Durs Grünbein über

"Menschenfleisch"

Durs Grünbei über "Menschenfleisch"
Durs Grünbein © imago / IPON
"Ich rieche, ich rieche Menschenfleisch", sagt der Teufel im Märchen "Von dem Teufel mit den drei goldenen Haaren", als er zu seiner Frau nach Hause kommt und den Holzhacker wittert, der unter seinem Bett liegt.
Die Frau aber lenkt ihn ab und behauptet: "Du hast den Schnupfen, und da steckt dir immer der Geruch von Menschenfleisch in der Nase, wirf mir nicht alles durcheinander, ich habe eben erst gekehrt."
Der Holzhacker hat einen Auftrag zu erfüllen, er will die Prinzessin erobern, und dazu muss er die drei goldenen Haare bringen, die der Teufel auf dem Kopf trägt. Dafür muss er unter anderem einen Schiffer befreien, der ihn übersetzt ins Höllengelände und keine Lust mehr hat, auf ewig die Leute zu transportieren. Das verspricht der Holzhacker, wie ein redlicher Journalist: "Wenn ich wieder komme."
Eine Parabel, was sonst? Aber in ihr findet sich manches, was dieser Tage geschieht und die Weltpolitik mächtig durcheinanderwirbelt. Denn da sind viele Leute, die übergesetzt werden wollen vom anderen Ufer des Mittelmeeres. Und da ist wieder einer, der von Menschenfleisch spricht, und er meint damit die Flüchtlinge auf ihren klapprigen Kähnen und Schlauchbooten, die ihnen Schlepper, keine Schiffer, für ihr letztes Geld zur Verfügung stellen.
Es war der italienische Innenminister Matteo Salvini, der das hässliche Wort in Umlauf setzte. In einem auf Facebook verbreiteten Video bezeichnete er 250 Migranten, die sich an Bord eines Schiffes der deutschen Hilfsorganisation Lifeline befanden, als eine "Ladung Menschenfleisch" – carne umana in seiner schönen Landessprache, die plötzlich alles andere als schön klingt. Und auch er ist nicht gerade eine Schönheit.
Die Photographien zeigen ein Gesicht mit teigigen Zügen, einen Politikerkopf, allgegenwärtig, mit Geheimratsecken und schwarzem Haar, das ihm auf der Stirn zu einer Spitze frisiert ist. Ein kleiner Mephisto der Rechtsnationalisten, der gern mit Worten zündelt, das ist dieser Führer der Lega Nord.
Sollen die anderen doch, Spanier, Griechen, Türken, diese Menschenfracht aufnehmen, am besten die Deutschen mit ihrer anmaßenden Philanthropen-Regierung fern von den Problemen der Erstaufnahmeländer, zu denen Italien gehört, das jahrelang klaglos den Retter spielte: Sie haben die Flüchtlingsmassen doch erst gerufen. Und so wird er als der muntere Teufel vom Dienst in das neue "Wörterbuch des Unmenschen" eingehen, das in diesen Tagen geschrieben wird, lange nachdem die Sprache des Nationalsozialismus, an der Dolf Sternberger den Prozess der Entmenschlichung studierte, verklungen ist.
Jeder hat seinen Versuch, mit dem er in die Annalen eingeht, und auch Signore Salvini, der teuflische Capo aus dem satten, wohlanständigen Mailand hatte den seinen.
"Kalt-Deutsch. Die Sprache der Gegenwart." Deutschlandfunk Kultur nimmt die Veränderungen in der Sprache unserer Gegenwart unter die Lupe und schreibt das Wörterbuch der Alltagssprache weiter.
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