Durstiger Drache

Von Petra Aldenrath |
Während es im Süden von China oft zu Dauerregen und anschließenden Überflutungen kommt, vertrocknet der Norden - auch Peking ist betroffen. Den Wassermangel soll eine über 1000 Kilometer lang Tunnel- und Kanalstrecke in und um die chinesische Hauptstadt bekämpfen. Doch Fachleute bezweifeln, dass damit das Wasserproblem gelöst werden kann.
Herr Ding und Herr Duan stehen am Ufer des Wasserreservoirs, das an ihr Dorf grenzt. Der Wind pfeift den beiden Männern um die Ohren. Das Wasserreservoir liegt in einer kargen Ebene in der Provinz Hebei, etwa 120 Kilometer von der Hauptstadt Peking entfernt.

Die Gegend ist ein typisches Maisanbaugebiet. Doch die Felder zu bewässern wird immer schwieriger. Herr Ding ist fast 90 Jahre alt. Er hat miterlebt, wie sich seine Heimat veränderte. Bedächtig rückt er seine Mütze zurecht, stützt sich auf seinem Stock und beginnt zu erzählen:

"Als ich klein war, gab es hier in dieser Gegend lauter kleine Flüsse. Sie waren nicht so tief. Wir konnten durchwaten. Dann haben sie dieses Reservoir gebaut. Die Flüsse wurden breiter gemacht und das Wasser wurde tiefer. Als ich klein war, hat es hier noch oft geregnet. Jetzt regnet es kaum noch. Es ist so trocken."

"Es ist so trocken." Diesen Satz hört man von den Bauern rund um das Guanting--Wasserreservoir immer wieder. Bauer Duan zeigt auf einen Turm. Er steht etwa 100 Meter vom Seeufer:

"Da, bis zu dem Turm, ging das Wasser mal. Und schau an, wo es nun ist. Das Wasser wird jedes Jahr weniger. Als ich klein war, gab es hier viele Quellen - heute gibt es keine mehr. Das zeigt: Der Wasserpegel ist gesunken. Je trockener es wird, desto mehr graben die Leute Brunnen und je mehr Brunnen ausgehoben werden, desto weniger Untergrundwasser gibt es. Als ich jung war, brauchten wir, wenn wir gesät haben, Plastiküberzieher für die Schuhe, die wären sonst nass geworden."

Heute werden die Schuhe der Bauern beim Säen nicht mehr nass. Der Boden, auf dem die Maisstängel stehen, ist vor Trockenheit zerfurchtet. Eins der größten Probleme bei der zunehmenden Trockenheit ist aber nicht nur das schwindende Wasser im Reservoir, sondern das Grundwasser. Bauern bohren immer tiefer in die Erde, um an es heranzukommen.

Für Bernd Wünnemann ist das eine fatale und gefährliche Entwicklung. Der Forscher arbeitet im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an einem Wasserprojekt in China. Dass Bauern in immer tiefere Erdschichten bohren, um Wasser nach oben zu befördern, passiert nicht nur in Hebei, wo Herr Ding und Herr Duan wohnen. Auch in den Wüstengebieten werde das immer häufiger getan, sagt Bernd Wünnemann:

"Weil es da riesige Grundwasserreserven gibt, in den tieferen Erdschichten. Die sind 20.000-30.000 Jahre alt. Also fossiles Wasser und das wird zunehmend gefördert. Und das hat die Folge, dass man Wasser aus tiefen Erdschichten nimmt, das nicht erneuerbar ist."

Das Wasser aus dem nahen Reservoir ist nicht genug. Es dient nämlich nicht nur allein den Bauern in Hebei, sondern auch der Wasserversorgung von Peking. Damit die Hauptstädter nicht auf dem Trockenen sitzen, wird notfalls Wasser aus dem Guantingreservoir umgeleitet.

Die Provinz Hebei dient als Wassernotreservoir für die Hauptstadt. Mit den Regierenden in Peking will es sich Herr Ding nicht verscherzen. Deshalb wählt er seine kritischen Worte mit Bedacht:

"Unser Reservoir versorgt die Pekinger mit Wasser. Ob wir darüber glücklich sind oder nicht ... wenn das Wasser nicht nach Peking gebracht wird, woher sollen die dann ihr Wasser bekommen."

Peking – die Hauptstadt Chinas. Sie erstreckt sich über eine riesige Fläche von fast 17.ooo Quadratkilometern und ist damit 19 Mal so groß wie Berlin. Peking wird sich in der Zukunft noch mehr ausdehnen. Nicht nur in der Innenstadt herrscht ein enormer Bauboom, sondern auch die Randbezirke verändern sich ständig. Dort, wo vor ein paar Jahren noch Felder waren, stehen nun Häuser und statt Feldwegen gibt es Straßen. Neue Apartmenthäuser und Einkaufszentren werden in die Höhe gezogen, Villengegenden entstehen, U-und S-Bahntrassen werden ausgebaut. Etwa 17 Millionen Einwohner leben heute in Peking und es werden Jahr für Jahr mehr. Für solche Menschenmassen war die Stadt nicht gemacht, sagt Guo Jun, Vizechefin des chinesischen Forschungszentrums für Wasserressourcen und Wasserkraft:

"Peking liegt im Norden von China. Das ist ein Ort, wo es nie Wasser in Hülle und Fülle gab. Die Bevölkerungszahl von Peking schnellte in den letzten zwei Jahrzehnten in die Höhe und die Wasserknappheit wurde immer offensichtlicher.

Offizielle Statistiken geben an, dass den Pekingern jährliche Pro-Kopf 300 Kubikmeter Wasser zur Verfügung steht. Das ist nicht viel. Laut internationalen Maßstäben ist ein Anteil von unter 500 Kubikmetern bereits wenig. Die entwickelten Länder haben einen durchschnittlichen Anteil von 1700 bis 1800 Kubikmetern. Im Vergleich dazu leben wir hier in einer Wüste."

Während es zwischen Mai und September immer wieder Regenfälle in Peking gibt, herrscht ab Oktober extreme Trockenheit. In manchen Jahren gibt es mehrere Monate am Stück keinen Niederschlag. Peking ist in den Wintermonaten so trocken, dass die Erde aufreißt. Gräser, Wiesen und Felder wirken grau – nirgends ist ein grüner Fleck zu sehen. Die Möbel in den Häusern bekommen Risse, die eigene Haut am Körper fühlt sich an wie ausgedörrt.

Während die Luftfeuchtigkeit im Süden des Landes zu dieser Jahreszeit meist über 80 Prozent beträgt, liegt sie in Peking gerade mal durchschnittlich bei 18-20 Prozent. Luftbefeuchter gehören in Peking zu den meisten Haushalten. Die Regenfälle, die ab dem Frühjahr langsam beginnen, reichen längst nicht mehr aus, um die Wasservorräte der Hauptstadt wieder zu füllen. Der Wasserpegel des Miyun Reservoirs – Pekings größtem Wasserspeicher - sinke ständig, sagt Naturschützer Wang Jian. Und das sei noch längst nicht alles:

"Peking stehen pro Jahr etwa 3,8 Milliarden Kubikmeter Wasser zur Verfügung, aber zur gleichen Zeit verbrauchen wir für genau die gleiche Menge. Für die Industrie und zum Eigenbedarf. Der Wasserverbrauch entspricht genau der vorhandenen Menge. Das ist großes Problem für eine wachsende Stadt. Durch Überpumpung ist der Grundwasserpegel stetig gesunken.

Das Grundwasser wird immer knapper. Das kann dazu führen, dass die Erde auf die die Stadt steht, instabil wird. Bei einem Desaster, wie einem Erdbeben, hätte das einen großen Einfluss. Wir haben nicht genug Wasserressourcen, aber die Stadt entwickelt sich schnell und der Bedarf steigt. Peking gleicht einer kranken Person, die darauf angewiesen ist, von woanders Blut gespendet zu bekommen."

Einen Überblick über den steigenden Wasserbedarf der Hauptstadt, bietet das Pekinger Trinkwassermuseum. Es liegt versteckt zwischen eintönigen Wohnblöcken. Das Trinkwassermuseum ist ein architektonisches Schmuckstück. Der historische Bau stammt aus dem Jahr 1908. Damals wurde hier die erste Pekinger Wasserstation errichtet. Pumpen, alte Wasserbottiche und meterhohe Wassertürme erinnern an diese Zeit. Der Bau der Wasserversorgungsstation passierte auf Befehl der damaligen Kaiserin Cixi. Ein großer Teil ihres Palastes wurde von einem Feuer zerstört, erklärt Museumsleiterin Wang Jingjing:

"Damals gab es oft Feuer in der Stadt und es gab nicht genug Wasser, um die Feuer zu löschen. Viel wurde zerstört."

Die ersten Rohre, die das Wasser aus den Seen und Flüssen der Umgebung in die Hauptstadt bringen sollten, wurden verlegt. Die an Brunnen gewohnte Bevölkerung reagierte bei der Umstellung auf die Rohrversorgung skeptisch:

"Das Wasser hatte Blasen auf der Oberfläche, als es aus den Rohren lief, da es hoch gepumpt wurde. Die Menschen glaubten, dass dies Seifenwasser sei und weigerten sich, das Wasser zu trinken. Das war ganz neu. Einige hatten damals richtig Angst, das Wasser aus der Leitung zu trinken. Deshalb musste die Wasserstation Werbung machen und sie bot Neukunden erstmal Wasser kostenlos zum Probieren an."

Über 147 Kilometer schlängelten sich die Wasserrohre damals durch Peking. 3000 Menschen im Innenstadtbezirk wurden versorgt. Heute umfassen die Wasserversorgungsrohre 8000 Kilometer und statt einem sorgen mehr als 20 Wasserwerke dafür, dass Wasser aus den Leitungen der 17 Millionen Hauptstädter fließt. Da die einstige Kaiserstadt Peking nie als Millionenmetropole geplant war, musste das notwendige Wasser aus der Umgebung herangeschafft werden.

Museumsmitarbeiterin Ma Suhua zeigt auf eine Karte. Rund um Peking blinken rote Lämpchen auf. Sie zeigen an, wo überall das Wasser herkommt, wenn es in Peking zu Engpässen kommt:

"Wir haben vier Notfallreservoirs, und dann planen wir noch den Süd-Nordkanal."

Bei dem Süd-Nord-Kanal handelt es sich um eines der gigantischsten Wasserprojekte Chinas. Um den trockenen Norden mit Wasser aus dem flussreichen Süden zu versorgen, sollen drei Kanäle gebaut werden: Der östliche, der mittlere und der westliche Kanal. Während der östliche und der westliche Kanal langfristig in Planung sind, soll der mittlere Kanal bereits in den kommenden Monaten teilweise seinen Betrieb aufnehmen.

Über die künstlich angelegte Wasserstraße wird dann über Tausende Kilometer Wasser in den Norden umgeleitet. Immer wieder wird in China über den Südnordkanal berichtet. Eine Fernsehsprecherin liest die Staatspropaganda vor:

"Das Süd-Nord Wasserumleitungsprojekt wird das Wasserproblem in Peking und anderen Gegenden lösen. Mehr als 20 Städte bekommen allein über den mittleren Kanal Wasser. Dieser Kanal ist 1270 Kilometer lang und kann 13 Milliarden Kubikliter Wasser pro Jahr transportieren."

Chinas Regierung ist stolz auf ihr Umverteilungskonzept. Der deutsche Wasserexperte Bernd Wünnemann dagegen ist skeptisch.

Wünnemann: "Ich halte da nicht so viel von. Systeme müssen sich selbst regenerieren und jetzt künstlich Umleitungen zu machen, bedeutet, das man auf der einen Seite etwas wegnimmt und auf der anderen Seite etwas zuführt und das ist bei diesen langen Entfernungen und bei den hohen Verdunstungsraten ein Negativgeschäft. Ich kann mir nicht vorstellen, das es auf lange Zeit erfolgreich sein kann, dass sind kurzfristige Maßnahmen."

80 Prozent aller Wasserressourcen Chinas sind auf den flussreichen Süden verteilt – im Norden dagegen breiten sich Wüsten aus. Gründe für Dürren und chronische Trockenheit gibt es viele: Eine Überweidung vieler landwirtschaftlich genutzter Gebiete, die Bevölkerungsexplosion, das rasche Wirtschaftswachstum, ein mangelndes Umweltbewusstsein und der weltweite Klimawandel.

Chinas Wasserspeicher gehen immer mehr zurück. Das ist nicht nur im Norden zu sehen, wo Flüsse austrocknen und der Wasserspiegel vieler Seen sinkt, sondern auch am Ursprung vieler Flüsse – im Himalaja. Dort schmelzen die Gletscher immer schneller. Das Eis ist dort in den vergangenen 30 Jahren um mehr als 130 Quadratkilometer geschrumpft.

Würde es abschmelzen, wäre die Wasserversorgung von Hundert Millionen Menschen in Gefahr – und zwar in ganz Asien, nicht nur in China. Langfristige Planung sei aber in China ein Problem, sagt Bernd Wünnemann:

"Wir haben häufiger darüber gesprochen, aber im Moment ist den Chinesen erstmal näher, die aktuelle Wassersituation zu beheben. Zumal es in den nordwestlichen Regionen Spannungen zwischen den Verbrauchern gibt. Keiner will was abgeben, alle haben zuwenig und das führt zu heftigen Auseinandersetzungen.

Und um diese Auseinandersetzungen abzumildern, schießt man Wasser rein, nimmt Wasser aus dem Grundwasserreservoir. Aber das ist nur eine temporäre Befriedigung der Menschen und keine Lösung auf Dauer. Das ist zwar ein Problem, das erkannt wird, aber nicht richtig ernst genommen wird."

Viele Bewohner in Peking, die am Ende des Kanals leben, empfinden das Süd-Nord-Wasserumleitungsprojekt als Segen. Dass viel des kostbaren Guts auf dem langen Weg verdunstet, dass es verschmutzt in Peking ankommt und erst gereinigt werden muss – spielt bei den Gedanken der meisten keine Rolle:
"Dieses Projekt ist sehr notwendig. Peking kann nicht ohne Wasser bestehen. All diese Baustellen, all die Bäume ... wir brauchen Wasser."

Für die Menschen im Süden, die am Anfang des Kanals leben, ist es dagegen ein Fluch. Für den Bau wurde ein See gestaut. Ist die Staumauer fertig, werden Landstriche rund um den See geflutet. Ganze Dörfer werden dann überschwemmt. Die Menschen die dort leben, müssen nun nach und nach Heim und Hof verlassen. Mehr als 300.000 Menschen werden umgesiedelt. Sie protestierten gegen den Bau des Kanals.

Es wurde um die Umsiedlung gestritten und um Entschädigungen. Ein Streit, der von Anfang an aussichtslos war – der Bau des Süd-Nordkanals ist eine von höchster Regierungsstelle beschlossene Sache. Das Wasserproblem der chinesischen Hauptstadt wird dadurch nicht auf Dauer gelöst. Chinas gigantische Wasserprojekte beeindrucken auf den ersten Blick - langfristige Lösungen aber bieten sie nicht.