Ellen Duthie, Daniela Martagón: Grausame Welt? Nachdenken über Gut und Böse
Aus dem Spanischen übersetzt von Paula Peretti
Moritz Verlag, Frankfurt/ Main 2019
20 Seiten, ab 8 Jahren, 17,95 Euro
Grausamkeit, kindgerecht erklärt
07:13 Minuten
Heftige Situationen und Szenen, beschrieben und gezeichnet von zwei Autorinnen: Mit "Grausame Welt?" werden Kinder zum Nachdenken über Gut und Böse angeregt. Ein gelungenes Buch über ein schwieriges Thema, urteilt unsere Rezensentin.
"Versuchen wir, sie mal feste zu kneifen. Irgendeine Reaktion?", steht auf der Karte, auf der man ein auf einem Tisch festgebundenes Kind sieht. Versuchsleiter sind Ratten. Auf einer anderen wird ein Mann in einem Keller eingesperrt, von Kindern. "Du bleibst hier unten und denkst darüber nach, was du angestellt hast", sagen sie. Oder da ist ein Kind, das sich selbst in den eigenen Arm beißt.
Drei Szenen, drei Karten. Drei von insgesamt 20. Alle sind quadratisch. Immer ist auf der Vorderseite eine grausame Situation abgebildet: Ein Mädchen tötet Ameisen, Löwen fressen eine Ziege, Eltern essen eine Suppe aus Katzenfleisch, Kinder ziehen ein Mädchen an den Haaren, ein Vater duscht sein schreiendes Kind und hält es dabei brutal fest. Und auf der Rückseite finden sich immer Fragen zum Thema.
Weg mit der rosaroten Brille!
Die Philosophin Ellen Duthie lässt bei ihrer Suche nach Antworten, was Grausamkeit ist, tatsächlich nichts aus. Sie fragt, wo Grausamkeit anfängt, was mit Opfern und Tätern ist und ob eine Tat weniger schlimm ist, wenn sie nicht allzu lange dauert.
Schritt für Schritt lädt sie so ein, die jeweilige Situation zu analysieren. Dabei steht immer die Frage im Mittelpunkt: Was findest du grausam? Warst du es schon?
Das ist ganz schön anspruchsvoll. Nicht nur, dass Ellen Duthie Kinder dazu auffordert, sich mit diesem schwierigen Thema auseinanderzusetzen, sondern sie lässt sie auch wissen: Grausamkeit existiert. Weg also mit der rosaroten Brille. Die Welt ist nicht nur schön.
Aber muss man das schon Kinder fragen? Ja, muss man! Denn Kinder leben in dieser Welt, mit all ihren Schattenseiten, Kinder sehen und erleben selbst Situationen, die nicht einfach sind. Und je früher sie aber lernen, Situationen richtig einzuordnen, sie klar zu benennen und ihre eigenen Gefühle zu kennen, umso eher vermeidet man, dass sie selbst grausam agieren, gerade weil sie es spielerisch erfahren können.
Austausch und Argumentation zum Thema Gewalt
Aber auch, weil die Karten sie einladen, sich zu äußern. Anders als ein klassisches Vorlesebuch wird hier stark auf Austausch und Argumentation gesetzt. Gut so. Auch dass Ellen Duthie durch die Gestaltung einen neuen Impuls setzt, ist toll.
Durch die Karten können gleich mehrere Kinder auf einmal unterschiedliche Aspekte von Gewalt besprechen und sich gegenseitig vorstellen. Die Engländerin macht tatsächlich Lust auf ein Thema, dem viele gerne ausweichen.
Gelungen sind auch die Illustrationen von Daniela Martagón: schlicht in Schwarz-Weiß gehalten, erinnern die krakelig gemalten Bilder oft an Cartoons. Auch weil sie die jeweilige Situation absurd verfremden. Wie etwa die Ratten, die sich Kinder als Versuchstiere halten. Oder das Mädchen, das sich selbst beißt, und dessen riesig-spitze Zähne eher zur Katze zu gehören scheinen, die vor ihm mit gesträubtem Fell steht.
Illustrationen, die nichts beschönigen
Den Illustrationen fehlt so selbst alles Liebliche und Schöne, auch sie sind klar auf den grausamen Inhalt reduziert. Da hilft es auch nichts, dass der Hintergrund in kraftvollen Farben - pink, orangefarben, blau, grün oder gelb - gedruckt ist. Vielmehr wirkt das wie ein Signal: Achtung aufgepasst, hier wird es wichtig!
Und, ja, wichtig ist dieses Karten-Buch. Macht es doch klar, Kinder müssen ernst genommen werden. Man kann und muss mit ihnen auch Themen wie Grausamkeit besprechen, darüber philosophieren. Alles andere ist lebensfern.
Und man darf auch ruhig früh anfangen: "Grausame Welt?" eignet sich bestens bereits für den Kindergarten und die Grundschule. Denn was gut und böse ist, wo Grenzen verlaufen und wie fließend die sein können, all das kann man nicht früh genug diskutieren.