Falsche Vertraulichkeit

Heute schon geduzt worden?

Illustration zweier Personen, die sich statt ihrer Hände Stöcke mit Händen entgegenstrecken. Die Personen sind dunkel, schattig, vor braun-beigem Hintergrund. Die Hände treffen sich vor einem rosa Kreis.
Sich duzen lassen von der halben Welt? "Du" als Anrede schafft vermeintliche Nähe und verliert seinen Wert, wenn es inflationär gebraucht wird, meint Uwe Bork. Siezen sei oft angebrachter. © imago / Ikon Images / Gary Waters
Ein Einwurf von Uwe Bork |
Duzen ist inflationär geworden, Siezen out: in den Sozialen Medien, in der Werbung, im Büro. Die Anrede "Du" suggeriert Nähe und gesellschaftliche Gleichheit. Doch wir sind nicht alle gleich. In vielen Fällen bleibt man besser beim "Sie".
Nehmen wir einmal einen beliebigen Chinesen, oder – warum eigentlich nicht – greifen gleich ganz nach oben und nehmen Xi Jinping, Generalsekretär der KP und Staatspräsident Chinas. Wenn ich einer weit verbreiteten Theorie, dem sogenannten „Kleine-Welt-Phänomen“, folge, müsste ich mit dem starken Mann der Volksrepublik wie mit jedem anderen Menschen auf der Welt über höchstens sieben Ecken irgendwie in Verbindung stehen: eine echt kurze Kette der Kommunikation!
Lasse ich meinen Alltag Revue passieren, bin ich geneigt, dieser Theorie vom globalen Dorf zuzustimmen. Offensichtlich kennen mich weit mehr Menschen näher, als ich bisher dachte und – ja auch, als ich es bisher wahrhaben wollte. Ob nun im Restaurant („Habt ihr euch schon etwas ausgesucht?“), in der E-Mail („Leider hast du deine Rechnung noch nicht bezahlt.“) oder in der Werbung („Wir haben neue Styles für dich!“): Irgendwie scheine ich neuerdings mit – mindestens – dem halben Deutschland auf freundschaftlichem Fuß zu stehen.

Fast nur noch Bürokraten wählen das Siezen

Ausnahmen machen allenfalls unsere Bürokraten, die mich nach wie vor mit einem distanzierten „Sie“ bedenken. Ich weiß ihre Zurückhaltung durchaus zu schätzen, vermittelt sie mir doch das gute Gefühl der grundsätzlichen Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger vor Gesetz und Behördentresen.
Gerade die Empfindlichkeit, mit der die deutsche Öffentlichkeit jüngst wenn schon nicht auf Vetterles-, so doch auf Trauzeugenwirtschaft ausgerechnet im Wirtschaftsministerium reagierte, bestätigt mir im Übrigen, dass zumindest auf diesem Gebiet in unserem Land Demokratie noch funktioniert.
Wenn unsere Behörden es jetzt außerdem noch schaffen würden, in ihren Schriftstücken neben der demokratischen Distanziertheit auch eine nicht minder demokratische Verständlichkeit zu erreichen, hätten wir einen weiteren Schritt weg vom Obrigkeitsstaat getan und die grassierende Staatsverdrossenheit geschmälert.
Das alles ist für meine neuen Duzfreunde jedoch bestenfalls zweitrangig. Sie versprechen mir ja gerade durch vorgebliche Vertraulichkeit eine gesellschaftliche Gleichheit zu erreichen, gegen die das leidenschaftliche „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ der französischen Revolution zur bloßen Marginalie der gesellschaftlichen Entwicklung degeneriert.
Sind wir nicht alle Brüder – oder nun ja: Geschwister, wenn wir in unserer Kommunikation nur das steife „Sie“ dahinfahren lassen und uns zumindest verbal und virtuell per „Du“ in die Arme schließen?

Durch Duzen werden wir nicht alle zu Geschwistern

Nein – Einspruch – sind wir nicht. Unterschiede in der sozialen Stellung lassen sich nun einmal nicht bloß durch eine nivellierende Sprache ausbügeln. Selbst wenn der Chef seinen Mitarbeitern im Großraumbüro ein sanftes „Du“ entgegensäuselt, bleibt er doch immer noch der Chef.
Auch im Restaurant muss ich als geduzter Gast am Ende zahlen und die Werbung drückt mich vermutlich nur deshalb per „Du“ so fest an die Brust ihrer Produkte, um mir umso besser mein Geld aus der Tasche ziehen zu können. Mögen wir auch alle im selben Boot sitzen, wir haben deshalb noch lange nicht auch alle die Hand an dessen Steuer. Daran ändern unterschiedliche Anredeformen nicht das Mindeste.

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Gut: Das intime „Du“ schafft Wärme, schafft Vertrautheit, schafft Nähe. Aber ich würde mir gerade deshalb doch gerne selbst aussuchen, wem gegenüber ich diese Gefühle ausdrücke und von wem ich in den Kreis engster Buddies aufgenommen werden möchte. Das „Du“ ist und bleibt für mich eine Währung, die durch inflationären Gebrauch nur allzu schnell ihren Wert verliert.
Selbst wenn ich Xi Jinping wirklich über sieben Ecken kennen sollte: Wir bleiben also wohl besser beim „Sie“.

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion „Religion, Kirche und Gesellschaft“ des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.

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