Online-Oasen in der Bücherwüste
Das E-Book erobert die arabische Welt. Für die Menschen dort sind elektronische Bücher oft die einzige Chance, überhaupt an Lesestoff zu kommen. Denn Buchhandlungen gibt es zum Beispiel in Ägypten auf dem Land so gut wie gar nicht, Datennetze aber schon.
Noch ein Paar Mausklicks und Walid Sameh bringt wieder mal ein Buch heraus. Er ist zwar kein Schriftsteller, aber mit seiner Hilfe gehen nahezu täglich neue Bücher online. Der Ägypter ist Informatiker.
"Das hier ist ein arabischer Roman. Er hat 33 Kapitel und in Buchform 197 Seiten. Aber bei der E-pub-Datei ist das egal. Da kommt es auf die Größe der Seiten an."
10.000 arabischsprachige Bücher bereits online
"EPUB" – diese Abkürzung steht für "Electronic Publication” und bezeichnet das Datei-Format, das im E-Book-Geschäft international Standard ist. Eigentlich sollten ihm die Verleger ihre Buchmanuskripte schon in diesem Format zuschicken, erklärt der Computer-Fachmann.
"Da müssen wir die Daten nur hochladen, alles kontrollieren und schon können wir das Buch digital veröffentlichen. Aber die meisten Verleger hier haben noch nicht so viel Erfahrung mit der Technik."
Trotzdem haben Walid Sameh und seine Kollegen bereits über 10.000 arabischsprachige Bücher online gestellt. "Kotobi”, zu Deutsch "Meine Bücher”, heißt die App, mit deren Hilfe sie die Leser herunterladen können: zeitgenössische Romane, Klassiker und Schriften zum Leben des Propheten Mohamed. Das Unternehmen, das die arabische App auf den Markt gebracht hat, sucht man im Feuilleton allerdings vergeblich: Es ist Vodafone Egypt, Ägyptens Telekommunikationsgigant. Das macht durchaus Sinn, meint Projektleiter Alaa Zaher:
"Wenn Sie einen Internet-Anschluss haben, dann sind Sie auch ein potentieller Kunde für ein E-Book. Wir können diese möglichen Leser direkt digital erreichen. Bei der Telefonrechnung, über Facebook und auch per SMS auf ihrem Handy. Das ist digitales Business. Und 'Kotobi' ist es auch."
E-Books schließen eine Versorgungslücke
Einige ägyptische Verlagshäuser sind schon groß eingestiegen. Andere reagieren noch verhalten. Manche Verleger betreiben eigene Buchhandlungen und fürchten die digitale Konkurrenz. Doch solche Läden gibt es nur in den Metropolen. Abseits davon ist Ägypten eine regelrechte Buchhandelswüste. Mit dem E-Book-Angebot schließe man quasi eine Versorgungslücke, so Alaa Zaher.
"Die Leute auf dem Land beschweren sich immer darüber, dass sie keine Buchläden haben. Sie wollen unbedingt lesen, aber es gibt da nichts. Diese Leute kommen einmal im Jahr zur Kairoer Buchmesse und fahren mit einer Ladung Plastiktüten voller Bücher zurück in ihre Dörfer. Genau dieses Segment wollen wir erreichen. Kotobi ist für diese Kunden eine Alternative. Und langfristig ist es unser Ziel, den kompletten arabischen Sprachraum zu versorgen und die gesamte Welt."
Eine verlockende Aussicht, muss Sherif Bakr vom ägyptischen Verlegerverband zugeben. Denn die Geschäfte könnten durchaus besser laufen.
"Wir drucken hier in Ägypten immer noch Auflagen von nur tausend Exemplaren pro Buch und versuchen die binnen zwei, drei Jahren loszuwerden. Wenn jemand in einem kleineren Ort in Marokko vielleicht mein Buch kaufen will, kann ich ihn nicht beliefern. Mit einem E-Book schon. Wir haben ungefähr 400 Millionen Leute rund um den Globus, die Arabisch sprechen. Wenn da nur ein Prozent liest, macht das vier Millionen. Das kann lukrativ sein."
Google Play sondiert den arabischen E-Book-Markt
Und der arabische E-Book-Boom hat schon begonnen. Nicht nur bei "Kotobi” in Ägypten vervielfachen sich gerade die Nutzerzahlen. In Jordanien können Leser beispielsweise auch bei "Ekitabi” Bücher online lesen. Auch dort sind Buchhandlungen abseits der Hauptstadt eine Rarität, die Mobilfunknetze aber nahezu flächendeckend. Weshalb inzwischen noch ganz andere den Markt sondieren: die Manager von Google Play. Louis Collado ist einer von ihnen:
"Auch wir denken nicht nur an die Leute, die in den arabischen Ländern wohnen, sondern an alle, die Arabisch sprechen, egal wo auf der Welt. Es gibt sehr große Gemeinden in den USA, in Europa, sogar in Asien. Am besten erklärt man den Verlegern den E-Book-Markt als neuen Markt, nicht als Veränderung ihres bestehenden Geschäftssystems. Sie glauben sonst, es sei eine Art Kannibalismus. Aber eigentlich ist eine Riesenmöglichkeit für sie."
Die Möglichkeit, per E-Book die staatliche Zensur zu umgehen, die in vielen arabischen Ländern üblich ist, ergebe sich von Ägypten aus allerdings nicht, stellt Alaa Zaher von "Kotobi” klar.
"Da sind wir aus dem Spiel, zum Glück. Das ist das gleiche wie bei einem Buchladen. Wir sind in keiner Weise für den Inhalt verantwortlich, das sind die Verleger."
Für den Global Player Google ist die Lage da schon anders, so Louis Collado.
"Wir sind mitten im Spiel. Zwischen Verlegern, internationalen Verlegern, die weltweit publizieren, und den örtlichen Autoritäten. Wir müssen sehr sensibel sein im Umgang mit den speziellen örtlichen Gegebenheiten. In jedem Land, in dem wir arbeiten."