Durch die Geschichte gedreht
Zu Beginn seiner Amtszeit hat der neue Intendant der Kölner Oper, Uwe Eric Laufenberg, Wagners "Meistersinger inszeniert. Da wird munter durch die Epochen gehüpft, das Geschehen auch mal nach draußen verlegt und auch Videos gezeigt.
Die Inszenierung beginnt vor der leeren Bühne, auf der - allein auf weiter Flur - nur ein Beleuchtungsturm wartet. Der Tenor Marco Jentzsch, der hochgewachsene und schlanke Junker Walther von Stolzing, drängt sich vor Reihe 1 des Parketts vorbei, telefoniert mit seinem Handy und ermahnt das Publikum, die Mobiltelefone auszuschalten. Der Vorhang schließt sich und Markus Stenz moderiert die Ouvertüre - nicht so schnell wie zum Beispiel Roger Norrington, der das "Meistersinger"-Vorspiel in acht Minuten absolviert, aber auch nicht so träge und von falscher Majestät beschwert wie die Kapellmeister, die elf und mehr Minuten benötigen.
In 9 1/2 Minuten präsentiert Stenz eine mittlere Lösung. Auch hinsichtlich der Intonation des präzise einsetzenden und den Temponuancierungen sorgsam folgenden Gürzenich-Orchesters wird ein glatter Kompromiss angesteuert: Auch wenn manche Episode ein wenig träge wirkt, gehen selbst die langatmigen Erörterungen aller erdenklichen Sorten von Meistersinger-Weisen noch halbwegs zügig vonstatten und der Disput des Stadtschreibers und Kritikasters Sixtus Beckmesser mit dem Schuster und Poeten Hans Sachs gerät sogar ausgesprochen agil und feinnervig.
Das kommt Uwe-Eric Laufenbergs präziser Personenführung zustatten. Diese bewegt sich zwar fast stets in völliger Übereinstimmung mit dem offenkundigen Handlungsschema und tastet nichts Hintergründiges an, bei Beckmessers Einschleichen in Sachsens Behausung und dem Entwenden des dort herumliegenden Manuskripts von Stolzings "Preislied" schlägt sie eine kleine Kapriole: Der "Merker" fischt zwei Winkelemente aus einer Kiste des Schumachers und gibt eine kleine Slapstick-Einlage mit den Hakenkreuzwimpeln. "Die Meistersinger" haben nun eben ihre spezifische deutsche Geschichte.
Indem sich der Vorhang zum 1. Akt wieder öffnet, zeigt sich eine neogotisch stilisierte Katharinenkirche und Nürnberger Kirchgänger aller Sorten in einer Kostümierung, wie sie von farbkräftig restaurierten Bildern aus der Reformationszeit her bekannt ist. Inklusive der Hunde am rechten Bildrand. Mit Stolzing, der Eva Pogner anbaggert, und dem Lehrjungen David (in Gestalt des hervorragend singenden Carsten Süß) bleibt das Gestühl in goldenem Glanz zurück.
Der Junker, der um des Fortkommens seiner Liebe auf den ersten Blick und Griff willen nun plötzlich ein Meistersinger werden möchte, fotografiert mit seinem Handy nicht nur die hierfür bestens geeignete Sopranistin Astrid Weber, sondern auch die Regeln für die volkstümlich-kunstvolle Gesangspraxis der Handwerksmeister. So ist in einem Ambiente, das wie eine Parodie auf "Meistersinger"-Inszenierungen früherer Jahrzehnte anmutet, eine Brechung angelegt. Zumal, wenn zum Aktschluss der Vorhang, auf den die Hinterfront des Kirchenschiffs gemalt wurde, herunterfällt und den Blick auf das Gerüst mit Scheinwerfern und Projektoren freigibt.
Letztere gelangen im 3. Akt gebührend zum Einsatz - nachdem der 2. Aufzug durch Wechsel der Kostüme und der Häuserfassaden aus der Zeit des Reformationslehrstückdichters Hans Sachs (der Hauptfigur der Handlung!) in die Biedermeier-Ära gerückt wurde: Bieder in jeder Hinsicht gerät die Intrige, die da am Vorabend des Johannistags eingefädelt wird zwischen Sachsens schmuck a-historischem Häuschen und dem wie ein Tresor sich erhebenden Domizil des Goldschmieds und Bürgermeisters Pogner (geschätztes Vermögen: 3,65 Milliarden Euro).
Gekrönt wurde der Widerstreit der Interessen jener lauen Nacht vom Textdichter und Komponisten Wagner bekanntlich durch die "Prügelfuge". Laufenberg lässt sie in einen Rummel münden: Die angetrunkenen bzw. schlaftrunken ihren Betten entsteigenden Bürger fangen nicht untereinander Raufhändel an, sondern geraten mit den zunehmend zahlreicher aufziehenden Schutzleuten aneinander, die vorsorglich mit Karabinern ausgerüstet sind und in die Menge feuern, die hinter einer lächerlich niedrigen Barrikade Schutz suchte.
Der Nachtwächter kehrt als Sensenmann wieder - womit Uwe Eric Laufenberg nicht nur auf Richard Wagners Beteiligung an der Dresdner Revolution von 1849 anspielte, sondern zugleich auf Alfred Rethels Holzschnittfolge "Auch ein Totentanz":
Die Film- und Videoeinblendungen zum letzten Akt, bei dem zunächst das Innere der Behausung von Sachs nach der Mode der 70er Jahre ausgestattet ist, zitieren mehrere historische Ebenen herbei: Indem sich der vor dem Kölner Opernhaus liegende, von 4711-Haus und Bauzaun begrenzte Offenbachplatz als Ersatz für die Nürnberger "Festwiese" eröffnet, wird an die Nachkriegsgeschichte der weitgehend bombenzerstörten Domstadt erinnert und - beiläufig und mit didaktisch klarer Intention - an die davor liegende "dunkle Zeit".
Wie der Stadtrat von Kölle ziehen die Meistersinger live auf der Bühne und zugleich (aus der Perspektive einer Handkamera) vergrößert bzw. nahegebracht ins Opernhaus auf der Opernhausbühne ein (schon vor elf Jahren war der Offenbachplatz Hauptdarsteller in einer von Günter Krämer und Gottfried Pilz gestalteten Produktion von "Hoffmanns Erzählungen").
Überhaupt nimmt Laufenberg selbstreferentiell auf die Geschichte des Kölner Opernhauses Bezug: Auch die unsägliche Festwiesen-Fröhlichkeit einer früheren Kölner "Meistersinger"-Inszenierung wird eingeblendet. Und mit der finalen Mahnung des alten Überlebenskünstlers Hans Sachs - des mit wunderbar charakteristischer Bassstimme dominierenden Robert Holl - eröffnet sich ein Bild-Parcours deutscher Meister: beginnend bei Kölnern wie Kagel und Stockhausen, dann hinausgreifend auf Thomas Mann und Dietrich Genscher, Rudolph Moshammer, Thomas Gottschalk oder Guido Westerwelle. Mit der "Verkölnung" des auf Nürnberg zentrierten Werks ist der neue Kölner Intendant dem örtlichen Publikum weit entgegengekommen. Auch dadurch, dass er die Gattungsbezeichnung "Große Komische Oper" beherzigte.
Mit seiner aufwendigen Einstandsinszenierung zielte Laufenberg auf Vergegenwärtigung, welche die Geschichtlichkeit des Werks wahrnimmt. Freilich kolportierte er dabei so viel Restmüll, dass ein guter Teil der Modernisierungsbemühung wieder neutralisiert erscheint. So passt sich der Kompromisscharakter der Szene dem der musikalischen Interpretation an: Köln hat einen "Neuanfang" bekommen, der wesentlich das Gehabte fortschreibt - das, was den Abstieg ins Provinzielle ausmachte.
Zu dem gehört nicht zuletzt der GMD Stenz. Ein Ende von dessen antimodernem Wirken vor und hinter den Kulissen ist nicht abzusehen und wird fortdauernd ein Problem bleiben. Selbst wenn Uwe Eric Laufenberg besseres im Sinn hat.
Die Meistersinger von Nürnberg
Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner
Premiere an der Oper Köln am 20.9.2009
Musikalische Leitung: Markus Stenz
Inszenierung: Uwe Eric Laufenberg
Bühne und Kostüme: Tobias Hoheisel
In 9 1/2 Minuten präsentiert Stenz eine mittlere Lösung. Auch hinsichtlich der Intonation des präzise einsetzenden und den Temponuancierungen sorgsam folgenden Gürzenich-Orchesters wird ein glatter Kompromiss angesteuert: Auch wenn manche Episode ein wenig träge wirkt, gehen selbst die langatmigen Erörterungen aller erdenklichen Sorten von Meistersinger-Weisen noch halbwegs zügig vonstatten und der Disput des Stadtschreibers und Kritikasters Sixtus Beckmesser mit dem Schuster und Poeten Hans Sachs gerät sogar ausgesprochen agil und feinnervig.
Das kommt Uwe-Eric Laufenbergs präziser Personenführung zustatten. Diese bewegt sich zwar fast stets in völliger Übereinstimmung mit dem offenkundigen Handlungsschema und tastet nichts Hintergründiges an, bei Beckmessers Einschleichen in Sachsens Behausung und dem Entwenden des dort herumliegenden Manuskripts von Stolzings "Preislied" schlägt sie eine kleine Kapriole: Der "Merker" fischt zwei Winkelemente aus einer Kiste des Schumachers und gibt eine kleine Slapstick-Einlage mit den Hakenkreuzwimpeln. "Die Meistersinger" haben nun eben ihre spezifische deutsche Geschichte.
Indem sich der Vorhang zum 1. Akt wieder öffnet, zeigt sich eine neogotisch stilisierte Katharinenkirche und Nürnberger Kirchgänger aller Sorten in einer Kostümierung, wie sie von farbkräftig restaurierten Bildern aus der Reformationszeit her bekannt ist. Inklusive der Hunde am rechten Bildrand. Mit Stolzing, der Eva Pogner anbaggert, und dem Lehrjungen David (in Gestalt des hervorragend singenden Carsten Süß) bleibt das Gestühl in goldenem Glanz zurück.
Der Junker, der um des Fortkommens seiner Liebe auf den ersten Blick und Griff willen nun plötzlich ein Meistersinger werden möchte, fotografiert mit seinem Handy nicht nur die hierfür bestens geeignete Sopranistin Astrid Weber, sondern auch die Regeln für die volkstümlich-kunstvolle Gesangspraxis der Handwerksmeister. So ist in einem Ambiente, das wie eine Parodie auf "Meistersinger"-Inszenierungen früherer Jahrzehnte anmutet, eine Brechung angelegt. Zumal, wenn zum Aktschluss der Vorhang, auf den die Hinterfront des Kirchenschiffs gemalt wurde, herunterfällt und den Blick auf das Gerüst mit Scheinwerfern und Projektoren freigibt.
Letztere gelangen im 3. Akt gebührend zum Einsatz - nachdem der 2. Aufzug durch Wechsel der Kostüme und der Häuserfassaden aus der Zeit des Reformationslehrstückdichters Hans Sachs (der Hauptfigur der Handlung!) in die Biedermeier-Ära gerückt wurde: Bieder in jeder Hinsicht gerät die Intrige, die da am Vorabend des Johannistags eingefädelt wird zwischen Sachsens schmuck a-historischem Häuschen und dem wie ein Tresor sich erhebenden Domizil des Goldschmieds und Bürgermeisters Pogner (geschätztes Vermögen: 3,65 Milliarden Euro).
Gekrönt wurde der Widerstreit der Interessen jener lauen Nacht vom Textdichter und Komponisten Wagner bekanntlich durch die "Prügelfuge". Laufenberg lässt sie in einen Rummel münden: Die angetrunkenen bzw. schlaftrunken ihren Betten entsteigenden Bürger fangen nicht untereinander Raufhändel an, sondern geraten mit den zunehmend zahlreicher aufziehenden Schutzleuten aneinander, die vorsorglich mit Karabinern ausgerüstet sind und in die Menge feuern, die hinter einer lächerlich niedrigen Barrikade Schutz suchte.
Der Nachtwächter kehrt als Sensenmann wieder - womit Uwe Eric Laufenberg nicht nur auf Richard Wagners Beteiligung an der Dresdner Revolution von 1849 anspielte, sondern zugleich auf Alfred Rethels Holzschnittfolge "Auch ein Totentanz":
Die Film- und Videoeinblendungen zum letzten Akt, bei dem zunächst das Innere der Behausung von Sachs nach der Mode der 70er Jahre ausgestattet ist, zitieren mehrere historische Ebenen herbei: Indem sich der vor dem Kölner Opernhaus liegende, von 4711-Haus und Bauzaun begrenzte Offenbachplatz als Ersatz für die Nürnberger "Festwiese" eröffnet, wird an die Nachkriegsgeschichte der weitgehend bombenzerstörten Domstadt erinnert und - beiläufig und mit didaktisch klarer Intention - an die davor liegende "dunkle Zeit".
Wie der Stadtrat von Kölle ziehen die Meistersinger live auf der Bühne und zugleich (aus der Perspektive einer Handkamera) vergrößert bzw. nahegebracht ins Opernhaus auf der Opernhausbühne ein (schon vor elf Jahren war der Offenbachplatz Hauptdarsteller in einer von Günter Krämer und Gottfried Pilz gestalteten Produktion von "Hoffmanns Erzählungen").
Überhaupt nimmt Laufenberg selbstreferentiell auf die Geschichte des Kölner Opernhauses Bezug: Auch die unsägliche Festwiesen-Fröhlichkeit einer früheren Kölner "Meistersinger"-Inszenierung wird eingeblendet. Und mit der finalen Mahnung des alten Überlebenskünstlers Hans Sachs - des mit wunderbar charakteristischer Bassstimme dominierenden Robert Holl - eröffnet sich ein Bild-Parcours deutscher Meister: beginnend bei Kölnern wie Kagel und Stockhausen, dann hinausgreifend auf Thomas Mann und Dietrich Genscher, Rudolph Moshammer, Thomas Gottschalk oder Guido Westerwelle. Mit der "Verkölnung" des auf Nürnberg zentrierten Werks ist der neue Kölner Intendant dem örtlichen Publikum weit entgegengekommen. Auch dadurch, dass er die Gattungsbezeichnung "Große Komische Oper" beherzigte.
Mit seiner aufwendigen Einstandsinszenierung zielte Laufenberg auf Vergegenwärtigung, welche die Geschichtlichkeit des Werks wahrnimmt. Freilich kolportierte er dabei so viel Restmüll, dass ein guter Teil der Modernisierungsbemühung wieder neutralisiert erscheint. So passt sich der Kompromisscharakter der Szene dem der musikalischen Interpretation an: Köln hat einen "Neuanfang" bekommen, der wesentlich das Gehabte fortschreibt - das, was den Abstieg ins Provinzielle ausmachte.
Zu dem gehört nicht zuletzt der GMD Stenz. Ein Ende von dessen antimodernem Wirken vor und hinter den Kulissen ist nicht abzusehen und wird fortdauernd ein Problem bleiben. Selbst wenn Uwe Eric Laufenberg besseres im Sinn hat.
Die Meistersinger von Nürnberg
Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner
Premiere an der Oper Köln am 20.9.2009
Musikalische Leitung: Markus Stenz
Inszenierung: Uwe Eric Laufenberg
Bühne und Kostüme: Tobias Hoheisel