Von der No-Go- zur Let's-Go-Area
Stadtteile wie Duisburg-Marxloh gelten als No-Go-Area: Kriminelle Geschäfte auf offener Straße, Polizisten trauen sich kaum ins Viertel. Doch mit mehr Polizeipräsenz und dem Engagement der Bürger soll diese Entwicklung nun aufgehalten werden.
"Es gibt keine Gegend, wo wir nicht mehr reinfahren als Polizei, aber es gibt Gegenden, die wir als No-Go Area bezeichnen. Die anderen sagen Angsträume, also Stadtteile, wo unsere Kolleginnen und Kollegen ungerne mit einem Streifenwagen reinfahren."
Arnold Plickert ist Polizist und er ist Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Vor etwa einem Jahr hat er eine Diskussion um sogenannte No-Go-Areas in NRW losgetreten. Er sagte damals, ganze Stadtteile im Ruhrgebiet drohten abzurutschen. Jetzt sitzt er in seinem Düsseldorfer Büro und erzählt, wie es aussieht, auf den Straßen im Ruhrgebiet.
"Das Bild spielt sich so ab, auch bei kleinsten Verkehrsunfällen oder Personalfeststellungen werden unsere Kolleginnen und Kollegen relativ schnell von größeren Gruppen meistens junger Männer mit Migrationshintergrund umstellt. Es kommt zu einer Distanzunterschreitung, Beleidigungen. Angriffe sind dann schnell an der Tagesordnung."
In Essen, Duisburg, Gelsenkirchen und Dortmund gibt es Straßenzüge, in die Polizisten deshalb nur noch mit mehreren Streifenwagen reinfahren. Zur Sicherheit.
Die Bewohner selbst sind beruhigt
In Duisburg-Marxloh, einem der deutschlandweit wohl bekanntesten Problemviertel, ist seit einigen Monaten sogar eine Hundertschaft der Polizei stationiert. Innerhalb weniger Minuten ist sie einsatzbereit und soll wieder Ruhe in das Viertel bringen.
"Was wirkt ist, dass die Bewohner selber beruhigt sind, die sehen: Hier passiert was."
Edeltraut Klabuhn kennt Marxloh seit Kindertagen, sie ist hier aufgewachsen, zur Schule gegangen und hat die Aufs und Abs des Viertels miterlebt.
"Der Zuzug der Gastarbeiter, die Wirtschaftskrise, die unterschiedlichen Ethnien in Marxloh untereinander, der Zuzug von kurdischen Menschen und sehr traditionellen türkischen Menschen – da gab es viele Auseinandersetzungen. Das war in den 90ern."
Mittlerweile reklamieren libanesische Clans ganze Straßenzüge für sich, um ungestört ihre illegale Geschäfte abzuwickeln. Aber auch frisch Zugewanderte aus Bulgarien oder Rumänien machen Probleme, erzählt Edeltraut Klabuhn. Die 63-Jährige arbeitet als Stadtteilmanagerin in ihrem Heimatbezirk. Sie kennt die Brennpunkte im Viertel.
"Es war schon an einigen Stellen schlimm, das muss man sagen. Aber da ist auch von Ordnungsbehörden zu lange weggesehen worden."
"Entwicklung ist verschlafen worden"
Dem stimmt Polizeigewerkschafter Arnold Plickert zu:
"Die Entwicklung ist 20 Jahre verschlafen worden. Wir als Polizei können diese Entwicklung nicht verhindern, wenn wir damit konfrontiert werden, ist es zu spät."
Die Opposition in NRW kritisiert, dass die rot-grüne Regierung die Sicherheitsbehörden vernachlässige. CDU-Innenexperte Gregor Golland:
"Die Polizei in NRW ist personell und materiell nicht gut ausgestattet. Es fehlt an allen Ecken und Enden an Personal."
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat mittlerweile reagiert und angekündigt, die Zahl der Polizeibeamten im Land um 500 zu erhöhen, also um etwa 1,3 Prozent. Ob das ausreicht, um libanesische, serbische, rumänische und andere Clans in Schach zu halten, wird sich zeigen.
Bürger und Polizisten gemeinsam gegen den Abstieg
Möglicherweise muss zusätzlich die Gesellschaft etwas tun – und zeigen, dass sie No-Go-Areas nicht toleriert. In Düsseldorf ist das geschehen.
Im zentrumsnahen Maghreb-Viertel, in dem viele Marokkaner leben, registrierte die Polizei vor etwa zwei Jahren, dass sich dort immer häufiger nordafrikanische Banden treffen, zu Straftaten verabreden und zu Diebeszügen aufbrechen. Das Viertel drohte abzurutschen, auch wenn noch keiner von einer No-Go-Area sprach, erzählt Polizeisprecher Markus Niesczery:
"Man muss natürlich kritisch fragen: Könnte es passieren und was muss man tun, um dagegen zu wirken?"
Die Antwort darauf gab die Polizei auf der Straße: Sie zeigte mehr Präsenz, es gab unangekündigte Razzien und regelmäßige Festnahmen. Außerdem wurden die Beamten von der Bevölkerung unterstützt, ja geradezu aufgefordert, einzuschreiten.
Einer der Anwohner im Maghreb-Viertel, Thomas Stephan, erzählt, wie es zu dem Engagement der Bürger kam:
"Die Leute haben erkannt, dass seitens der Politik nicht mit Hilfe zu rechnen ist. Also haben sie die Eigeninitiative ergriffen und ich rede jetzt nicht davon, dass hier irgendwelche Bürgermilizen gegründet werden oder Patrouillen, sondern dass die Leute ganz einfach die Polizei auf die Probleme aufmerksam macht und die Polizei reagiert sofort."
So haben es Bürger und Polizei geschafft, das Maghreb-Viertel wieder zu stabilisieren. Die nordafrikanischen Banden sind so gut wie weg – zumindest aus dem Stadtteil.
Auch in Duisburg-Marxloh habe sich vieles gebessert, sagt Stadtteilmanagerin Edeltraud Klabuhn. Mittlerweile mache die Bevölkerung mit, zeige illegale Müllberge und nächtliche Ruhestörungen an. Statt eine No-Go-Area zu bleiben, will sich das Viertel jetzt zu einer Let’s-Go-Area entwickeln – einem Quartier, in dem Aufbruchstimmung herrscht.