"Das ist sprachliche Aufrüstung, die zu Gewalt führen wird"
Hinter Gaulands Rhetorik stecke der Versuch einer neuen Geschichtspolitik der Rechten, sagt Durs Grünbein. Der Schriftsteller kann sich vorstellen, dass die AfD an der Macht dafür sorgen würde, in den Schulen die Thematisierung des Nationalsozialismus herunterzufahren.
Andrea Gerk: Der Umgangston in Medien, sozialen Netzwerken und in der Politik ist rau geworden, bösartig und oft hasserfüllt, wie es dieser Tage AfD-Chef Gauland wieder mal vorgeführt hat. Leider ist er längst kein Einzelfall, und über diese Veränderung öffentlichen Sprechens möchte ich heute mit einem besonderen Sprachexperten reden, bei mir im Studio ist der Schriftsteller Durs Grünbein, der als Dichter einen besonders intensiven Blick auf Sprache hat.
Guten Morgen, Herr Grünbein, herzlich willkommen!
Durs Grünbein: Guten Morgen!
Gerk: Sie beobachten schon länger eine Verrohung der Sprache, vor allem in der Politik, in Bundestagsdebatten. "Die Sprache stimmt nicht", haben Sie gesagt nach ihrer viel beachteten Streitdiskussion mit Uwe Tellkamp in Dresden über den politischen Diskurs. Was stimmt denn Ihrer Meinung nach daran nicht?
Eine klare Radikalisierung
Grünbein: Na, vielleicht sollte ich vorausschicken, ich bin kein Sprachexperte, ich bin nur anscheinend besonders empfindlich, das merke ich immer, für gewisse Tendenzen im öffentlichen Sprechen. Und hier kann man schon seit längerer Zeit eine ganz klare Radikalisierung beobachten. Und diese Radikalisierung, meine ich, hat nichts zu tun mit dem, was wir sonst immer mal als Entgleisung kannten, sondern es sind bewusste, gesetzte Provokationen.
Es wird auch immer schärfer von Mal zu Mal. Dann gibt es ein kleines Zurücktreten, da wird die Wirkung studiert, und so weiter. Das ist natürlich aktive Politik.
Gerk: Wir können uns das ja noch mal anhören, was Herr Gauland da gesagt hat.
O-Ton Alexander Gauland: Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte.
Gerk: Das ist ja eigentlich besonders perfide, dass man sich erst zu seiner Verantwortung bekennt und dann so eine Ungeheuerlichkeit da hinterherschiebt. Was ist denn das für eine Rhetorik?
Grünbein: Hinter dieser Rhetorik steckt ja ganz klar der Versuch einer neuen Geschichtspolitik der Rechten. Früher nannte man das Revision, Revisionismus. Der Versuch, dieses Kapitel der deutschen Geschichte eben doch wieder stark zu bagatellisieren. Also ich könnte mir vorstellen, dass, wenn die AfD mal an der Macht ist, dass sie dann dafür sorgen, in den Schulen die Thematisierung des Dritten Reichs runterzufahren und eben die ganzen anderen Epochen der deutschen Geschichte wieder verstärkt in den Vordergrund zu rücken.
Das ist sozusagen der Effekt, der bei einigen in der AfD jedes Jahr wieder bei der berühmten Kyffhäuser-Rede versucht wird. Da geht es also eher um diese tausendjährige Perspektive und das ist ein deutlicher Revisionismus, darum geht es eigentlich. Damit wird sozusagen der Respekt oder gar die Trauer um die Opfer des "Dritten Reiches" formalisiert auf eine Weise, das ist dann praktisch noch ein Lippenbekenntnis, aber es hat überhaupt keine politische Funktion mehr, die es ja jetzt hat.
Wir betreiben ja keinen "Schuldkult", um dem deutschen Volk ins Gewissen zu reden, sondern wir tun das eigentlich, um uns selber klarzuwerden, woher wir kommen und wogegen wir uns abgrenzen müssen. Darauf beruht dieser Staat, dass er eine Geschichtspolitik macht, die praktisch aktiv die Lehre gezogen hat aus den Verbrechen des Dritten Reiches. Und in dem Moment, wo ich das bagatellisiere, an den Rand schiebe – und das ist das Ziel dieser Politik –, relativiere ich es natürlich komplett.
Gerk: Aber gibt man sich nicht, indem man vorher erst mal sagt, man bekennt sich dazu, dann auch den nötigen Anstrich zur Seriosität scheinbar? Das ist ja ganz schön auch geschickt gemacht eigentlich oder?
Grünbein: Dieses Bekenntnis sehe ich nirgendwo.
Gerk: Ja, eben. Aber es wird halt behauptet.
Grünbein: Na ja, das ist ja ein uralter Trick. Das ist eine kurze Verbeugung in diese eine Richtung, aber wir wissen genau, dass ab dann das Problem "Drittes Reich" für die AfD erledigt ist, es soll erledigt sein.
Gerk: Und das ist ja der Blick zurück, aber wir hören uns noch mal an, wenn es darum geht, eben ins Jetzt zu schauen, da wird ja auch ordentlich ausgeteilt, wenn man an die Rede im Bundestag von Alice Weidel denkt.
O-Ton Alice Weidel: Die Auffettung der Einwohnerzahl durch zugewanderte Straftäter mit mehrfachen Identitäten scheint Sie überhaupt gar nicht zu stören. Doch ich kann Ihnen sagen, Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.
Gerk: Also da gab es heftige Reaktionen, da wird ja auch in den Medien immer auf so etwas ganz stark reagiert, wir sprechen ja, wir beide, jetzt auch darüber. Ist das eigentlich richtig, das so prominent dann immer zu diskutieren?
Die Sprache der Diskriminierung
Grünbein: Na ja, also das ist jetzt hier zum Beispiel die Sprache der Diskriminierung, ganz klar. Es werden einige Personen, Elemente in dieser Gesellschaft aufgezählt und dann heißt es, und andere Taugenichtse.
Also auch Kopftuchmädchen und Burkaträgerinnen sind also schon mal Taugenichtse. Das ist eine merkwürdige Mischung. Wer mit den Messermännern gemeint ist, ist klar, da gibt es eine gewisse Angst jetzt in der Gesellschaft seit es immer wieder Vorfälle gibt wie neulich in dem Zug. Und das wird nun aber in eine große Reihe gestellt, sodass also auch friedliche Ausländer, die praktisch ihre eigene Kultur erst mal nur leben, in eine Reihe mit Taugenichtsen gestellt werden und diskriminiert und entwertet, radikal abgewertet werden. Und das ist natürlich eine Technik und das können wir beobachten, die führt dann auch wiederum zu einer Enthemmung.
Das hatten wir schon mal, da kommt jetzt doch die Lehre aus dem "Dritten Reich": Das fängt praktisch mit verbaler Entwertung einzelner Gesellschaftsmitglieder an, und dann dauert es nicht mehr lange, da geht einer quer über die Straße und haut dem einen vor den Kopf, weil es ja eh nur Ungeziefer ist. Und das meine ich, das ist sprachliche Aufrüstung, die nachher zu direkter physischer Gewalt führen wird, das wissen wir.
Gerk: Und das findet ja auch nicht nur eben in der Politik statt oder? Das hört man ja auch, wo machen Sie das noch fest, hören Sie das auch in den Nachrichten, sehen Sie es in den Medien, wo ist das überall?
Dieselben wiederkehrenden Schlagworte
Grünbein: Das führt zum Beispiel irgendwann zu so einem reflexhaften Sprechen. Man hört es auch bei diesen Demonstrationen, da geht es dann immer schon als reflexhaftes Sprechen, wo wir ja nun merken, es wird nicht mehr zugehört, sondern es wird immer nur wiederholt. Das sind dieselben wiederkehrenden Schlagworte, Schmähworte, und damit setzt auch gewissermaßen eine Programmierung auch dieses Publikums ein, das dafür empfänglich ist.
Ich merke schon, zum Beispiel, das fällt mir auf in der politischen Rhetorik der AfD: Es sind ja immer wieder dieselben Themen, dieselben Schlagworte, wenig Variabilität, aber die schaffen es wie jetzt hier auch in unserem Gespräch die Aufmerksamkeit an sich zu ziehen. Es ist jetzt nicht etwa eine große Palette an politischen Themen. Nein, nein, es sind diese zwei, drei, auf das ist es verengt. Und damit, wahrscheinlich, kann diese Partei auch politisch einigermaßen erfolgreich sein. Gerade in der Simplifizierung.
Gerk: Also es wird simplifiziert, es wird diffamiert, es wird Revisionismus betrieben, es werden auch einfach Lügen verbreitet. Was bewirkt das denn, wenn quasi das Lügen so salonfähig und ganz normal wird, dass man Dinge vernebelt und verharmlost?
Grünbein: Na, zu diesen Charakteristika einer solchen Parteien-Kampfsprache gehört eben auch das buchstäbliche Einbläuen, das Einbläuen weniger Inhalte. Und das kann man beobachten an der Stelle. Das Setzen von gewissen Reizworten oder die Umwertung von Worten. Ich habe bei Klemperer in der "LTI" mal eine schöne Formulierung gefunden.
Schon 1933, da ist Hitler kurz an der Macht, fällt ihm auf, Volk wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie Salz beim Essen, an alles gibt man eine Prise Volk. Und wir erinnern uns jetzt auch, wie in der politischen Rhetorik der AfD das Wort Volk plötzlich eine andere Wertigkeit hat. Natürlich adressieren ein Bundeskanzler, eine Bundeskanzlerin und die anderen Politiker im Parlament immer wieder mal die Rede an das deutsche Volk, mindestens einmal im Jahr zur Neujahrsansprache.
Das Wort Volk - wie eine Keule
Aber hier wird nun zum Beispiel dieses extrem politisch aufgeladene Wort Volk wie eine Keule geschwungen und als Drohung verwendet. Denn in dieses Volk gehören einige schon nicht mehr oder sollen nicht mehr gehören. Der Dichter Brecht hat ja nach dem Krieg mal überlegt, wenn man eine neue Nationalhymne jetzt hier braucht, sollte man das wohl besser durch das Wort Bevölkerung ersetzen. Ihm fiel als Dichter natürlich auf, dass das nicht so gut reimt oder klingt, und das ist metrisch ein bisschen fatal. Aber eigentlich waren wir so weit, dass wir anstatt von Volk eher von Bevölkerung sprachen, um das offen zu halten.
Gerk: Wir haben uns in der Vorbereitung auch gefragt, wo das sonst noch zu hören ist. Das ist ja nicht allein ein Phänomen, das bei der AfD auftritt. Da ist uns zum Beispiel eingefallen, dass ja auch Andrea Nahles von der SPD sich mal so eine Entgleisung erlaubt hat.
O-Ton Andrea Nahles: Und ab morgen kriegen Sie in die Fresse.
Gerk: Ist das eigentlich der Versuch, da einfach mal so kumpelhaft sozialdemokratisch rüberzukommen, und das ist dann völlig in die Hose gegangen? Weil ganz so fies klingt es nicht, aber es ist schon auch kein guter Stil, oder?
Grünbein: Nee, es ist auch unschön. Es bleibt dabei, das ist so ein bisschen Hooligan-Sprache, Fußballplatzsprache, Kneipensprache – wenn man ein bisschen Sympathie noch reinmischt, könnte man sagen, ja gut, es soll wohl an das alte Arbeitermilieu, quasi das ideale Publikum der SPD, anschließen, aber man sollte es lassen, ja.
Gerk: Ja, mir ist auch eingefallen, dass ja früher, also in meiner Kindheit, wenn man Wehner hat sprechen hören oder Franz Josef Strauß, die haben ja auch ordentlich ausgeteilt, da gibt es tolle Protokolle von Ordnungsrufen im Bundestag. Und gerade Franz Josef Strauß hat ja auch nichts ausgelassen, den haben wir auch mal rausgesucht.
O-Ton Franz Josef Strauß: Ach halten Sie doch den Mund, Sie Trottel! Ich sage schon seit längerer Zeit, wenn Sie kein Hirn haben, dann halten Sie das Maul wenigstens!
Gerk: Also da wird auch gelacht, Franz Josef Strauß, der die Studenten beschimpft. Aber gelacht wird ja heute bei diesen Schimpftiraden eigentlich nicht, das ist schon ein ganz anderer Ton.
Grünbein: Ja, man muss auch sehen, dass bei den jetzigen Rechten oft sehr klar ad personam argumentiert wird, da werden die Namen dann auch genannt, die werden quasi auch namentlich gebrandmarkt für das, was sie da tun. Ansonsten, diesen rauen Ton, den hat man natürlich zu allen Zeiten im Bundestag gehabt.
Aber, wie sie schon zeigen konnten oder hörbar machen konnten, es gab auch immer wieder dann dieses befreiende Gelächter, mit dem das aufgehoben wurde. Und was zum Beispiel interessanterweise auch dem Klemperer früh aufgefallen war am NS war, diese seltsame, merkwürdige Fühllosigkeit gegen jede satirische Komik.
Ein Klima der Angst
Das ist interessant, das Wesen der Nazis, dass die da fast unempfindlich waren gegen das Komische in sich. Das heißt, die brauchten auch da nicht mehr drauf zu achten. Das Lachen hatte alsbald aufgehört und wich sozusagen einem Klima der Angst.
Gerk: Also müssen wir wachsam sein, wenn Sie sagen, wir sind schon quasi in so einer Vorstufe, wo das auch kippen kann. Was sollen wir tun?
Grünbein: Mir fällt auf, also wurde ja immer argumentiert, es wurde von den existenziellen Ängsten der Bürger ausgegangen, die jetzt dazu geführt haben. Und seit einiger Zeit beobachte ich im Netz, immer wieder gibt es dazu Beiträge, dass wir jetzt tatsächlich auf der anderen Seite bei eher linken, liberalen Menschen eher plötzlich so ein neues Angstgefühl haben, dass die sich fragen, ja was tue ich eigentlich, wenn diese Seite jetzt hier die Mehrheit stellt. Und darüber wäre nachzudenken.
Gerk: Auf jeden Fall, das machen wir weiter. Durs Grünbein, vielen Dank für dieses Gespräch. Und wir setzen wie gesagt auch unsere Sprachbetrachtungen auch in der "Lesart" auch noch fort.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.