"Verflachung der Literatur"
"Gute Bücher brauchen Fürsprecher", sagt Jan Brandt. Bei zunehmendem finanziellen Druck, der an die Autoren weitergereicht werde, befürchtet er auch Auswirkungen auf das Schreiben. Schriftsteller seien gezwungen, die Skandalfähigkeit von Literatur zu erhöhen, um den Verkauf zu steigern.
Nana Brink: Bestimmt haben Sie eine Internet-Flatrate. Aber haben Sie auch schon eine Kulturflatrate? Kultur zum Festpreis gibt es ja immer häufiger, zum Beispiel von Netflix. Das Unternehmen, das Filme streamt nach Hause, oder Amazon, ganz bekannt, das in den USA schon eine Flatrate auf E-Books eingeführt hat. Heute wollen wir den ganzen Tag über uns mal mit diesem Phänomen beschäftigen, fragen, wo das Potenzial von Kulturflatrates liegt, aber auch die Gefahren, zum Beispiel eben gerade bei Amazon. Gegen den Konzern und seine Flatrate wehren sich ja momentan viele Leser, Käufer, Verlage und Buchhändler. Der Schriftsteller Jan Brandt, Autor von "Gegen die Welt", einem Roman über die Wende in Westdeutschland und die Segnungen und Untiefen der Provinz, ist gerade Stipendiat in der Villa Aurora in Los Angeles. Guten Tag beziehungsweise guten Abend, Herr Brandt!
Jan Brandt: Guten Abend oder guten Tag!
Brink: Genau. Bei Ihnen ist es ja noch Abend in Los Angeles. Was bringt denn – bleiben wir mal bei Amazon und der E-Book-Flatrate, also die Buchflatrate für die Künstler – was bringt das?
Brandt: Na ja, erst mal bringt das für die Konsumenten, also für die Leser vor allen Dingen einfach einen Zugriff auf einen unheimlichen Schatz. Wenn man jetzt das sieht, in Amerika ist ja "Kindle Unlimited" schon möglich, also kann man schon nutzen auf Amazon.com. Das kostet 9,99 Dollar, und dann hat man Zugriff auf 600.000 Buchtitel. Und das ist natürlich erst mal eine unheimliche Auswahl, und man kann also für diese zehn Dollar dann ungefähr im Monat unendlich viel lesen.
"Höhepunkte viel schneller gesetzt"
Brink: Also etwas Positives aus ihrer Sicht?
Brandt: Ja, für die Bücher, fürs Lesen und für die Leser ist das erst mal positiv. Die Frage ist nur, ob das für die Qualität der Bücher und die Autoren so positiv ist. Das glaube ich nämlich nicht. In Amerika ist es auch jetzt im Moment so, dass die Autoren nur dann bezahlt werden, wenn zehn Prozent des Buches gelesen wurden. Und das bedeutet eben bei sehr langen Texten, dass dann jetzt bei tausendseitigen Büchern schon fast hundert Seiten gelesen werden müssen, damit überhaupt ein Honorar gezahlt wird oder auch nur ein Mini-Honorar. Und das muss man ja erst mal schaffen. Und ich meine, mein Glaube ist, dass das zur Verflachung der Literatur führt, weil dann müssen Höhepunkte viel schneller gesetzt werden, dann muss sozusagen die Skandalfähigkeit der Literatur erhöht werden, und dann zählt einfach nur noch dann Masse und Zahlen und Marktfähigkeit, und das mündet in einen Mainstream.
Brink: Sie sprechen ja aus guter Erfahrung. Ihr Buch ist ja auch fast 1.000 Seiten lang, "Gegen die Welt". Sie sagen, es ist eine Verflachung. Kann es sein, dass wir zwei widerstrebende Interessen haben: Auf der einen Seite das Interesse des Konsumenten, vielleicht billig auch an Literatur zu kommen, und auf der anderen Seite das Interesse der Autoren, sozusagen losgelöst von diesem Konflikt Literatur zu machen? Ein Konflikt, den man vielleicht gar nicht auflösen kann?
Brandt: Ja, dieser Konflikt ist einerseits sicher da, aber andererseits glaube ich, dass Leser ja auch ein Interesse an Qualität haben, an Anspruch, auch an widerständige Literatur, auch an schwierige Texte, und nicht nur zur Unterhaltung lesen, sondern auch bereichert werden wollen, irgendwie durch Sprache verändert werden wollen und in eine andere Welt eintauchen und eben nicht nur darin verloren gehen, sondern auch etwas für sich selbst dabei mitnehmen. Und das, fürchte ich, wird einfach mit so einer Flatrate nicht richtig umsetzbar sein. Weil im Moment ist es auch so, Amazon funktioniert auch eben am Markt hauptsächlich mit Genre-Titeln. Und das sieht man jetzt auch bei der Flatrate. Da dominieren dann immer noch das, was sozusagen die Bestseller ausmacht, Fantasy, Krimi, Liebesromane. Ich glaube eher, dass es dann zwei verschiedene Märkte geben wird, also einerseits den Massenmarkt und andererseits die Nische, die dann eben unabhängig davon funktioniert und wo das gedruckte Buch notwendig ist, um überhaupt diese Art von Literatur lesen zu können.
Brink: Aber sind E-Books, andersherum gefragt, nicht vielleicht auch ein Segen? Denn Sie können ja als Autor auch selbst publizieren und brauchen gar keinen Verlag.
Brandt: Man sieht ja, was das dann für Bücher sind, und was Amazon dafür tut, diese E-Books, die da erscheinen, die jeder Autor da selber hochladen kann, die werden nicht großartig lektoriert, da geht kein Korrekturleser noch mal drüber, oder sehr grob vielleicht, wenn man sich das selber leisten kann. Das ist ja auch die Idee von Amazon, dass gewissermaßen die Autoren praktisch alles selber machen oder selber rausgeben an andere und gewissermaßen Eigenverlag werden. Aber Amazon selber tut ja nicht viel dazu. Die Bücher stehen dann da und konkurrieren dann eben mit 600.000 anderen Titeln. Es gibt kein Marketing, keine Werbung, keinen Fürsprecher. Und deswegen gehen die auch unter.
Überfluss erfordert filternde Instanzen
Brink: Aber ist das nicht auch zutiefst demokratisch?
Brandt: Ja gut, es ist sicher für die Autoren, die vielleicht dann beim traditionellen Verlag bisher nicht erschienen sind, ist es vielleicht das Gefühl, ich hab mein Buch veröffentlicht. Es ist da. Es ist sozusagen – jetzt muss es sozusagen sich da behaupten, in dieser Masse, und wenn es untergeht, geht es unter. Aber gute Bücher brauchen immer Fürsprecher, weil sie sonst immer auch untergehen. Es gibt ja auch jetzt schon eine Riesenmasse an Büchern. Es gibt einen unheimlichen Überfluss. Und wir sind alle auf Filter angewiesen, und diese Filter gibt es da einfach nicht mehr, auch wenn Amazon natürlich dieses Tool hat – was diese Kunden haben, die haben auch das gekauft –, aber trotzdem fehlen Instanzen, Autoritäten, und ich glaube, dass da auch eine Sehnsucht gerade in dieser Unüberschaubarkeit des World Wide Web da ist.
Brink: Nun können Sie ja den amerikanischen auch mit dem deutschen Markt vergleichen. Wäre eine Kulturflatrate oder so was wie eine E-Book-Flatrate auch für Deutschland – käme das in Frage?
Brandt: Warum nicht? Wenn Sie das hier machen, warum sollte das in Deutschland nicht umsetzbar sein.
Brink: Würde es funktionieren?
Brandt: Ja, natürlich, das würde auch angenommen werden. In Deutschland macht Amazon im Moment über 40 Prozent des E-Book-Marktes aus. Also die sind schon fast marktbeherrschend. In den USA sind es schon über 50 Prozent. Und die Leute, die einen Kindle haben, können nur Amazon-Titel lesen. Wenn sie die Flatrate da machen, das ist natürlich für alle Kindle-Inhaber ein Vorteil.
Plädoyer für die Buchpreisbindung
Brink: Aber kommen wir dann nicht auch in Konkurrenz mit der Buchpreisbindung, die wir ja hier noch haben, ganz im Gegensatz zum amerikanischen Markt?
Brandt: Die Buchpreisbindung ist ja praktisch die einzige Rettung vor dieser totalen Marktdominanz von Amazon. Wenn die fällt, dann ist der Weg frei, dass Amazon alles übernimmt, alles beherrscht, den ganzen Buchmarkt vollkommen umkrempelt, und dann aber auch eben ein Monopol schafft und dann auch ganz andere Preise setzen kann. Und ich glaube, dann wird auch dieses – dann wird das auch gesteigert werden, dann bleibt es vielleicht nicht bei zehn Euro für "Kindle Unlimited", weil – warum? Es gibt ja keine Ausweichmöglichkeit mehr.
Brink: Der Schriftsteller Jan Brandt, Stipendiat der Villa Aurora in Los Angeles. Schönen Dank, Herr Brandt, und schönen Abend nach Los Angeles!
Brandt: Ja, bitte!
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