Dzevad Karahasan: Der Trost des Nachthimmels
Roman in drei Teilen, aus dem Bosnischen von Katharina Wolf-Grießhaber
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
724 Seiten, 26,95 Euro
Von Staatszerfall und Fundamentalismus
Der Hofastronom Omar Chayyan, eine reale Person, wird mit einem Giftmord konfrontiert und gerät in die Mühlen von Behörden, die ein Eigenleben führen. Diese Ereignisse aus dem 11. Jahrhundert holt Dzevad Karahasan in "Der Trost des Nachthimmels" in die Gegenwart zurück.
Dzevad Karahasan ist einer der großen europäischen Erzähler. Dabei fällt sofort etwas Ungewöhnliches auf: Seine Bücher sind absolut zeitgenössisch, aber auf raffinierte Weise zeitlos. Es ist eine Art organisches Erzählen, abseits aller formalen und sprachlichen Effekte. Auch "Der Trost des Nachthimmels" scheint von der Tradition der Mündlichkeit zu leben, einer Art Fortschreibung von "1001 Nacht" – eine Suada in langen Bögen, bei der man das Atemholen merkt und das Ausmalen von Details.
Der Leser sieht sich zwar in das Reich der Seldschuken im 11. Jahrhundert versetzt, aber es ist in jedem Satz spürbar, dass es sich beileibe nicht um einen "historischen Roman" im klassischen Sinne handelt. Es gibt keinen modernen Romanhelden, und es gibt keinen Erzählerstandpunkt außerhalb des Geschehens. Doch man ahnt sofort: Karahasan erzählt mit diesen Mitteln von heute.
Omar Chayyam lebt am Hof des Sultans in Isfahan
Es geht um reale historische Personen. Omar Chayyam (1048-1131) hatte am Hof des Sultans in Isfahan unter der Ägide des gelehrten Wesirs Nizam al-Mulk die Aufgabe, ein Observatorium einzurichten und den Kalender zu reformieren. Es handelte sich um die Blütezeit dieses Reiches. Das Wort "Aufklärung" fällt im Roman nicht, aber er dreht sich auch um die Verbindung von Islam und moderner Wissenschaft. Omar Chayyam setzte bei Euklid an und kam zu Erkenntnissen, die im Abendland erst im 18. Jahrhundert eingeholt wurden. Bei Goethe tauchte er auch als Dichter auf. Karahasan knüpft an diese historische Konstellation an.
Omar wird zunächst mit einem mysteriösen Giftmord konfrontiert und gerät in die Mühlen der Polizeibehörde, die ein undurchsichtiges Eigenleben zu führen scheint. Als später die Karmaten, eine radikale Volksgruppe, das Seldschuken-Reich bedrohen, beginnt das Reich zu zerfallen: Der Sultan hört auf falsche Ratgeber und Intriganten. Im Krieg kommt es zu extremen Folterungen, der Staat wird repressiv und verrät die Sozialprogramme, die seinen Aufstieg gewährleistet hatten. Der politisch hellsichtige Wesir wird ermordet, ebenso Omars Frau.
Omar wird zunächst mit einem mysteriösen Giftmord konfrontiert und gerät in die Mühlen der Polizeibehörde, die ein undurchsichtiges Eigenleben zu führen scheint. Als später die Karmaten, eine radikale Volksgruppe, das Seldschuken-Reich bedrohen, beginnt das Reich zu zerfallen: Der Sultan hört auf falsche Ratgeber und Intriganten. Im Krieg kommt es zu extremen Folterungen, der Staat wird repressiv und verrät die Sozialprogramme, die seinen Aufstieg gewährleistet hatten. Der politisch hellsichtige Wesir wird ermordet, ebenso Omars Frau.
Im dritten Teil der Trilogie erzählt der greise Omar, der zerrüttet in seine Heimatstadt Nischapur zurückgekehrt ist, einem jungen Bosnier seine Lebensgeschichte, der sie aufschreibt. Das Schlusskapitel spielt mit einer Herausgeberfiktion in der Gegenwart: Ein Bosnier, der jetzt in Norwegen lebt, hat in der Bibliothek von Sarajewo geforscht, ist dort auf die alte Handschrift mit Omars Lebensgeschichte gestoßen und hat sie transkribiert. Bei der Zerstörung der Bibliothek Sarajewos durch die Serben im Balkankrieg 1992 verbrennen Handschrift und Transkription, der Forscher schreibt sie aber aus dem Gedächtnis noch einmal auf.
Der Mensch braucht Glauben, aber keine Religion
Karahasans Roman spielt mit den Möglichkeiten der Aktualisierung, aber er befördert sie nicht mit vordergründigen Mitteln. Das macht seine Stärke aus. Es geht um den Niedergang eines Staatswesens, das einmal für Hochkultur stand, es geht um den Fundamentalismus, der im Zerfall geordneter Strukturen entsteht, und es geht um die Rolle der Intellektuellen.
Wenn der Sufi Abu Said, das heimlich eingeschmuggelte Sprachrohr des Autors Karahasan, sagt, dass der Mensch zwar Glauben brauche, aber keine Religion – dann geht es auch um die aktuellen Auseinandersetzungen um den Islam. Aber in seiner charakteristischen Mischung aus Skepsis und Humor, in seiner Erzähllust und der kunstvoll eingebauten Huldigung an das Erzählen, liefert Karahasan auch einen Subtext mit: Solange man noch erzählen kann, liegt im Erzählen selbst der Sinn.