Durch ein ganzes Künstlerleben

Von Volkhard App |
Virtuoses Handwerk, kraftvoll zugespitzte Aussagen: Das Albert-König-Museum in Unterlüß zeigt rund 90 Originalzeichnungen und Aquarelle von Horst Janssen. Zugleich erfahren die Besucher biografische Kuriosa aus dem Leben des norddeutschen Malers.
Ein Kabinettstück gleich zu Beginn: 1947 brachte der Teenager Horst Janssen mit präzisen Federstrichen eine Dampfwalze auf's Papier - aber in so lockerem Stil, dass das schwere Gefährt geradezu leicht wirkt.
Durch ein ganzes Künstlerleben führt diese Ausstellung - bis in die 90er-Jahre, als Janssen nach schwerem Unfall seine Sehkraft wiedergewinnen musste und dann mit fantastischen Landschaften das Reich "Bobethanien” pries: benannt nach seiner Geliebten, bestückt mit erotisch aufgeladener Flora. Und auf einer anrührenden Bleistift-Zeichnung bringt die Freundin ihn, den Hilfsbedürftigen, wie ein kleines Kind zu Bett, die Füße baumeln in der Luft, in der Hand hält der Junge einen Schnuller.

Klaus Homann, künstlerischer Leiter des Albert-König-Museums und Kurator dieser Schau:

""Er beherrscht die Feder, den Bleistift, den Kugelschreiber und er beherrscht eben auch die Farbe. Das ist eine Kombination, die sich am Ende seines Schaffens besonders deutlich zeigt. Früher sind es zum Teil reine Bleistift- oder Buntstiftzeichnungen, wo mit Tausenden von Strichen ein Bild gestaltet worden ist. Und die Entwicklung führt zu späten Arbeiten, die ihn als einmaligen Meister zeigen.”"

Die Selbstbildnisse gehören auch in dieser Janssen-Ausstellung zu den Höhepunkten: in abgrundtiefer Verzweiflung schaut er uns an, innerlich aufgelöst, mit gelegentlichem Umschlag ins Bedrohliche. Diese Selbstsicht prägt schon seine Federzeichnung von 1970, obwohl sie im Titel doch den Zusatz "romantisch” trägt. Nicht zu übersehen ist sein sarkastischer Humor: als Janssen einen Oster-Gruß verschickte, strichelte er sich selber als aufgeschlagenes Ei.

Schön sind die Konterfeis auf seinen Blättern selten: ein sogenanntes "Sonntagsgesicht” von 1967 ähnelt einem hässlichen Alien mit kleinen schrägen Augen und einem ebenso kleinen Mund in einem mächtigen Kopf:

""Es ist ein besonderes Blatt, weil es aus unzähligen kleinen Bleistiftstrichen besteht. Gleichzeitig ist der Titel ironisch gemeint, denn es ist ein ziemlich schreckliches Gesicht, das den Besucher berührt und zum Nachdenken anregt.” "

Auf einem weiteren Porträt fällt in der unteren Blatthälfte ein Stempelabdruck auf - "Müllabfuhr” ist da zu lesen und gibt Rätsel auf.

""Das ist ein ganz witziger Einfall von Janssen gewesen. Er wohnte damals in der Warburgstraße in Hamburg. Und als er dieses Domizil verließ, hat er seine Freunde und Bekannten angesprochen und ihnen mitgeteilt, dass das, was er dort an Kunst zur Verfügung habe, jetzt zu günstigen Preisen zu haben sei - denn er wollte damit nicht umziehen. Und dann hat er auf jedes Blatt, das dort rausging, den Stempel ’Müllabfuhr’ gedruckt, daneben das Blatt aber auch signiert.”"

Biografische Kuriosa in dieser aus rund 90 Originalzeichnungen und Aquarellen bestehenden Präsentation. Immer wieder wird man vom virtuosen Handwerk und der kraftvoll zugespitzten Aussage in den Bann geschlagen, obwohl es an Janssen-Ausstellungen in zurückliegenden Jahrzehnten gewiss nicht gemangelt hat. Nicht nur in privaten, sondern auch in öffentlichen Sammlungen ist er gut vertreten. Mit rund 10.000 Blättern verfügt die Hamburger Kunsthalle eigenen Angaben zufolge über den größten Bestand. Und selbst die 2000 Blätter des Oldenburger Horst Janssen-Museums reichen als Basis, um das Oeuvre des Künstlers nach immer neuen Kriterien abtasten zu können: zuletzt untersuchte man Janssens Verhältnis zur deutschen Romantik - und gegenwärtig stehen seine Arbeiten für den Verein "Griffelkunst” im Mittelpunkt. Dazu kommen von ihm entworfene Plakate, die aus der Kollektion des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe stammen.

In Unterlüß wiederum werden Originale einer Privatsammlung vorgestellt - aber die kann mit einem besonderen Schwerpunkt aufwarten. Selten waren so viele Blätter mit Zähnen und ganzen Gebissen zu sehen: eingebettet in skurrile Bildideen, dargestellt aber auch in Form einer "Lehrtafel” - zu komisch, wie Janssen da in Profilzeichnungen den "Überbiß” und den "Unterbiß” veranschaulicht hat.

Diese Motive sind nicht zufällig: denn besagte Sammlung hat ein hannoverscher Zahnarzt kenntnisreich seit den frühen 80er-Jahren zusammengetragen. Janssen wusste, wie er Kunden, Freunde und Bekannte mit persönlich adressierten Blättern umgarnen konnte.

Die Künstlerbiografie von Horst Janssen muss nun nicht etwa neu geschrieben werden, aber markant ist diese zahnärztlich inspirierte Bilderflut allemal - ausgeführt in der dem Künstler eigenen Meisterschaft.

Gesellschaftskritische Akzente werden auf den Blättern kaum einmal gesetzt - in einer Vitrine demonstrieren Briefe an den ehemaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker und an den Hamburger Bürgermeister Voscherau immerhin, dass der Künstler öffentliche Einlassungen nicht scheute.

Eine sehenswerte Schau, von der die mit sparsamsten Etats arbeitenden Kräfte des Albert-König-Museums hoffen, dass sie Publikum nicht nur aus der unmittelbaren Region anzieht:

""Ich glaube, bei dieser Ausstellung, die wirklich weit über den regionalen Bezug, den wir sonst pflegen, hinaus geht, werden nicht nur aus Hamburg und Hannover Besucher kommen, sondern auch darüber hinaus. Da bin ich mir ganz sicher.”"