Fehlerhafte E-Ladesäulen

Weniger Strom im Tank als abgerechnet

06:34 Minuten
Öffentliche Ladesäule für E-Autos an einem Parkplatz.  Ein Tesla Model 3 lädt gerade seinen Akku an der Stromtankstelle voll, der Stecker steckt im Ladeanschluss des Autos.
Viele Kunden bezahlen beim Aufladen offenbar mehr Strom, als sie geliefert bekommen: Wie viele der mehr als 10.200 Schnellladesäulen in Deutschland fehlerhaft abrechnen, ist unklar. (Symbolfoto) © Imago | MiS
Von Andrea Hoferichter · 18.10.2022
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Immer mehr Menschen sollen und wollen aufs E-Auto umsteigen. Dazu braucht es zügig viele Schnellladesäulen. Aber es hakt bei deren eichrechtlicher Prüfung und manche rechnen offenbar nicht korrekt ab. Ein mobiles Prüfgerät könnte Abhilfe schaffen.
Ein Labor an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig: Christoph Leicht schlüpft in die Rolle eines Elektroautos an der Stromtankstelle.
„Ich sage jetzt hier: Liebe Ladesäule, gib mir doch mal 350 Volt, 100 Ampere.“ Der Physiker hält ein Ladekabel in der Hand, das mit einer koffergroßen, hellgrauen Kunststoffkiste verbunden ist. „Das geht durch die Box durch bis zur Ladesäule und dann fließt der Strom. Also ich bin das Elektrofahrzeug und Herr Langemann erklärt dann die Box.“
Jannes Langemann ist ein Mitarbeiter von Christoph Leicht und die Box ein neuartiges mobiles Messgerät, das zwischen eine beliebige Schnellladesäule und ein Elektroauto geschaltet werden kann. Sie misst, ob am Ladestecker tatsächlich soviel Energie herauskommt, wie der Zähler an der Säule anzeigt.

Wieviel Strom kommt wirklich im Auto an?

„Diese Box dazwischen beeinflusst quasi weder die Kommunikation dazwischen noch diesen Stromfluss“, erklärt Jannes Langemann. „Sondern es geht darum, dass wir hier eben Messtechnik drin haben, womit wir diese Spannungen und Ströme messen können, ohne dass wir hier irgendwas beeinflussen.“
Eine weitere Besonderheit der Box ist das Temperaturmanagement. Denn beim Schnellladen fließt ein Gleichstrom, der Kabel und Stecker einer Ladesäule stark aufheizen kann. Die Forscher haben deshalb eine Temperaturkontrolle eingebaut.
Droht Überhitzung, stoppt die Messung. Erste Feldtests hat das mobile Messgerät schon absolviert, an unterschiedlichen Schnellladesäulen und mit verschiedenen Autotypen.
„Das waren insgesamt 19 Messungen, die wir gemacht haben. Also schon deutlich ein Pool, den wir uns hier aufgebaut haben. Wir haben eben gesehen, dass die eichrechtskonformen DC-Ladeeinrichtungen, also die, die wirklich zertifiziert wurden, dass die nur ganz geringe Messabweichungen hatten. Das heißt: Die messen wirklich korrekt“, erklärt Jannes Langemann.

Viele Kunden bezahlen zu viel

Soweit die gute Nachricht, die schlechte: Alle drei getesteten Schnellladesäulen ohne eichrechtliche Prüfung zeigten mehr Kilowattstunden an, als am Stecker gemessen wurden, eine sogar sieben Prozent mehr. Die Kunden bezahlten also mehr Strom, als sie geliefert bekamen.
Schuld sind in der Regel Energieverluste in Form von Wärme – zum Beispiel an den Ladekabeln. Eigentlich sollten die herausgerechnet werden, doch das passiert offenbar nicht immer korrekt.
„Das zu viel Messen, das ist eben der Punkt. Die messen eben nicht mal zu wenig, mal zu viel, sondern: Wenn jetzt zum Beispiel dieses Kabel nicht richtig korrigiert, was da dran ist, dann messen die in der Regel eben mehr als das, was wirklich vorne am Stecker abgegeben wird“, sagt Jannes Langemann.

Dann ist das bei so einem Vollladen eines Elektrofahrzeugs etwa fünf Euro fünfzig, die man hier mehr bezahlt, nur wegen dieser Verluste, die mir hier in Rechnung gestellt werden.

Jannes Langemann, PTB Braunschweig

Eichbehörden schreiten nicht ein

Wie viele der mehr als 10.200 Schnellladesäulen in Deutschland fehlerhaft abrechnen, ist unbekannt. Und längst nicht alle sind geeicht. Das klingt ein bisschen nach Wildwest im Land der Regeln und Normen, doch die zuständigen Eichbehörden schreiten in der Regel nicht ein.
Besuch bei der Rechtsanwältin Katharina Boesche in Berlin-Mitte. Sie leitet das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Technologieprogramm IKT Elektromobilität. Sie berät Hersteller und Betreiber von Ladesäulen in Sachen Eichrecht und Zertifizierung.
„Da haben sich einzelne Verfahren, eins sogar bis zu vier Jahren, hingezogen. Auch zum Teil, weil es im laufenden Verfahren – das ist auch nicht so ganz typisch für Deutschland – dann wieder neue Anforderungen gab“, sagt sie.

Langwieriges Verfahren der Zertifizierung

Sie erklärt: „Zum Beispiel, dass das Sichtfenster nicht nur die erste Nachkommastelle anzeigen muss, sondern die dritte Nachkommastelle und beleuchtet sein muss, et cetera, et cetera. Also: Da sind lauter Anforderungen im laufenden Verfahren noch hinzugekommen.“

Aber daran merkt man: Wir bewegen uns in einem neuen Markt. Der ist in Bewegung, der ist volatil und da hapert es halt noch so ein bisschen, zum einen mit der Gesetzgebung und dann aber auch mit den Verwaltungsverfahren.

Katharina Boesche, Rechtsanwältin

Auch knappe Personal- und Laborkapazitäten, Lieferkettenprobleme und die Coronakrise hätten zum Zertifizierungsstau beigetragen, sagt Katharina Boesche. Die Folge: Manche Betreiber sind zurzeit schlicht nicht in der Lage, die Schnellladesäulen mit eichrechtlich geprüfter Technik nachzurüsten.
„Wenn wir da faktisch so eine Unmöglichkeit haben, dann kann man auch nicht verlangen: Du musst jetzt aber eichrechtskonform abrechnen oder sonst wird deine Ladesäule abgestellt. Damit ist ja auch keinem gedient“, erklärt sie.
„Wir wollen ja alle – ich zumindest und viele andere auch – den Markthochlauf sehen, und das ist auch politisch gewollt. Da macht es auch keinen Sinn, wenn da mit dem Abriss gedroht wird, und das macht ja auch keine Eichbehörde.“
In gut einem Jahr, schätzt Katharina Boesche, werden alle Schnellladesäulen eichrechtskonform nachgerüstet sein.

Mobiles Prüfgerät als Prototyp

Wer schon heute nur an zertifizierten Säulen Strom zapfen möchte, sollte auf das deutsche DE-M-Zeichen in einem kleinen Rechteck neben der CE-Kennzeichnung des Herstellers achten. Das empfiehlt jedenfalls der PTB-Forscher Christoph Leicht. Und er hofft, dass das neue mobile Prüfgerät für Ladesäulen bald in größeren Stückzahlen produziert wird.

Wir haben kein wirtschaftliches Interesse. Was wir hier machen, sind Prototypen als Initialzünder für die Industrie, um zu sagen: Guckt mal, so kann man etwas umsetzen. Ein Messprinzip, das ihr dann bitte in ein kommerzielles Produkt umwandelt. Das würde allen Parteien an dieser Stelle helfen.

Christoph Leicht, PTB Braunschweig

Eichbehörden könnten mit mobilen Messgeräten Schnellladesäulen vor Ort überprüfen, wenn etwa Beschwerden eingehen, und die verbraucherunfreundlichen Messfehler mancher Säulen ließen sich schon vor dem Aufstellen entlarven.
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