Dunkle Seiten und offene Fragen
Der 175. Geburtstag von Wilhelm Busch war im vergangenen Jahr Anlass zu Ausstellungen, Neuauflagen, Lesungen oder Symposien, die Gelegenheit boten, den Künstler auch jenseits des Klischees vom gefälligen Humoristen kennen zu lernen.
Dieser Klassiker ist für viele noch zu entdecken - deshalb sind Verleger, Kuratoren und Rezitatoren verstärkt bemüht, auch die weniger bekannten Facetten des bärtigen Originals zu vermitteln: seine Prosa, in der er, wie in "Eduards Traum", surreale Einfälle fast schon filmschnittartig montiert hat. Und die Lyrik, in der Busch voller Melancholie - und ganz ohne Zeichnungen - menschliche Schwächen, Alter und Vergänglichkeit vor Augen führt. Nicht zu vergessen die späte Landschaftsmalerei, in der er sich kühn zur Abstraktion vorgewagt hat: ein paar Pinselstriche, und schon waren Wälder, Weiden und der Himmel skizziert, ein roter Fleck genügte für einen Menschen mit Jacke. Beachtung verdienen auch die subtilen Zeichnungen nach der Natur, die wie die Gemälde zur Zeit auf Schloss Gottorf gezeigt werden.
Und selbst bei den populären Bildergeschichten gilt es, sich noch einmal ihrer Abgründe, der bodenlosen Gewalt, zu vergewissern.
Die Frage ist nur, ob sich das öffentliche Bild von Busch nach den Aktivitäten der letzten Monate verändert hat, ob es nun über das Klischee vom gefälligen Humoristen hinausreicht. "Pessimist mit Schmetterling" hieß bezeichnenderweise eine Ausstellung des Wilhelm Busch Museums. Direktor Hans Joachim Neyer:
"Festgefügtes verändert sich nur ganz langsam und kaum wahrnehmbar. Ich glaube, angekommen ist eine gewisse Betroffenheit über die Schwärze des Humors von Wilhelm Busch und die grotesk übertriebene Grausamkeit seiner Geschichten - und da ist Betroffenheit, dass man gerade daran Gefallen findet. Es ist vielleicht ein klein wenig gelungen, den Humoristen in den Hintergrund zu drängen und den bissigen Satiriker in den Vordergrund zu rücken."
"Rickeracke! Rickeracke! Geht die Mühle mit Geknacke" und setzt den bösen Buben ein furchtbares Ende.
Über die Quellen der Grausamkeit bei Busch wird weiter diskutiert. Ist das dunkle Menschenbild seiner Schopenhauer- und Darwin-Lektüre zu verdanken? Oder wollte er mit den Effekten und Affekten ganz einfach an die Schadenfreude eines erhofften großen Publikums appellieren?
"Er lebte davon, dass die neuen, kulturell interessierten städtischen Mittelschichten Spaß an seinen Geschichten fanden, und dieser Spaß gründete vor allem in seinem schwarzen Humor. Und dieses Bedürfnis bediente er mit seinen Grausamkeiten - in der Fortführung dessen, was Hoffmann mit seinem Struwwelpeter schon begonnen hatte. Er verzichtet aber auf die pädagogische Zielsetzung, sondern übertreibt das Vergnügen am grotesk Grausamen. Er gehorcht also einer Nachfrage."
Die Folgen seiner Bildergeschichten sind in dem Jubeljahr besonders deutlich geworden. Mit den dynamisch aufgeladenen Zeichnungen, der Action, und den krassen Antihelden hat er den modernen Comic wesentlich angeregt. "Etwas wie Max und Moritz" wünschte sich US- Zeitungszar Hearst denn auch um 1900 von seinen Mitarbeitern, um die Auflage zu steigern. Und auch heutige Comic-Stars bekennen sich zu dem Altvorderen, wie in der Schau "Busch und die Folgen" zu sehen ist. Mit dabei: Ralf König, der, als er einst das Elternhaus verließ, eine Wilhelm-Busch-Ausgabe mitnahm:
"Figuren wie Hans Huckebein oder die Fromme Helene sind großartig. Sie wirken zwar altmodisch, denn so zeichnet man heute nicht mehr - und trotzdem haben sie eine gnadenlose Aktualität auch im Hinblick auf die Grausamkeiten, die da passieren und die dennoch komisch sind. Also wenn da jemandem die Nase abgerissen wird, dann zieht sie sich erst in die Länge wie Kautschuk, bevor sie dann abgeht. Solche Sachen finde ich ausgesprochen komisch."
Buschs Bildergeschichten sind nach wie vor der beliebteste Teil seines Oeuvres. Und fast jeder kennt die kunstvoll gereimten und deshalb so eingängigen Verse, z.B. aus der "Frommen Helene":
"Das Gute - dieser Satz steht fest / Ist stets das Böse, was man läßt !"
Wer aber erinnert sich der dunklen Stellen in den Texten von Busch? Wenn zu Beginn der "Frommen Helene" das Stereotyp vom durchtriebenen Börsenjuden mit der krummen Nase auftaucht? Und in Buschs Prosa erscheint selbst in Wolkengebilden noch das scheinbar typische Judenantlitz. Der Kunsthistoriker Hans Ries hat mit der historisch-kritischen Gesamtedition der Bildergeschichten ein neues, solides Fundament geschaffen und sich auch mit dem Thema "Antisemitismus bei Busch" beschäftigt:
"Es gibt bei Busch eine ganze Reihe von Stellen, die sich mit Juden befassen - in seiner Art immer ironisch. Die Feststellung, Busch sei ein Antisemit, lässt sich in keiner Weise halten. Es gibt in unserer Ausgabe eine detaillierte Untersuchung genau zu diesem Kapitel. Einige Äußerungen mögen wirklich als inkriminierbar erscheinen - aber die Stellen, die in den Bildergeschichten auftauchen, sind jeweils Personen in den Mund gelegt und werden von Busch ironisch ausgesprochen."
Übersehen kann man diese Stellen aber nicht. Erstaunlich ist, wieweit sie in der öffentlichen Diskussion derzeit ausgeblendet werden. Dabei müsste man doch erörtern, wie man mit diesem Erbe umgeht. Hans Joachim Neyer:
"Historisch! So sprach man über die Juden, wie man über 'die' Türken und 'die' Neger seine Wortbilder hatte - und die hat Busch selbstverständlich aufgenommen, um ein größeres Publikum anzusprechen. Das geschieht vor dem 1. Weltkrieg, aber schon in einer Zeit, als erste antisemitische Bewegungen auf dem Lande oder in Berlin ihr Unwesen treiben. Er spricht aber so, wie teilweise die Juden sich selber darstellen."
Ein brisantes Thema, das die Diskussion mindestens genauso herausfordert wie die künstlerische Vielfalt, die von der Lyrik und Prosa bis zur Malerei reicht. "Ein Klassiker ist noch zu entdecken", dieses Leitmotiv wird gültig bleiben. Das Busch-Museum will mit einer neuen Sammlungsauswahl nachlegen und die biografischen Wurzeln so mancher Bildergeschichte entschlüsseln - von der ländlichen Kindheitserfahrung über das rüde Münchner Studentenleben bis zu den unerwiderten Frankfurter Liebessehnsüchten. Und da fällt auch die Haartolle auf, mit der sich der junge Busch zeigte und die bei einigen Figuren wiederkehrt - vor allem bei dem bösen Buben Moritz. Ein Zufall kann das nicht gewesen sein.
Und selbst bei den populären Bildergeschichten gilt es, sich noch einmal ihrer Abgründe, der bodenlosen Gewalt, zu vergewissern.
Die Frage ist nur, ob sich das öffentliche Bild von Busch nach den Aktivitäten der letzten Monate verändert hat, ob es nun über das Klischee vom gefälligen Humoristen hinausreicht. "Pessimist mit Schmetterling" hieß bezeichnenderweise eine Ausstellung des Wilhelm Busch Museums. Direktor Hans Joachim Neyer:
"Festgefügtes verändert sich nur ganz langsam und kaum wahrnehmbar. Ich glaube, angekommen ist eine gewisse Betroffenheit über die Schwärze des Humors von Wilhelm Busch und die grotesk übertriebene Grausamkeit seiner Geschichten - und da ist Betroffenheit, dass man gerade daran Gefallen findet. Es ist vielleicht ein klein wenig gelungen, den Humoristen in den Hintergrund zu drängen und den bissigen Satiriker in den Vordergrund zu rücken."
"Rickeracke! Rickeracke! Geht die Mühle mit Geknacke" und setzt den bösen Buben ein furchtbares Ende.
Über die Quellen der Grausamkeit bei Busch wird weiter diskutiert. Ist das dunkle Menschenbild seiner Schopenhauer- und Darwin-Lektüre zu verdanken? Oder wollte er mit den Effekten und Affekten ganz einfach an die Schadenfreude eines erhofften großen Publikums appellieren?
"Er lebte davon, dass die neuen, kulturell interessierten städtischen Mittelschichten Spaß an seinen Geschichten fanden, und dieser Spaß gründete vor allem in seinem schwarzen Humor. Und dieses Bedürfnis bediente er mit seinen Grausamkeiten - in der Fortführung dessen, was Hoffmann mit seinem Struwwelpeter schon begonnen hatte. Er verzichtet aber auf die pädagogische Zielsetzung, sondern übertreibt das Vergnügen am grotesk Grausamen. Er gehorcht also einer Nachfrage."
Die Folgen seiner Bildergeschichten sind in dem Jubeljahr besonders deutlich geworden. Mit den dynamisch aufgeladenen Zeichnungen, der Action, und den krassen Antihelden hat er den modernen Comic wesentlich angeregt. "Etwas wie Max und Moritz" wünschte sich US- Zeitungszar Hearst denn auch um 1900 von seinen Mitarbeitern, um die Auflage zu steigern. Und auch heutige Comic-Stars bekennen sich zu dem Altvorderen, wie in der Schau "Busch und die Folgen" zu sehen ist. Mit dabei: Ralf König, der, als er einst das Elternhaus verließ, eine Wilhelm-Busch-Ausgabe mitnahm:
"Figuren wie Hans Huckebein oder die Fromme Helene sind großartig. Sie wirken zwar altmodisch, denn so zeichnet man heute nicht mehr - und trotzdem haben sie eine gnadenlose Aktualität auch im Hinblick auf die Grausamkeiten, die da passieren und die dennoch komisch sind. Also wenn da jemandem die Nase abgerissen wird, dann zieht sie sich erst in die Länge wie Kautschuk, bevor sie dann abgeht. Solche Sachen finde ich ausgesprochen komisch."
Buschs Bildergeschichten sind nach wie vor der beliebteste Teil seines Oeuvres. Und fast jeder kennt die kunstvoll gereimten und deshalb so eingängigen Verse, z.B. aus der "Frommen Helene":
"Das Gute - dieser Satz steht fest / Ist stets das Böse, was man läßt !"
Wer aber erinnert sich der dunklen Stellen in den Texten von Busch? Wenn zu Beginn der "Frommen Helene" das Stereotyp vom durchtriebenen Börsenjuden mit der krummen Nase auftaucht? Und in Buschs Prosa erscheint selbst in Wolkengebilden noch das scheinbar typische Judenantlitz. Der Kunsthistoriker Hans Ries hat mit der historisch-kritischen Gesamtedition der Bildergeschichten ein neues, solides Fundament geschaffen und sich auch mit dem Thema "Antisemitismus bei Busch" beschäftigt:
"Es gibt bei Busch eine ganze Reihe von Stellen, die sich mit Juden befassen - in seiner Art immer ironisch. Die Feststellung, Busch sei ein Antisemit, lässt sich in keiner Weise halten. Es gibt in unserer Ausgabe eine detaillierte Untersuchung genau zu diesem Kapitel. Einige Äußerungen mögen wirklich als inkriminierbar erscheinen - aber die Stellen, die in den Bildergeschichten auftauchen, sind jeweils Personen in den Mund gelegt und werden von Busch ironisch ausgesprochen."
Übersehen kann man diese Stellen aber nicht. Erstaunlich ist, wieweit sie in der öffentlichen Diskussion derzeit ausgeblendet werden. Dabei müsste man doch erörtern, wie man mit diesem Erbe umgeht. Hans Joachim Neyer:
"Historisch! So sprach man über die Juden, wie man über 'die' Türken und 'die' Neger seine Wortbilder hatte - und die hat Busch selbstverständlich aufgenommen, um ein größeres Publikum anzusprechen. Das geschieht vor dem 1. Weltkrieg, aber schon in einer Zeit, als erste antisemitische Bewegungen auf dem Lande oder in Berlin ihr Unwesen treiben. Er spricht aber so, wie teilweise die Juden sich selber darstellen."
Ein brisantes Thema, das die Diskussion mindestens genauso herausfordert wie die künstlerische Vielfalt, die von der Lyrik und Prosa bis zur Malerei reicht. "Ein Klassiker ist noch zu entdecken", dieses Leitmotiv wird gültig bleiben. Das Busch-Museum will mit einer neuen Sammlungsauswahl nachlegen und die biografischen Wurzeln so mancher Bildergeschichte entschlüsseln - von der ländlichen Kindheitserfahrung über das rüde Münchner Studentenleben bis zu den unerwiderten Frankfurter Liebessehnsüchten. Und da fällt auch die Haartolle auf, mit der sich der junge Busch zeigte und die bei einigen Figuren wiederkehrt - vor allem bei dem bösen Buben Moritz. Ein Zufall kann das nicht gewesen sein.