomen der "Perfektionsfalle" in Roths Oeuvre so arg ähnelt:
Dietmar Elger: "Er hat sich immer davor gescheut etwas zu gut zu können, etwas zu elegant zu machen, und da war dieses Moment es zu zerstören, es kaputt zu machen, es zu verschmieren – wie er ja eine seiner Techniken auch nannte – ganz wesentlich, um sich aus solchen Fallen wiederum zu befreien."
Nach der Trennung 1974 ging die wilde Beziehung in eine Freundschaft über, denn vermutlich wollte Roth nicht selbst als "Koofmich" erscheinen, wie er sie in seinen Gedichten verhöhnte:
Dieter Roth: "Hinter der Aschentonne gibt sich die Frau dem Businessmanne oft hin – und er haut ihr den grauen Hintern blau und schmeißt in die Tonne sie rin."
Wie Künstler lieben wird also effektvoll illustriert – aber uns hätte auch die Affäre mit Marcel Reich-Ranicki mächtig interessiert, die der Herrenausstatter Ahlers einfädelte:
Jan Ahlers: "Ich hatte dann Dieter Roth drei Hemden unserer Marke "Eterna" geschickt, bügelfrei als Trageversuch. Das ganze war ein Joke. Sechs Wochen später bekam ich die Hemden zurück, auf den ersten Blick dreckig – und dann waren das wunderbar bemalte Hemden! Und eines bat er mich dann, Herrn Ranicki zu schicken, das habe ich mir dann aber versagt, das hätte der große Wortmeister möglicherweise nicht verstanden."
"Da ich Wittgenstein einen Superidioten finde, einen miesen, dreckigen Idioten, einen der übelsten Typen, die je gelebt haben, habe ich gesagt, was für ein Arschloch ich das finde."
Wie Roth Feindschaften als Quelle der Inspiration pflegte, konnte der Sammler Jan Ahlers erleben, als der Künstler während eines Treffens in den Schweizer Bergen Marcel Reich-Ranicki den blanken Hintern zeigte mit der Begründung, dieser Kritiker rezensiere seine, Roths Bücher nicht. Am nächsten Morgen auf der Frühstücksterrasse bemerkte Ahlers die beiden Kampfhähne:
Jan Ahlers: "Sich gegenseitig belauernd, zunächst anstarrend, dann habe ich sie zusammengebracht, mühsam. Dann haben sie schön miteinander gesprochen, aber immer noch sehr misstrauisch, jeder hat den anderen wohl bewundert, denn sie waren ja beide Exilanten."
Roth war während der Nazizeit aus dem verhassten Hannover in die Schweiz gelangt. Aber eine rechte Heimat konnte solch ein Berserker nicht finden. Und auch dass es da Ende der Sechziger eine Künstlerliebe, die Muse Dorothy Iannone gab, wird vielen neu sein. Die Autodidaktin aus den USA feierte ihren "Löwen", der bei Museumsleuten bereits gefürchtet war. Nur mit wenigen Künstlern wie Richard Hamilton oder Arnulf Rainer verband den Einzelgänger eine intellektuelle Freundschaft, die Leidenschaften für den Griff zur Flasche reservierte:
Dieter Roth: "Ich hol’ die Whiskyflasche, geb’ Dir einen kleinen Schluck … wie Du’s immer machst, schau mal: so!"
Aber ein Künstler wie der "Übermaler" Rainer war am Ende mehr als nur ein Trinkkumpan:
Arnulf Rainer: "Das waren einfach Duelle und Duette."
Bei Dorothy Iannone aber, neben deren überbordend buntem, von Popfiguren überquellendem Werk selbst Roths ausgelassene Arbeiten streng und konzeptionell wirken, entwickelten sich kaum Übereinstimmungen, Ähnlichkeiten oder gar Wahlverwandtschaften. Und auch Dietmar Elger, der als Kurator im Sprengel Museum die von der privaten Ahlers-Stiftung angekaufte Korrespondenz bearbeitet und zur Publikationsreife bringt, fällt allenfalls ein Beispiel ein:
Dietmar Elger: "Dorothy Iannone hat zuerst begonnen eine Druckgraphik herzustellen, 1969, die hieß "At home", wo sie ihr gemeinsames Leben schildert. Da sind viele Details, man erkennt sogar einzelne Möbelstücke, die sie jetzt noch, heutzutage in ihrer Wohnung hat. Man erkennt die beiden Protagonisten, sie und ihn, bei verschiedenen Tätigkeiten, auch beim Liebesspiel. Darauf hat Dieter Roth ein Jahr später geantwortet mit einem Blatt, das "Daheim" heißt, aber sehr viel konvulsiver, sehr viel abstrakter, sehr viel radikaler auch – als ein Chaos einfach."
Neben Iannones höchst anzüglich ausgeschmückten Liebesaltären mit Videomonitor verraten vielleicht 60 aufgereihte Postkarten von Roth an seine Geliebte etwas mehr:
Dietmar Elger: "Manchmal sind es einfach nur Liebesschwüre aus der Entfernung und aus dem Verlangen nach Nähe, manchmal sind es ganz banale Mitteilungen: "Lös’ bitte den Scheck ein" oder "Ich habe hier den und den getroffen" und "Ich komme dann und dann zurück"."
Aber vielleicht spiegelt sich darin auch nur eine Flucht aus einer Liebesfalle, die dem Phänomen der "Perfektionsfalle" in Roths Oeuvre so arg ähnelt:
Dietmar Elger: "Er hat sich immer davor gescheut etwas zu gut zu können, etwas zu elegant zu machen, und da war dieses Moment es zu zerstören, es kaputt zu machen, es zu verschmieren – wie er ja eine seiner Techniken auch nannte – ganz wesentlich, um sich aus solchen Fallen wiederum zu befreien."
Nach der Trennung 1974 ging die wilde Beziehung in eine Freundschaft über, denn vermutlich wollte Roth nicht selbst als "Koofmich" erscheinen, wie er sie in seinen Gedichten verhöhnte:
Dieter Roth: "Hinter der Aschentonne gibt sich die Frau dem Businessmanne oft hin – und er haut ihr den grauen Hintern blau und schmeißt in die Tonne sie rin."
Wie Künstler lieben wird also effektvoll illustriert – aber uns hätte auch die Affäre mit Marcel Reich-Ranicki mächtig interessiert, die der Herrenausstatter Ahlers einfädelte:
Jan Ahlers: "Ich hatte dann Dieter Roth drei Hemden unserer Marke "Eterna" geschickt, bügelfrei als Trageversuch. Das ganze war ein Joke. Sechs Wochen später bekam ich die Hemden zurück, auf den ersten Blick dreckig – und dann waren das wunderbar bemalte Hemden! Und eines bat er mich dann, Herrn Ranicki zu schicken, das habe ich mir dann aber versagt, das hätte der große Wortmeister möglicherweise nicht verstanden."