Sensation bei der SPD: Schulz soll Parteivorsitz aufgeben
Die Große Koalition steht, nun geht es an die Verteilung der Ministerposten. Und eine kleine Sensation scheint sich anzudeuten: Martin Schulz könnte den Parteivorsitz an Andrea Nahles abtreten. Sein Glaubwürdigkeitsproblem würde das aber nicht lösen, meint die Journalistin Mariam Lau.
Der Durchbruch ist da: Union und SPD verkündeten am Vormittag, sich nach zähen Verhandlungen auf eine Koalition geeinigt zu haben. "Ich finde das erfreulich", sagt die Journalistin Mariam Lau im Gespräch mit Anke Schaefer. "Wir haben es uns angewöhnt, etwas ungnädig auf die 'GroKo' zu schauen", meint sie - doch die Ergebnisse seien keineswegs schlechter als bei Jamaika.
Martin Schulz will offenbar den Parteivorsitz abgeben an Andrea Nahles, die Fraktionsvorsitzende, "die damit zur neuen starken Person in der SPD aufsteigen würde", wie unser Korrespondent im Hauptstadtstudio Theo Geers einschätzt. "Das wäre eine Sensation", sagt er - gerade einmal ein gutes Jahr ist her, dass Martin Schulz mit 100 Prozent zum Parteivorsitzenden gewählt wurde und als Hoffnungsträger gehandelt wurde. "Daran sieht man, wie sehr es in der SPD rumort."
Doch Schulz' Glaubwürdigkeitsproblem würde damit erhalten bleiben, meint Mariam Lau. "Er hat erst gesagt: Keine Große Koalition, er hat dann mehrfach gesagt, keinesfalls würde er in ein Kabinett Merkel eintreten - beide Male ist er wortbrüchig geworden. Ich finde schon, dass die Glaubwürdigkeit dieses Kandidaten total lädiert ist." Auch das Thema Europa spielte in seinem Wahlkampf nahezu keine Rolle. "Erst ganz zum Schluss, als Leute ihn darauf hinwiesen - man merkte, dass ihm eine innere Richtschnur dafür fehlt, was politisch richtig ist. Und Andrea Nahles hat vorgelebt, was es bedeutet, so eine zu haben. Insofern fände ich das, wenn es sich bestätigen würde, absolut konsequent."
"Die Union hat ganz schön Federn gelassen"
Schon werden auch erste mögliche Ministerpersonalien benannt. Olaf Scholz könnte aus Hamburg nach Berlin ans Finanzministerium wechseln, Martin Schulz könnte Außenminister werden. Dazu meint Geers: "Das wäre auch keine Neuheit, das hatten wir in der ersten Großen Koalition 2005 auch schon mal, dass die SPD das Außenministerium damals mit Frank Walter Steinmeier und das Finanzministerium mit Peer Steinbrück besetzte. Das wäre kein 'Dammbruch'." Olaf Scholz in Berlin wäre für ihn eine kompetente Besetzung.
"Was die Union betrifft: Die hat ganz schön Federn gelassen, vor allem die CDU", meint Geers. "Das Finanzressort ist weg, das Innenressort soll an die CSU gehen - wo ja Horst Seehofer im Gespräch ist, dass er ein aufgewertetes Innen- und Heimatministerium übernehmen soll." Und er meint: "Es wird in der Union auch langsam darum gehen müssen, die Weichen für die Merkel-Nachfolge zu stellen!"
Annegret Kramp-Karrenbauer werde immer wieder als eine potenzielle Nachfolgerin genannt und die "müsste dann aufgebaut werden und das kann nur im Kabinett geschehen." Und sie bräuchte auch ein wichtiges Ministerium dafür, um sich einen Namen zu machen in Deutschland und in Europa - das Finanzministerium sei geeignet dafür.
Die SPD zwischen "Baum und Borke"
Doch nun steht noch der Mitgliederentscheid bei der SPD aus. Manche der Mitglieder, die darüber mitbestimmen dürfen, sind unter 18 oder haben keinen deutschen Pass, denn für eine Mitgliedschaft in der SPD gelten nicht dieselben Maßstäbe wie für das Wahlrecht. "Dass Doppelstaatler in beiden Ländern wählen können, empfinde ich auch als Problem", sagt Mariam Lau. Nun hätten sie über den Entscheid Einfluss auf die Regierungsbildung in Deutschland. Doch die genauen Zahlen, wie viele es sind, seien unbekannt, gibt sie zu bedenken.
Seit Jahresbeginn habe es 24.000 Eintritte in die Partei gegeben, erzählt Geers. "Und wir wissen, dass es beim letzten SPD-Parteitag denkbar knapp war." Dieses "zwischen Baum und Borke"-Gefühl der SPD wird uns auch in den kommenden Wochen noch beschäftigen", meint er.
Streitpunkt Gesundheitspolitik soll in Kommission geklärt werden
Der nun vorliegende 177-seitige Entwurf des Koalitionsvertrags trägt die Überschrift "Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land". Ein wichtiger Streitpunkt zwischen Union und SPD war bis zum Schluss die Gesundheitspolitik. Nun legten beide Seiten fest, dass die Honorarordnungen für Ärzte reformiert werden sollen. Eine Kommission soll dafür bis 2019 Vorschläge erarbeiten. Insgesamt gesehen beurteilt die ZEIT-Journalistin Mariam Lau die Vereinbarungen als "gar nicht so schlecht".
Allerdings hätten sowohl die Union als auch die SPD die Zwischenergebnisse der Verhandlungen schlecht medial vermittelt: "Ich finde, dass beide Parteien sich nicht sehr geschickt angestellt haben, Kompromisse als Kompromisse zu feiern. Sondern sie haben immer gesagt: 'Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen'. Und das ist für den Bürger natürlich total unglaubwürdig."