Düster muss es sein!

Von Claas Christophersen und Norbert Zeeb |
Seinen Lebensunterhalt verdient der gebürtige New Yorker Buddy Giovinazzo mit Regiearbeiten für Tatort und Polizeinotruf 110. Doch eigentlich steht er für knallharte Pulp- und Noir-Stoffe. Er dreht extrem gewalttätige Independent-Filme und schreibt Krimis über Psychopathen und Mafia-Killer.
Ein typischer Sonntagabend in deutschen Wohnzimmern. Über den Bildschirm flimmern Szenen aus der Krimi-Reihe "Tatort" - diesmal aus Leipzig.

In "Rendezvous mit dem Tod" jagt Simone Thomalla alias Kommissarin Eva Saalfeld eine Serienkillerin.

Regie geführt hat Buddy Giovinazzo, ein Mann, von dem man Mainstream-Krimis fürs deutsche Fernsehen nicht unbedingt erwarten würde. Denn eigentlich steht der gebürtige New Yorker für knallharte Stoffe, wie etwa mit der Verfilmung seines Romans "Cracktown".

"In dem Film ist es die erste Szene. Das ist wahrscheinlich die härteste Wahrheit für mich. Das ist die echte Vergewaltigung. Es ist nicht sexual, es ist nicht sexy, es ist nur reine Gewalt. Ich bin sehr stolz auf diese Szene in dem Film, aber diese Szene hat diesen Film kommerziell ruiniert. Es war zu viel für die meisten Leute."

Ende der 80er-Jahre wohnt Giovinazzo in der New Yorker Lower East Side, noch bevor diese Gegend als hipp gilt und die Sicherheitsbehörden der Stadt gegen Kleinkriminelle, Dealer und Drogensüchtige hart vorgehen. Eine Zeit, die ihn als Künstler entscheidend prägt.

"Ich habe gedacht, damals, das ist ganz normal, in einem Haus zu leben mit Heroinsüchtigen und Kriminellen und Crack überall und blutigen Spritzen auf dem Boden, und man kommt rein, und es gibt irgendjemanden, der ist ohnmächtig, und du musst über ihn treten, um in deine eigene Wohnung zu gehen.

Weißt Du, für eine künstlerische Aussicht, das war auch charmant in einer Art und Weise. Das war echtes Leben. So, von diesen Erfahrungen habe ich "Cracktown" geschrieben als Buch."

"Ich bin groß geworden mit Horrorfilmen und Actionfilmen und amerikanischen Filmen und so was. Ich hatte keine Ahnung, dass Filme eine Spiegelung von Leben sein könnten!"

In New York spielt Giovinazzo Schlagzeug in einer Jazz-Band und studiert Musik. Doch dann belegt er einen Kurs mit dem Titel "Film & Politics", der einfach gut in seinen Stundenplan passt. Eine zufällige, aber folgenreiche Entscheidung: Giovinazzo beschäftigt sich mit dem Neuen Deutschen Film der 60-er und 70er-Jahre und beginnt eigene Filmarbeiten.

"Ich bin ein riesiger Faßbinder-Fan, weil die Filme von Faßbinder, die stellen ein anderes Leben dar, die stellen ein echtes Leben dar. Ich habe gesehen die deutsche Küche und das deutsche Wohnzimmer und alles, wie man normalerweise lebt. In amerikanischen Filmen es ist immer der Held, der Typ ist immer größer als die anderen, normalerweise ist er nicht ein normaler Mensch mit vielen Problemen."

"Ich glaube, ich habe das von Fassbinder in meine eigene Arbeit genommen. Meine Filme sind immer um den "little guy". Der Typ, er gewinnt nicht. Und trotzdem geht er weiter. Ich finde, das ist bewundernswert."

"Ich bin auf einer Filmtournee in `95, glaube ich, mit meinem zweiten Film "Unter Brüdern", und in meiner ersten Nacht in Berlin habe ich gemerkt, mein Gott, das ist meine Stadt, ich war sofort in diese Stadt verliebt, damals habe ich gedacht, ich könnte hier wohnen."

... und er kommt zurück. Diesmal, um zu bleiben.

Berliner Freundlichkeit:
"Die türkische Bäckerei hier an der Ecke Naunenstraße und Mariannenstraße. Ich bin in diese Bäckerei 1998 fast jeden Tag gegangen. Nach sechs Monaten hat die Frau hinter dem Tresen nicht ein Mal mit mir gesprochen, nicht hallo gesagt, nicht guten Tag, nicht tschüß gesagt.

Aber ich habe jeden Tag tschüß, hallo, wie auch immer, gesagt. Weißt du, aus New York ist es mir nicht so fremd, aber nach einer Weile sogar die New Yorker werden hallo sagen. So ... sie hat es genossen, mich nicht zu mögen."

1998 erhält Giovinazzo ein Stipendium des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes, schreibt den Mafia-Thriller "Potsdamer Platz" und übernimmt erste Regiearbeiten für das deutsche Fernsehen. - Als US-Amerikaner bringt er eine andere Sicht in die hiesige Krimi-Unterhaltung ein.

"Und ich denke, die Redakteure mögen das. Die wissen, ich sehe alles anders! Ich gucke ein Fenster an, und für einen Deutschen ist das ein ganz normales Fenster, er hat das sein ganzes Leben gesehen. Für mich (ist) dieser Griff anders. Was ist anders? Dieses Fenster für mich ist super interessant."

"Tatort" und "Polizeiruf 110" haben dem Autor und Filmemacher Buddy Giovinazzo einen stabilen Lebensunterhalt eingebracht. Doch als Kern seines Schaffens betrachtet er die schriftstellerische Arbeit – und vor allem seine Independent-Filme. Gerade aus Los Angeles von den Dreharbeiten für seinen Low-Budget-Thriller "After Ginger" zurückgekehrt, träumt der umtriebige Wahlberliner bereits von kommenden Projekten. Eines steht für ihn jetzt schon fest: Düster muss es sein!

"Ich würde so gerne so etwas machen: Ein Ehedrama! Was ist gewalttätiger als eine Ehe? Das ist, wenn man von düster spricht!"