Das teuerste Loch der Welt
Er wurde als Wunderwerk der Technik gefeiert oder auch als Milliardengrab verdammt: der Eurotunnel, der Großbritannien mit dem französischen Festland verbindet. Vor 25 Jahren gelang französischen und britischen Bauarbeitern in der Mitte des Stollens unter dem Ärmelkanal der Durchbruch.
"Für uns war das eine große Freude. Als wir uns dann durch das Loch die Hände schüttelten, sagte Graham Fagg zu mir: Bonjour mon ami, und ich antwortete ihm: Welcome in France. Diese Begrüßungsworte hatten wir uns zuvor eingeprägt. Dann haben wir die Flaggen unserer Länder ausgetauscht."
Es war exakt 12:12 Uhr, daran erinnert sich der französische Tunnelarbeiter Philippe Cozette noch genau, als er 40 Meter unter dem Bett des Ärmelkanals den letzten Gesteinsbrocken durchschlug, der Frankreich noch von England trennte.
"An dem Tag des ersten historischen Durchbruchs, am 1. Dezember 1990, bin ich durch das Loch gestiegen und mit einer englischen Draisine nach England hinüber gefahren. Die englischen Kollegen machten es umgekehrt und fuhren mit einer französischen Draisine auf die französische Seite."
Sieben Jahre lang hatten 15.000 Arbeiter von zwei Seiten aus einen gut 50 Kilometer langen Stollen gegraben, der das französische Dorf Coquelles bei Calais mit der englischen Hafenstadt Folkestone verbindet. Davon geträumt, Frankreich und Großbritannien durch einen Tunnel zu verbinden, hatte bereits Napoléon Bonaparte. Schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts existierten Pläne, die beiden Staaten auf dem Schienenweg zu verbinden, doch immer wieder tauchten unüberwindbare technische Schwierigkeiten auf. In 200 Jahren gab es 27 vergebliche Versuche, das Tunnelprojekt zu verwirklichen. Immer auf Betreiben der Franzosen, die durch die zögerliche Haltung der Engländer regelmäßig ausgebremst wurden.
"Das stürmische Bollwerk, das Gott um unsere Küste gelegt hat, darf nicht unterminiert werden."
So formulierte es der britische Premierminister Lord Palmerston im 19. Jahrhundert. Viele Konservative, die keine Veränderung Englands wollten, führten auch noch 100 Jahre später massenhaft Argumente gegen einen Tunnelbau ins Feld: Manche warnten vor einer militärischen Invasion, andere befürchteten, dass Füchse die Tollwut einschleppen könnten.
Wieder andere glaubten, dass durch den Tunnel der Drogenschmuggel zunehmen könnte. Allen Unkenrufen zum Trotz besiegelten Margaret Thatcher und François Mitterand 1986 schließlich in der Kathedrale von Canterbury den Bau eines Eisenbahntunnels, beschlossen jedoch, dass kein Geld aus den Staatskassen in das Milliardenprojekt fließen durfte.
Bau, Finanzierung und Betrieb wurden deshalb der britisch-französischen Gruppe Eurotunnel übertragen. 1994 trafen sich Königin Elizabeth II. und Präsident Mitterand auf halber Strecke und weihten zu Beethovens Ode an die Freude den Eurotunnel ein, wobei die Queen ihre Rede auf Französisch hielt.
"Zum ersten Mal in der Geschichte treffen sich die Oberhäupter beider Staaten, ohne ein Boot oder ein Flugzeug benutzen zu müssen. Dies ist eine der größten technischen Errungenschaften. Die Kombination aus französischem Elan und britischem Pragmatismus hat sich als sehr effektiv erwiesen."
Mitterand: "Madame, jetzt haben wir eine gemeinsame Landesgrenze, und was für eine!"
Baukosten waren doppelt so hoch wie geschätzt
Im Gegensatz zu Mitterand hatten hunderttausende von Kleinanlegern keinen Grund zum Jubeln, denn sie zahlten für die finanziellen Fehlplanungen im Tunnelbau, zu denen noch geringere Passagierzahlen als erwartet und Konkurrenz durch Billigflieger kamen. Die Baukosten überstiegen mit 15 Milliarden Euro die ursprünglichen Schätzungen um das Doppelte, denn allein das Tunnelsicherheitssystem verschlang gigantische Summen.
Die Züge fahren in zwei separaten Röhren, zwischen denen eine dritte liegt, ein Service- und Rettungstunnel, in den Passagiere bei Gefahr über Notausgänge flüchten können. Zwei Brände erforderten eine groß angelegte Überarbeitung des Brandschutzsystems. Zu schweren Personenunglücken kam es bislang jedoch nie.
2007 schrieb das "teuerste Loch der Welt" erstmals schwarze Zahlen. Heute nutzen jährlich über sieben Millionen Menschen diese Verbindung. Die Strecken sind für Hochgeschwindigkeitszüge ausgelegt, und mit dem Eurostar gelangt man in drei Stunden von Paris nach London.
Immer wieder kam es zu Zwischenfällen, weil Flüchtlinge versucht haben, als blinde Passagiere in LKWs auf den Zügen oder zu Fuß nach England zu kommen. 2015 soll es nach Schätzungen der Betreibergesellschaft Eurotunnel etwa 40.000 solcher Versuche gegeben haben. Die allermeisten scheiterten. Denn mit verschärfter Polizeipräsenz, Zäunen und Spürhundstaffeln setzt Großbritannien alles daran, sich gegen illegale Grenzübertritte durch den Eurotunnel abzuschotten.