Streit über "Zwangslizenzierung"
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Gefährdet ein verpflichtendes E-Book-Angebot von neuen Büchern in Bibliotheken die Existenzgrundlage von Autoren? Andreas Degkwitz vom Deutschen Bibliotheksverband widerspricht der Initiative "Fair Lesen". Er hofft auf eine einvernehmliche Lösung.
Zu welchen Bedingungen können E-Books zukünftig in öffentlichen Bibliotheken ausgeliehen werden? Über diese Frage ist eine öffentliche Debatte entstanden. Mehr als 200 Autorinnen und Autoren, darunter prominente Namen wie Juli Zeh, Frank Schätzing und Sven Regener, sowie Verlage und Buchhändler kritisieren mit der Initiative "Fair Lesen" politische Pläne zur Verfügbarkeit von E-Books in Bibliotheken.
Verlage könnten gesetzlich gezwungen werden, E-Books ab dem Tag ihres Erscheinens für den Verleih in Bibliotheken zu lizenzieren – so wie gedruckte Bücher. Diese "Zwangslizenzierung" gefährde jedoch die Existenzgrundlage von Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzern, Verlagen und Buchhandlungen, warnt die Initiative.
Bibliothekslizenzen teurer als Verkaufspreis
Widerspruch kommt unter anderem vom Deutschen Bibliotheksverband: Die Lizenzen, die die Verlage an die Bibliotheken verkaufen, lägen im Preis deutlich über dem normalen Verkaufspreis an Einzelkunden im Geschäft, betont der Vorsitzende Andreas Degkwitz, der in Berlin die Bibliothek der Humboldt-Universität leitet.
Genauso wie beim gedruckten Buch werde immer nur ein Exemplar eines E-Books an einen Nutzer verliehen, für das die Lizenz bezahlt worden sei. "Es können nicht parallel dann noch weitere zehn, 20, 30, 100 Nutzer auf diese Lizenz zugreifen", so Degkwitz. Das E-Book stehe immer nur befristet zur Verfügung. Andere Nutzer müssten bis zur Rückgabe zwei oder drei Wochen warten.
Aktuelle E-Books sollten verfügbar sein
Auch der Forderung von "Fair Lesen", es solle für neu erschienene Bücher zunächst eine Sperrfrist für die E-Book-Ausleihe in den Bibliotheken geben, widerspricht Degkwitz. "Bibliotheken haben den Auftrag, Literatur und Information den Bürgern ihrer Kommune zur Verfügung zu stellen und das betrifft natürlich auch die aktuelle Literatur." Wenn ein Nutzer ein Sachbuch zu einem aktuellen Thema als E-Book ausleihen wolle, sei es nicht möglich, das erst nach einem Jahr anbieten zu können.
Dass eine "Zwangslizenzierung" von E-Books ab Erscheinen ein wirtschaftliches Desaster für beispielsweise Autorinnen und Autoren wäre, wie "Fair Lesen" kritisiert, sieht Degkwitz ebenfalls anders. "Man kann jetzt nicht die öffentlichen Bibliotheken für die Autorenvergütung und für die Marktentwicklung verantwortlich machen", sagt der Vorsitzende des Bibliotheksverbandes. Das Thema der Autorenvergütung müsse zunächst einmal zwischen Autoren und Verlagen ausgehandelt werden.
Gesetzesvorschlag im Bundesrat
Die von "Fair Lesen" kritisierte Gesetzesinitiative des Bundesrates sehe vor, dass die Verlage verpflichtet würden, den Bibliotheken ihre aktuellen Neuerscheinungen zu angemessenen Bedingungen anzubieten, erläutert Degkwitz. "Ich glaube, in den angemessenen Bedingungen liegt genau die Chance, dass zum Beispiel für ein erstes Jahr der Lizenz mehr bezahlt wird als für die Folgejahre." So könnten die Kosten für E-Books gestaffelt und mögliche Umsatzeinbrüche deutlich gemildert werden. "Darüber muss man reden."
Ob die mögliche Ampelkoalition das ähnlich sieht, ist bislang unklar. "Das könnte in diese Richtung gehen, weil es Unterstützung von möglichen Koalitionsparteien gibt", so Degkwitz. Aber solche Gesetzesvorhaben könnten sich in der Diskussion immer noch verändern. Die Autoren, Verlage und Bibliotheken müssten sich einigen. "Ich halte den Vorschlag des Bundesrates nicht für den schlechtesten Ansatz, um zu einem Gespräch zu kommen."