Dylan Jones: David Bowie. Ein Leben
Rowohlt Verlag
800 Seiten, 38,00 Euro
"Ich wollte den Menschen darstellen"
Für sein Buch über David Bowie hat Dylan Jones mehr als 180 Freunde, Vertraute und Rivalen des Popstars interviewt. Jetzt ist das Buch auf Deutsch erschienen. Der Autor ist sich sicher: Seine Biografie stellt alle anderen in den Schatten.
Am 10. Januar 2016 starb völlig überraschend David Bowie im Alter von 69 Jahren - der Schock darüber wirkte fast auf der ganzen Welt - vergleichbar eigentlich nur mit dem, was nach dem Tod von John Lennon passierte. Seitdem sind zahlreiche Artikel und Bücher über Bowie veröffentlicht wurden und immer wieder erscheinen alte Aufnahmen beziehungsweise neu entdeckte Archivfunde neu - gerade erst ein Box Set mit Songs, die zwischen 1983 und 88 entstanden sind.
Bereits vor einem Jahr kam in England das Buch "David Bowie - A Life" auf den Markt. Darin hat der preisgekrönte Journalist Dylan Jones Interviews versammelt, die er mit 182 Freunden, Vertrauten, Rivalen, Liebhabern und Liebhaberinnen, Familienangehörigen und Mitarbeitern geführt hat. Viele von denen hatten zuvor noch nie über ihr Verhältnis zu Bowie gesprochen. Anhand ihrer Erinnerungen wird der Leben des Künstlers erzählt. Jetzt liegt das rund 800 Seiten dick Buch auf Deutsch vor.
Deutschlandfunk Kultur: Herr Jones, man muss kein Popmusik-Fan sein, um zu wissen, dass Bowie existierte und offenbar ein bemerkenswerter Künstler war. Sie selbst schildern in der Einführung, wie Bowie in den frühen 70er-Jahren mit wilder Buntheit in einem TV-Auftritt in das graue England platzte.
Sie erzählen Ihrem Vater viele Jahre später noch davon, und der sagt ganz trocken: Du weißt schon, dass wir nur einen Schwarzweißfernseher hatten. Ich weiß, es ist schwer, aber könnten Sie uns kurz Ihre Faszination für Bowie schildern?
Jones: Wie so viele Teenager war auch ich leicht zu beeindrucken. Und als Bowie in den 70ern auftauchte, hat er alles andere in den Schatten gestellt. Er schloss die Lücke zwischen Rock- und Popkultur. Bis dahin hatte man in Großbritannien nicht geglaubt, dass das überhaupt möglich gewesen wäre. Man war entweder Rocker oder Popper.
"Ich hatte von Anfang an einen Wissensvorsprung"
Deutschlandfunk Kultur: Die Geschichte, die ich gerade erzählt habe, zeigt, wie die Erinnerung trügen kann. Wie sehr konnten Sie denn Ihren Interviewpartnern trauen?
Jones: Es gab nur wenige Momente, in denen klar war, dass die Erinnerung der Leute nicht ganz der Wahrheit entsprach. Dass sie eingefärbt war von den Reminiszenzen anderer. Da ich Bowie schon lange als Fan und von Berufs wegen beobachte, hatte ich von Anfang an einen Wissensvorsprung. Das hat mir erlaubt, Unsicherheiten bei meinen Interviewpartnern aufzudecken. Ich weiß schon, worauf man da achten muss.
Deutschlandfunk Kultur: Wie sind Sie vorgegangen? Wie haben Sie die Leute gefunden? Es kommen ja auch viele, neben den Prominenten, "normale" Menschen zu Wort.
Jones: Wenn man als Bowie-Biograf ernst genommen werden will, gibt es rund 50 Gesprächspartner, an denen man gar nicht vorbeikommt: Tony Visconti, Nile Rodgers, Brian Eno und so weiter.
Dann gibt es etwa 50 weitere Leute, die mindestens genauso wichtig sind, aber nicht so oft zu Wort kommen. Ich denke da an Filmproduzenten und -Regisseure, Schauspieler, Visagisten, Fotografen und so. Und dann gibt es noch mal 50, auf die man erst bei den Interviews mit den vorher genannten Gruppen kommt. Die sagen dann: Hast du eigentlich schon mit Kevin gesprochen? Und dann entgegnet man: Wer zum Teufel soll das denn sein? Und dann versuchst du, Kevin zu finden und sprichst mit ihm. Daher die vielen Kevins in meinem Buch.
"Andere Porträts beleuchteten immer nur eine Seite"
Deutschlandfunk Kultur: Ihr Buch ist bereits im vergangenen Jahr erschienen oder vor gut einem Jahr. Sie haben also sehr nahe am Tod von Bowie daran gearbeitet. Wenn Sie das jetzt so schildern, kann ich mir vorstellen, dass Sie tatsächlich 24 Stunden am Tag mit Bowie gelebt haben in dieser Zeit, als Sie am Buch gearbeitet haben. Ist das richtig?
Dylan Jones: Ja. Ich hatte für das Buch ein Jahr Zeit. Letztlich habe ich es in neun Monaten fertig bekommen. Das lag daran, weil ich schon zuvor so viele Interviews geführt hatte und mich so gut auskannte. Der Aufbau des Buchs hat sich schnell ergeben. Es war das Herankommen an die Gesprächspartner, das am Ende am meisten Zeit gekostet hat.
Deutschlandfunk Kultur: Es existieren zahlreiche Versionen des David Bowie und er selbst hat viel dafür getan, dass unklar bleibt, wer er eigentlich ist. Glauben Sie, dass Ihre Interviews ein mehr oder weniger definitives Bild zeichnen? Anders gefragt: Ist dieses Buch dasjenige, das alles anderen Bowie-Biografien überflüssig macht?
Dylan Jones: Na ja, es wäre schön sehr überheblich von mir, ja zu sagen. Aber die Antwort ist: ja. Ich habe alle verfügbaren Bowie-Bücher gelesen. Manche sind sehr gut, manche schrecklich. Die meisten Bücher konzentrieren sich auf den Musiker David Bowie, den Performer, den Entertainer, das Konzept hinter seiner Person. Ich wollte den Menschen David Bowie darstellen. Denn Bowie war jemand, den ich sehr gut kannte, lange Zeit kannte. Und ich wusste, dass die Porträts, die über ihn verfasst wurden, immer nur eine Seite beleuchteten. Wenn man aber wie ich mit 150 [sic!] Leuten spricht, bekommt man einen sehr umfassenden Eindruck davon, wie jemand ist oder war.