Durch die Wüste
Die Kurzfilmtage in Oberhausen blickten nicht nur nach vorn, sondern auch ins Jahr 1962: An gleicher Stelle trugen 26 deutsche Filmemacher den biederen Film der Nachkriegszeit mit den Worten "Der alte Film ist tot – Wir glauben an den neuen" zu Grabe.
"Ich habe damals Spielfilme geschrieben, also Spielfilmdrehbücher, und hatte sie auch bei Kommissionen eingereicht – vergeblich. Die kamen dann immer wieder zurück. Und dann habe ich so Merkzettel reingelegt. Und wenn ich es zurückbekam, dann lagen die noch an der gleichen Stelle. Und ich dachte, wenn ich jetzt hier in Oberhausen mit den anderen eine Lawine lostrete, dass ich dann auch den einen oder anderen Spielfilm auf dieser Woge verwirklichen kann."
So erinnert sich Bernhard Dörries, einer der 26 Unterzeichner des Oberhausener Manifests, an die Zeit vor 50 Jahren. Für ihn verbesserte sich die Situation kaum, aber für Mitunterzeichner wie Alexander Kluge, Edgar Reitz oder Peter Schamoni war es der Beginn einer Karriere. Wichtiger aber als einzelne Personen war…
(Bernhard Dörries) "Ja, es hat sich was verändert. Das Bewusstsein der Öffentlichkeit, dass es auch noch etwas anderes geben könnte wie Hansi, die irgendwo in den Alpen herumhüpft."
Vom diesjährigen Programm sind die einstigen Manifestanten nicht so begeistert: Sie stufen die Werke als unpolitisch ein: viele persönliche Befindlichkeiten, wenig gesellschaftliche Relevanz. Das allerdings stimmt nur auf den ersten Blick. Denn im "Internationalen Wettbewerb" gab es mehrere interessante Werke, zum Beispiel den Film "EDL" des Libanesen Siska. Er porträtiert das gleichnamige riesige verhasste Elektrizitätsgebäude in Beirut, dessen Leuchtbuchstaben auch nachts dunkel bleiben:
"Dieses Gebäude gleicht einem Monster. Das gilt besonders für die 60er-Jahre, als es gebaut wurde. Denn es war der mit Abstand größte Betonbau, der dort stand. Die Menschen haben einerseits keine besondere Beziehung zu dem Gebäude. Gleichzeitig empfinden sie aber auch Rachegelüste, weil es jeden Tag Stromausfälle gibt. Und irgendwie denken wir, dass sich dort alle unsere Probleme manifestieren."
Historische Bezüge zeigt auch der ägyptische Film "Scirocco”. Regisseur Hisham Bizri schildert darin, inspiriert vom "Arabischen Frühling", wie ein junger Mann am Strand liegend ein riesiges Segelboot untergehen sieht und sich dann auf den Weg durch die Wüste macht. Die Wüste, ein Symbol für Ewigkeit und ein Ort der Selbsterkenntnis:
"Du hast mir ein düsteres Schicksal gezeigt: eine Wüste, die ich alleine durchqueren muss - voller Angst vor Gefühlen und Erinnerungen. Was bringt uns die Zukunft noch? Mein Geist ist verwirrt, kommt nicht zur Ruhe."
Und der indische Filmemacher Sutanoy Chaudhury thematisiert die Industrialisierung seines Landes, die Hand in Hand mit der Enteignung von Agrarland geht. Aber natürlich gab es auch viele Werke, die das Medium Film eher als Spielwiese nutzen oder persönliche Erfahrungen schildern. Werke, die von schwierigen Beziehungen aller Art handeln oder auch vom Tod und dem Wunsch nach Transzendenz. Für Festivalleiter Lars Henrik Gass auch ein Zeichen der Zeit:
"Ich denke, das derzeit sehr stark die Individualisierung und auch individuelle Überlebensstrategie des einzelnen Filmemachers im Vordergrund steht."
Zudem freut er sich, dass die Kurzfilmtage noch mehr als früher zur Bühne für das Weltkino werden:
"Es ist allerdings so, dass neue Filmländer entstehen, die gar keine lange Filmtradition haben. Gerade Südostasien, namentlich Vietnam, Singapur, die in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht haben in der Ausbildung der autonomen Filmszene."
Unter den Filmen des Deutschen Wettbewerbs sticht vor allem "Poesie des Zufalls" hervor. Darin erinnern sich 15 Menschen an Karl, einen Künstler, Sammler und Freund, der nach einem Hausbrand plötzlich verschwand. Schnell entwickelt sich im Kopf des Zuschauers aus den Erinnerungen ein konkreter Charakter. Und doch ist alles auch ein Spiel mit Identitäten.
(1. Mann) "Ist er tot oder nicht? Taucht er wieder auf oder ist es wieder eines seiner Spiele? – (Frau) Also ich kann es mir gut vorstellen, dass er noch lebt. Weil er so ein ganz energiegeladener, lebensfroher Mensch war. – (2. Mann) Für mich ist er immer jemand gewesen, der versucht hat, was zu bewahren. Den Leuten was rüber zu bringen, nicht nur das, was jetzt grad groß gehandelt wird."
Regisseur Daniel Lang reflektiert ein Erlebnis seines Vaters, eines Künstlers, der bei einem Brand ein Teil seiner Werke verlor:
"Und dann kam die Idee, ich könnte mit diesen verbrannten Objekten einen Film machen. Dazu muss ich sagen, dass mein Vater zu einer Kunstrichtung gezählt wird, die Spurensicherung heißt."
Auf der Leinwand wechseln sich sehenswerte und eher bemüht wirkende Filme ab. Die Podiumsdiskussionen hingegen schlagen einen interessanten Bogen von der Vergangenheit zum heutigen Filmschaffen. Dazu gehört auch, dass es den klassischen deutschen Film nicht mehr gibt. Denn viele "deutsche" Beiträge kommen aus Berlin, wo mehr denn je Filmemacher aus der ganzen Welt aktiv sind:
Lars Henrik Gass: "Ich finde das sehr positiv, muss ich sagen. Weil ich nie geglaubt habe, dass eine Nation eine homogene Filmkultur hervorbringen kann."
So erinnert sich Bernhard Dörries, einer der 26 Unterzeichner des Oberhausener Manifests, an die Zeit vor 50 Jahren. Für ihn verbesserte sich die Situation kaum, aber für Mitunterzeichner wie Alexander Kluge, Edgar Reitz oder Peter Schamoni war es der Beginn einer Karriere. Wichtiger aber als einzelne Personen war…
(Bernhard Dörries) "Ja, es hat sich was verändert. Das Bewusstsein der Öffentlichkeit, dass es auch noch etwas anderes geben könnte wie Hansi, die irgendwo in den Alpen herumhüpft."
Vom diesjährigen Programm sind die einstigen Manifestanten nicht so begeistert: Sie stufen die Werke als unpolitisch ein: viele persönliche Befindlichkeiten, wenig gesellschaftliche Relevanz. Das allerdings stimmt nur auf den ersten Blick. Denn im "Internationalen Wettbewerb" gab es mehrere interessante Werke, zum Beispiel den Film "EDL" des Libanesen Siska. Er porträtiert das gleichnamige riesige verhasste Elektrizitätsgebäude in Beirut, dessen Leuchtbuchstaben auch nachts dunkel bleiben:
"Dieses Gebäude gleicht einem Monster. Das gilt besonders für die 60er-Jahre, als es gebaut wurde. Denn es war der mit Abstand größte Betonbau, der dort stand. Die Menschen haben einerseits keine besondere Beziehung zu dem Gebäude. Gleichzeitig empfinden sie aber auch Rachegelüste, weil es jeden Tag Stromausfälle gibt. Und irgendwie denken wir, dass sich dort alle unsere Probleme manifestieren."
Historische Bezüge zeigt auch der ägyptische Film "Scirocco”. Regisseur Hisham Bizri schildert darin, inspiriert vom "Arabischen Frühling", wie ein junger Mann am Strand liegend ein riesiges Segelboot untergehen sieht und sich dann auf den Weg durch die Wüste macht. Die Wüste, ein Symbol für Ewigkeit und ein Ort der Selbsterkenntnis:
"Du hast mir ein düsteres Schicksal gezeigt: eine Wüste, die ich alleine durchqueren muss - voller Angst vor Gefühlen und Erinnerungen. Was bringt uns die Zukunft noch? Mein Geist ist verwirrt, kommt nicht zur Ruhe."
Und der indische Filmemacher Sutanoy Chaudhury thematisiert die Industrialisierung seines Landes, die Hand in Hand mit der Enteignung von Agrarland geht. Aber natürlich gab es auch viele Werke, die das Medium Film eher als Spielwiese nutzen oder persönliche Erfahrungen schildern. Werke, die von schwierigen Beziehungen aller Art handeln oder auch vom Tod und dem Wunsch nach Transzendenz. Für Festivalleiter Lars Henrik Gass auch ein Zeichen der Zeit:
"Ich denke, das derzeit sehr stark die Individualisierung und auch individuelle Überlebensstrategie des einzelnen Filmemachers im Vordergrund steht."
Zudem freut er sich, dass die Kurzfilmtage noch mehr als früher zur Bühne für das Weltkino werden:
"Es ist allerdings so, dass neue Filmländer entstehen, die gar keine lange Filmtradition haben. Gerade Südostasien, namentlich Vietnam, Singapur, die in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht haben in der Ausbildung der autonomen Filmszene."
Unter den Filmen des Deutschen Wettbewerbs sticht vor allem "Poesie des Zufalls" hervor. Darin erinnern sich 15 Menschen an Karl, einen Künstler, Sammler und Freund, der nach einem Hausbrand plötzlich verschwand. Schnell entwickelt sich im Kopf des Zuschauers aus den Erinnerungen ein konkreter Charakter. Und doch ist alles auch ein Spiel mit Identitäten.
(1. Mann) "Ist er tot oder nicht? Taucht er wieder auf oder ist es wieder eines seiner Spiele? – (Frau) Also ich kann es mir gut vorstellen, dass er noch lebt. Weil er so ein ganz energiegeladener, lebensfroher Mensch war. – (2. Mann) Für mich ist er immer jemand gewesen, der versucht hat, was zu bewahren. Den Leuten was rüber zu bringen, nicht nur das, was jetzt grad groß gehandelt wird."
Regisseur Daniel Lang reflektiert ein Erlebnis seines Vaters, eines Künstlers, der bei einem Brand ein Teil seiner Werke verlor:
"Und dann kam die Idee, ich könnte mit diesen verbrannten Objekten einen Film machen. Dazu muss ich sagen, dass mein Vater zu einer Kunstrichtung gezählt wird, die Spurensicherung heißt."
Auf der Leinwand wechseln sich sehenswerte und eher bemüht wirkende Filme ab. Die Podiumsdiskussionen hingegen schlagen einen interessanten Bogen von der Vergangenheit zum heutigen Filmschaffen. Dazu gehört auch, dass es den klassischen deutschen Film nicht mehr gibt. Denn viele "deutsche" Beiträge kommen aus Berlin, wo mehr denn je Filmemacher aus der ganzen Welt aktiv sind:
Lars Henrik Gass: "Ich finde das sehr positiv, muss ich sagen. Weil ich nie geglaubt habe, dass eine Nation eine homogene Filmkultur hervorbringen kann."