E-Roller-Streit

So umkämpft wie Mopeds in den 50ern

04:30 Minuten
Ein E-Tretroller der Verleihfirma "Tier" steht in der Innenstadt hinter einem abgestellten Fahrrad.
Bei der Debatte um E-Roller werde der florierende Hostel-Tourismus mitverhandelt, meint der Kulturhistoriker Bodo Mrozek. © picture alliance / dpa / Martin Gerten
Ein Rückblick von Bodo Mrozek · 08.10.2019
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Der E-Roller-Streit hat einen Vorläufer: die Moped-Debatte in den 50ern. Als Behörden frisierte Maschinen beschlagnahmten, flogen sogar Steine. Heute wie damals steckten dahinter mehr als nur konservative Ängste, meint Kulturhistoriker Bodo Mrozek.
Kaum ein Verkehrsmittel ist derzeit so umstritten wie sie. Sehen manche in ihnen die Vorboten des Endes fossiler Brennstoffe im Straßenverkehr und knüpfen geradezu utopische Erwartungen an das Gefährt, so gilt es anderen als "Stolperfalle" oder "Elektroschrott". Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung spricht gar von einer "Katastrophe" auf zwei Rädern.
Die Rede ist natürlich vom Elektro-Tretroller. Seit die kleinen Flitzer Mitte Juni diesen Jahres zugelassen wurden, erregen sie die Gemüter. In Bayern prescht man voran und hat schon mal prophylaktisch Sperrzonen rund ums Oktoberfest eingerichtet, nachdem gerüchteweise der Jesus-Darsteller auf den Passionsfestspielen von Oberammergau statt mit dem traditionellen Esel auf einem Elektroroller einfahren sollte – wozu es freilich nicht kam. Aber markiert der Elektro-Tretroller wirklich einen Kulturbruch – und noch dazu einen blasphemischen?

"Jammernde" Maschinen und "stöhnende" Reifen

Keineswegs. Denn auch ein vergleichsweise harmloses Gefährt löste noch vor wenigen Jahrzehnten eine veritable "moral panic" aus. Da man es sowohl mit einem Motor als auch per pedes betreiben kann, nennt man es seit 1953 Moped. Hersteller wie Zündapp oder Kreidler produzierten eine große Zahl der Kleinkrafträder, die bei Jugendlichen äußerst begehrt waren, denn diese durften sich schon ab 16 Jahren in die Sättel schwingen.
In einer erregten Mediendebatte wurde alsbald das phonstarke Knattern der "jammernden" Maschinen und "stöhnenden" Reifen beklagt, wie es der Publizist Harry Pross formulierte. Ein Kommentator der Zeitung "Die Welt" empfahl gleich, ein Exempel zu statuieren und mal ein paar der Lärmmaschinen für ein Jahr zu konfiszieren – das wirke "stärker als Arrest".

300 Festnahmen bei Moped-Demo 1956

In Hessen hatte das "Offenbacher Motorradrudel" ein Lärmkonzert mit gerichtlichem Nachspiel gegeben. Und als die Behörden im West-Berliner Bezirk Wedding Geschwindigkeitsbegrenzungen und Halteverbote durchsetzten und tatsächlich frisierte Mopeds beschlagnahmten, versammelten sich im Juli 1956 rund 1000 Jugendliche aus verschiedenen Bezirken.
Es flogen Steine und Fontänen aus dem Wasserwerfer. Der Polizeibericht zählte mehr als 300 Festnahmen. In mehreren Sitzungen diskutierten auch die Abgeordneten das sogenannte Moped-Problem. Gelöst wurde es schließlich mit einer Kennzeichnungspflicht und einem Tempolimit von 25 km/h. In Bayern, das sich auch damals schon hervortat, erging gar ein ministerieller Erlass, der das Herumfahren auf Motorrädern "aus purer Lust" unter Strafe stellte und lediglich "zur Erreichung eines Verkehrszieles" gestattete.

Zeitspezifische Hintergründe der Debatten

Die Parallelen zur E-Roller-Debatte unserer Tage sind offenkundig. Damals wie heute ging beziehungsweise geht es nicht nur um konservative Ängste vor Veränderung, sondern auch um andere zeitspezifische Hintergründe, die die Debatten grundieren. Ging es damals um die Jugend selbst, die in einer demografisch jungen Gesellschaft von den Älteren als Bedrohung empfunden wurde, so wird heute nicht zuletzt der florierende Hostel-Tourismus mitverhandelt, der vielen Großstädtern auf die Nerven geht.
Gemeinsam sind beiden Debatten die Emotionalität und Schärfe angesichts derer man mal wieder meinen könnte, der Untergang der modernen Stadt in Anarchie und Chaos stehe unmittelbar bevor.
Klar, dies sind Debatten, die man führen muss. Allerdings kann man die ganz große Untergangsangst vielleicht ein wenig dämpfen. Denn eines scheint beim vergleichenden Blick in die jüngere Geschichte doch ziemlich sicher: So absurd uns der Moped-Krieg der fünfziger Jahre heute erscheint, so sehr werden kommende Generationen den heutigen Streit um E-Roller dereinst belächeln.

Bodo Mrozek ist Kulturhistoriker und Autor des Buches "Jugend – Pop – Kultur. Eine transnationale Geschichte" (Suhrkamp 2019), das von der Kriminalisierung und Etablierung der Popkultur im 20. Jahrhundert handelt. Er vertrat zuletzt den Lehrstuhl für Theorie und Geschichte der populären Musik der Humboldt-Universität zu Berlin. Derzeit ist er Fellow am Berliner Kolleg Kalter Krieg.

Kulturhistoriker Bodo Mrozek
© Suhrkamp
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