Durchgebrannt mit Hildegard Knef
Auf ganz unsentimentale Weise geht Philip Reichardt nach dem Tod seines Vaters auf Spurensuche: Was verbindet den Senior mit dem Junior? Was war der Verstorbene für ein Mensch? Er war ein Mensch, der die Frauen, gutes Essen und das Reisen liebte, findet der Autor in "Auf einmal war er nicht mehr da" unter anderem heraus.
Bundestagswahl 2002. Montag in aller Frühe schrillt das Telefon, die Nachricht "Der Vater ist tot" erreicht Philip Reichardt, einen erfolgreichen Blattmacher, Mitte Vierzig. Er hätte gerne noch die Wiederwahl Gerhard Schröders mit seinem Vater diskutiert, doch der, ehemaliger Redakteur der Zeitschrift "Vogue", war in der Nacht gestorben.
Ein Schock für den Sohn, der tags zuvor noch eine Nachricht von ihm auf die Mailbox bekam, doch nicht gleich geantwortet hatte. Das Grübeln setzt ein: Wollte der Vater noch etwas Wichtiges mitteilen? Hatte er eine Vorahnung, dass er die Nacht nicht überleben würde? Philip Reichardt beschreibt die plötzliche Konfrontation mit dem Tod seines Vaters in ruhigen, klaren Sätzen. "Auf einmal war er nicht mehr da" heißt sein Erinnerungsbuch, das Spurensuche im Leben eines über weite Strecken unbekannten Verwandten und zugleich Selbstvergewisserung des Autors ist.
Er organisiert das Begräbnis und löst mit seiner älteren Schwester die Wohnung des Vaters auf. Für die Tochter eine eher organisatorische Aufgabe, den Sohn jedoch eine Annäherung an fremdes Leben, eine Recherche.
Der 1963 geborene Reichardt junior versucht herauszufinden, was ihn mit dem 1928 geborenen Reichardt senior verbindet. Er sichtet dessen Platten- und Büchersammlung, erinnert Szenen einer Kindheit, in denen er mit dem Vater in amerikanischen Plattenläden stöbert oder dieser im Wohnzimmer zur Musik der Beatles tanzt. Reichardt versucht, sich anhand von Gesprächen mit alten Bekannten, zurückgelassenen Briefen, Photos und einem Tagebuch in ihn hineinzudenken.
Die Entfernung zwischen Vater und Sohn wird deutlich. Es entsteht das Porträt zweier Generationen, die unterschiedlicher kaum aufgewachsen und geprägt sein können. Reichardts Vater hatte als Flakhelfer den Feuersturm in Dresden überlebt, war als Siebzehnjähriger in britische Gefangenschaft geraten, hatte sich im Nachkriegsdeutschland als Halbwüchsiger rücksichtslos durchgeschlagen. In den frühen Fünfzigern erhielt er ein Stipendium für eine amerikanische Universität und begann seine Karriere als Journalist im Wirtschaftswunderland Deutschland.
Er liebte das Reisen, die Frauen, gutes Essen. Mit Hildegard Knef war er einmal durchgebrannt. Philip Reichardt rekonstruiert die Persönlichkeit seines Vaters und lernt dabei viel über seine Familie und auch über sich selbst. Er durchforstet Archive, reist herum, um Belege über jene Zeiten im Leben seines Vaters zu finden, von denen er nichts weiß. Einerseits war der Vater ein "Storyteller", dessen Geschichten allzu oft eher seiner Wunschbiografie als der Wirklichkeit entsprachen. Andererseits war er ein Schweiger, der seine tieferen Gefühle und Motive nicht mitteilte.
Indem Philip Reichardt sowohl den Vater als auch selbstkritisch die eigenen Gefühle beschreibt, wird sein Buch zum literarischen Protokoll einer Vater-Sohn Beziehung, wie sie vielen der heutigen Mittvierzigern bekannt sein dürfte. Durch die unsentimentale Art und Weise, in der Philip Reichardt den charakteristischen Motiven dieses Verhältnisses nachgeht, erhält sein Buch eine Bedeutung, die weit über eine private Spurensuche hinaus geht.
Rezensiert von Carsten Hueck
Philip Reichardt: Auf einmal war er nicht mehr da
Luchterhand Verlag, München 2008
251 Seiten, 19,95 Euro
Ein Schock für den Sohn, der tags zuvor noch eine Nachricht von ihm auf die Mailbox bekam, doch nicht gleich geantwortet hatte. Das Grübeln setzt ein: Wollte der Vater noch etwas Wichtiges mitteilen? Hatte er eine Vorahnung, dass er die Nacht nicht überleben würde? Philip Reichardt beschreibt die plötzliche Konfrontation mit dem Tod seines Vaters in ruhigen, klaren Sätzen. "Auf einmal war er nicht mehr da" heißt sein Erinnerungsbuch, das Spurensuche im Leben eines über weite Strecken unbekannten Verwandten und zugleich Selbstvergewisserung des Autors ist.
Er organisiert das Begräbnis und löst mit seiner älteren Schwester die Wohnung des Vaters auf. Für die Tochter eine eher organisatorische Aufgabe, den Sohn jedoch eine Annäherung an fremdes Leben, eine Recherche.
Der 1963 geborene Reichardt junior versucht herauszufinden, was ihn mit dem 1928 geborenen Reichardt senior verbindet. Er sichtet dessen Platten- und Büchersammlung, erinnert Szenen einer Kindheit, in denen er mit dem Vater in amerikanischen Plattenläden stöbert oder dieser im Wohnzimmer zur Musik der Beatles tanzt. Reichardt versucht, sich anhand von Gesprächen mit alten Bekannten, zurückgelassenen Briefen, Photos und einem Tagebuch in ihn hineinzudenken.
Die Entfernung zwischen Vater und Sohn wird deutlich. Es entsteht das Porträt zweier Generationen, die unterschiedlicher kaum aufgewachsen und geprägt sein können. Reichardts Vater hatte als Flakhelfer den Feuersturm in Dresden überlebt, war als Siebzehnjähriger in britische Gefangenschaft geraten, hatte sich im Nachkriegsdeutschland als Halbwüchsiger rücksichtslos durchgeschlagen. In den frühen Fünfzigern erhielt er ein Stipendium für eine amerikanische Universität und begann seine Karriere als Journalist im Wirtschaftswunderland Deutschland.
Er liebte das Reisen, die Frauen, gutes Essen. Mit Hildegard Knef war er einmal durchgebrannt. Philip Reichardt rekonstruiert die Persönlichkeit seines Vaters und lernt dabei viel über seine Familie und auch über sich selbst. Er durchforstet Archive, reist herum, um Belege über jene Zeiten im Leben seines Vaters zu finden, von denen er nichts weiß. Einerseits war der Vater ein "Storyteller", dessen Geschichten allzu oft eher seiner Wunschbiografie als der Wirklichkeit entsprachen. Andererseits war er ein Schweiger, der seine tieferen Gefühle und Motive nicht mitteilte.
Indem Philip Reichardt sowohl den Vater als auch selbstkritisch die eigenen Gefühle beschreibt, wird sein Buch zum literarischen Protokoll einer Vater-Sohn Beziehung, wie sie vielen der heutigen Mittvierzigern bekannt sein dürfte. Durch die unsentimentale Art und Weise, in der Philip Reichardt den charakteristischen Motiven dieses Verhältnisses nachgeht, erhält sein Buch eine Bedeutung, die weit über eine private Spurensuche hinaus geht.
Rezensiert von Carsten Hueck
Philip Reichardt: Auf einmal war er nicht mehr da
Luchterhand Verlag, München 2008
251 Seiten, 19,95 Euro