East Side Gallery Nr. 187
Eine besondere "Bilderflut" entstand erst nach dem historischen Mauerfall – sie war nicht transportfähig und auch nicht für das Museum geeignet: die weltberühmte East Side Gallery ganz in der Nähe des Berliner Ostbahnhofes.
Wrubel: "Weiß der Teufel. Ich hab Angst! Da ist eine Grenze, schwer zu verstehen. Ist das Kunst oder Fake? Aber das ist klasse, wenn es gerade zwischen Kunst und Fake ist."
Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben – der großgeschriebene Untertitel des Bildes ist schon fast fertig. Dmitri Wrubel schmunzelt, sagt nichts mehr, er wird tausendmal pro Tag danach gefragt: "Who are that two guys" und malt letzte Pünktchen über O und U auf dem Mauersegment Nr.187. auf dem Breschnew, der sowjetischer Generalsekretär, und Erich Honecker zu einem Bruderkuss verschmelzen.
Wrubel: "Ich wusste gar nicht, was Acrylfarben sind, malte nur mit Öl zu Hause. Es ist ein Wunder, dass das so geklappt hat. Deshalb lernte ich mit Acryl zu malen, und Sachen zu machen, die ich damals nicht konnte."
16 Tage arbeitet er schon von neuem an seinem "Bruderkuss", der auf Tausenden Postkarten und T-Shirts um die Welt ging. Ein Schöpfungsakt, eine Installation, interessant.
Wrubel: "Zweitens ist die Stadt gut und die Leute sind in Ordnung, und irgendwie möchte man die Arbeit gar nicht zu Ende bringen."
20 Jahre hielt der berühmte Kuss Breschnews und Honeckers, bis er fast vollständig von der Mauerfläche verschwand. Billige Acrylfarben verblassten, bedeckt von Tausenden Touristengraffitis, und der Beton der Mauer begann zu bröckeln. Nun ist das längste Stück Mauer von 1,3 km am Ostbahnhof in Berlin restauriert und saniert, Segmente der Mauer sind sorgfältig grundiert, gebleicht, wie die Zähne des alten Rauchers. 2,5 Millionen Euro hat die Restaurierung gekostet.
Von neuem leuchten die Bilder der größten Freilichtgalerie der Welt in ihrem ursprünglichen Glanz. Wenn man die Mauer entlanggeht, bilden die Bildausschnitte einen sehr bunten Film, ein Kaleidoskop aus 20 Jahre alten Erinnerungen.
Kani Alavi: "Ich bin 1980 nach Berlin gekommen und wusste danach nicht ganz genau, ob ich in Ost- oder Westberlin gelandet bin."
Kani Alavi, Vorsitzender der Künstlerinitiative East Side Gallery, damals ein 23-jähriger Künstler aus Nord-Iran, der mit heißem Herzen nach Berlin kam, Malerei zu studieren.
Kani Alavi: "Man erzählte mir, diese Mauer ist 84.000 Kilometer lang, und ich dachte, es ist Schwachsinn, wozu eigentlich? Und habe die Leute gefragt, ob die auf der anderen Seite auch Deutsche sind."
Klaus K.: "Die zweite Kompanie des soundsovielten Grenzregiments hat die Aufgabe, die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik zu sichern, Grenzdurchbrüche in beiden Richtung nicht zuzulassen, und eine Ausdehnung von Grenzprovokationen auf das Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik zu verhindern, es wurde dann noch mit Zeit und Datum ganz genau formuliert und endete mit dem Wort "Vergatterung"."
Klaus K. Damals Oberst der NVA, hatte regelmäßig Einsätze an der Mauer, auch im Bereich der heutigen East Side Gallery.
Klaus K.: "Der Grenzverlauf war ja 70 bis 80, teilweise 100 Meter vorn auf der Spree. Die Mauer stand ja ungefähr 70 bis 80 Meter auf DDR-Gebiet, das heißt ja, der normale Grenzabschnitt war ja praktisch zwischen zwei Mauern. Das war das sog. vordere Sperrelement – das war die Mauer, die unmittelbar auf der Grenzlinie stand, und 30-40 – 50 Meter auf östlichem Gebiet war die sogenannte Hinterlandsmauer."
Regis Bossu: "Die Franzosen haben nicht so sehr verstanden, sie wussten dass es eine Mauer gab. Aber wie trennt man ein ganzes Land mit einer Mauer – das war konfus, weil wenige haben gewusst, dass es erstmal eine Insel Berlin gab, umgerundet mit einer Mauer ."…
Regis Bossu, ein französischer Fotojournalist, bald ein deutscher Rentner. Er arbeitete in Deutschland für die große Pariser Agentur Sygma und war des öfteren in der Hauptstadt der DDR. Ein wichtiges Ereignis bringt ihn 1979 nach Ostberlin: das 30-jährige Jubiläum der DDR und der Staatsbesuch des betagten sowjetischen Generalsekretärs Leonid Breschnew.
Klaus K.: "Auf dieser Strecke fuhren immer solche Staatskarossen, wenn irgendwelche Staatsempfänge von Schönefeld aus kamen. Die Straße … war immer stark befahren, wie gesagt, aber natürlich stark bewacht."
Regis Bossu: "Ja, diese Mühlenstraße, dieser langer Mauerstück, wo ich manchmal riskiert habe, durch das Fenster trotz Begleitung Fotos zu schießen. Weil dieses Stücks Mauer war schon eine spektakuläre Länge.
Der offizielle Termin für 30 Jahrestag das war der 7 Oktober, denke ich, und ein Tag davor war dieser Empfang im Gästehaus im Schloss Niederschönhausen, in Pankow. Und an dem Abend gab es eine Begegnung für Ordensaustausch, das heißt die Fotografen kamen erst in einen Raum, gefüllt von anderen Leuten, und wir mussten hinter einer Grenze stehe. Und plötzlich die Tür geht auf und kommt die ganze Defilee von Honecker und Breschnew und pipapo …ganze Truppe."
Von seinen DDR-Kollegen in die dritte Reihe gedrängt, versucht Regis Bossu mit einem Teleobjektiv ein anständiges Reportagefoto zu schießen. Und das geht gar nicht.
Regis Bossu: "Immer Kuss a la Russe! Weil die küssten sich für einen Orden, nochmals nach einer Rede und nochmals zum Gratulieren nach dem Reden. Und nochmals, das war Küssen ohne Ende."
Regis Bossu sendet die Fotoaufnahmen unentwickelt nach Paris, damit keine Minute verloren geht. Der Bruderkuss als Originalfoto erscheint zum ersten Mal im französischen Wochenblatt "Paris Match". Ein Welterfolg. In weiteren 20 Jahren wird das Foto 400 Mal verkauft. Aber viele andere Fotos von damals, die keinen politischen Kontext hatten, bleiben selbst dem Fotografen bis heute noch unbekannt.
Regis Bossu: "Heute leide ich daran, ich erinnere mich dass ich interessante Fotos gemacht habe. Breschnew und Defilee das war ein Event, den sie sehen wollten, nicht die Fotos, die am Rand sind. Nicht der Vater und sein Kind, in einer Wurstbude da mit seiner traurigen Mine als Ostdeutsche, diese Fotos … sind erst mal verloren gegangen.
Ich meine meine Sammlung von Fotos, wo diese zwei Welten getrennt durch ein Mauer präsentieren konnte, die enorme Kontraste – von einer Seite Opulenz, und andere Seite noch 20 Jahre rückwärts. Aber immer interessant, in Frankreich sind Dörfer manchmal zurückgeblieben, wie die waren vor dem Krieg, warten auf Renovierung, und in Ostdeutschland war es ein bisschen auch so."
Birgit Kinder: "Es ist die Heimat gewesen, das darf man nicht vergessen, es die Heimat, es ist das Land, in dem ich als Kind aufgewachsen bin, und ich bin wohlbehütet aufgewachsen, in einer kleinen Thüringer Stadt, fern von allen weltlichen Problemen.
Wenn man in der schönen Schule ist, im Hof gibts alles an Spielsachen, und das Essen kostet nichts und schmeckt auch noch gut, und dann kommt um vier Uhr die Mutter und holt dich ab, und kann man auf der Straße auch weiter spielen, dann wird man langsam erwachsen, man geht mit der Clique um die Häuser, musste keine Angst haben."
Birgit Kinder. Malerin aus Ost Berlin. Ihr Trabant – sie war eine glückliche Besitzerin des Zweitakters – hat einmal den Beton der Mauer durchbrochen, blieb dort ewig stecken. "Test the Best", heißt ihr berühmtes Werk an der Mauer.
Birgit Kinder: "Und ich habe dann artfremde Tätigkeit gemacht, gejobbt, aber immer im Hintergedanken war die Malerei. Ich habe in Zirkeln immer mein Studium komplimentiert und immer erweitert und hatte den Drang, nach Berlin zu gehen, und bin Mitte 20 nach Berlin und habe dann schon Ausblick gehalten: wo kann ich studieren? Wo kann ich richtig die berufliche Voraussetzung dafür schaffen, dass ich eben hauptberuflich als Künstler in der DDR arbeiten kann."
Kani Alavi: "Ich musste für mein Studium in verschiednen Firmen rein gehen und dort arbeiten, damit ich mein Studium finanzieren kann und da ich mitbekommen also - wie man schuften muss, damit man was erreichen kann."
Birgit Kinder: "Das Tolle ist, ich habe früher die Miniaturen gemalt, Bildchen die auf die Hand gepasst haben, das habe ich zu gerne gemacht, dünne Pinsel und kleine Landschaftsbilder, winzig kleine. Ich habe 87 mit der Wandmalerei begonnen, da habe ich Hauseingänge bemalt, in diesen ganzen Plattenbauten, die draußen vor Berlin entstanden sind. Aber ich brauchte die Zustimmung meines Chefs, in dem Betrieb, in dem ich gearbeitet hatte, dann brauchte ich die Zustimmung meines Zirkelleiters, und der FDJ. Und das hieß Fördervertrag."
Kani hat 1988 in Westberlin gerade ein zweites Studium als Grafikdesigner aufgenommen. Wohnungen in den teilweise leerstehenden Häusern dicht an der Mauer waren für Studenten besonders attraktiv. Kani mietet eine direkt am Checkpoint Charlie. Nur vier Meter von dem "vorderen Sperrelement" entfernt.
Kani Alavi: "Ich komme aus einem Land, wo die Mauer in den Köpfen war, diese islamische religiöse Mauer. Und kam hierher und sah die Mauer vor meiner Augen, ja. Die haben ständig die Leute beobachtet vom Osten und das war einfach alles so bedrohlich, ja. Und diese Seite ist so trostlos und andere Seite ist auch grau, direkt an der Mauer war immer eine Stimmung, wo man sich immer sagt: Müssen die Menschen sich so etwas antun?"
An der Mauer am Ostbahnhof war es relativ ruhig, da lag noch die Spree dahinter, die Grenze verlief quasi auf dem Wasser, zusätzlich von einer Bootskompanie gesichert. Trotzdem gab es Versuche, über die Mauer zu klettern, sofort blinkte ein Lämpchen in der Führungsstelle des Sicherungsabschnitts und eine riesige Welle von Aktivitäten der Grenztruppen wurde ausgelöst.
Klaus K.: "Posten runter von Turm, hin, zum Ereignisort, dann kommt der Sicherungsabschnitt, ist auf dem Posten verblieben, aber hatte in seinem Turm immer sogenannte Alarmgruppe gehabt, drei bis vier Soldaten und einen Offizier dabei, ein Kübelwagen, die sind dann auch ganz schnell zum Ereignisort gefahren, und wenn es notwendig schien, und das schien immer notwendig, ist dann also parallel ein Regimentalarm ausgelöst worden – Grenzalarm nannte sich das, und dann ist auch ein Alarmzug raus gefahren, und das waren die 30 Mann die dort in der Reserve lagen, sind in ein LKW gesprungen, und dann auch raus gefahren, und … ich auch mit meinem Fahrer. So und dann halt Grenzposten: ‚Stehen bleiben, Hände hoch!’"
Birgit Kinder: "Wir müssen eigentlich, was wirklich geschehen ist, bewahren und im Original den Nachfolgenden überreichen, sonst entsteht ein verklärtes Bild, wenn ich anfange an der Historie ein bisschen auszubessern. Abzumildern und alles ins "Tralala" zu schieben. Wir wollten dokumentieren, was eigentlich Teilung bedeutet, das kann man nur darstellen, indem man das gesamte Stück beibehält."
Obwohl die Galerie unter Denkmalschutz steht, ist ihr Erhalt als das längste Mauerstück nicht gesichert. Der Grund, auf dem sie steht, gehört verschiedenen Besitzern, längst nicht alle von ihnen sind interessiert an eine Erhaltung der Mauer als Epochendenkmal, als ganzheitliches Kunstwerk.
Über die künstlerische Bedeutung der 106 Bilder lässt sich sicher streiten, aber sie sind zweifellos eine einmalige Erscheinung in der modernen Kunst, die als Ganzes gesehen eine ungeheuere soziale Energie in sich bergen. Die Galerie hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Schon lange sagt man, dass sie die zweite Sehenswürdigkeit Berlins nach dem Reichstag ist.
Kani Alavi: "Und dann sind wir fünf, sechs Künstler zusammengekommen und sagten, wir beantragen beim Denkmalamt, dass die gesamte East Side Gallery unter Denkmalschutz gestellt wird. Ende 1991 beantragt und Anfang 1992 war es bewilligt, seitdem dürfen die nicht ausgenommen werden außer bei einer besonderen Situation – das wollen wir verhindern, dass jeder Unternehmer kommt und die Mauer rausnimmt dann ist die Mauer zerstückelt, und die Authentizität ist weg."
Schon jetzt sind Segmente des Mittelteils herausgenommen, um den Blick auf das neue Ufer zu öffnen. Sie wurden zur Seite geschafft und bilden jetzt eine zweite Reihe. Segmente sind auch an der Oberbaumbrücke umgestellt worden. Tatsächlich ist jetzt die Mühlenstraße, an der die Mauer entlang führt, ein langweiliger und leerer Ort. Und er verlangt eine gekonnte architektonische Lösung, die auch die Galerie mit einschließen könnte, um sie zum Bestandteil eines architektonischen Ensembles zu machen, ohne sie zu zerstören.
Birgit Kinder: "Wir haben die East Side Gallery bemalt damit die – diese Mauer militärisches Bollwerk, das hier original gebaut wurde, damit das erhalten bleibt um Touristen zu sagen, lass diese Mauer stehen, damit in der Welt keine neuen entstehen …"
Wrubel: "”Zufällig bekam ich die alte Ausgabe von ‚Paris Match’ in die Hände. Das war 1989. Meine Bekannte brachte es mir aus Paris und sagte, hier ist was für dich, was du als Bild malen kannst. Ich sah mir das Bild an und empfand zuerst eine tiefe Abscheu.""
Ende der Achtzigerjahre ist in der UdSSR schon vieles erlaubt. Ausstellungen mit moderner Kunst werden schon nicht mehr mit Bulldozern abgerissen. Die Künstler machen, was sie wollen. Russische Kunst kommt in Mode und in Russland entsteht ein für die Russen neues Genre.
Wrubel: "Später habe ich eine Installation ausgedacht, das war die Darstellung meiner Künstlerwohnung in Moskau, mit den Bildern zusammen. Und unter anderen Arbeiten war dort der «Bruderkuss», mit Breschnew und Honecker zu sehen."
Birgit Kinder: "Weil, es war auch eine bedrückende Zeit, von 1988 an seit der Perestroika, es wurde vieles erlaubt, es ist vieles entstanden, was irgendwie die Augen geöffnet hat, und speziell immer so im Herbst, Oktober, wo schon die Nebelschwaden über die Stadt hingen und der Gestank von den Zweitaktern, so eine depressive Stimmung, und es war eine sehr spannende Zeit einerseits die Freude, dass etwas anderes passiert und auch die Angst, dass es blutig endet."
Dmitri Wrubel ist am 9. November 1989 auf dem Weg von Paris nach Hause. Seine erste Auslandsreise hat sich nicht gelohnt. Alle hochfliegenden Pläne waren dahin, kein versprochenes Atelier in Paris, keine Ausstellungen, kein Geld, kein Flugticket, und was sehr unangenehm war – kein deutsches Transitvisum. Aber es blieb nichts anderes übrig, als mit einem Armenier der Rafael hieß, doch eine Autofahrt nach Moskau durch Deutschland zu wagen.
Dmitri Wrubel: "‚Bitte nach Moskau.’ An dem Tag, als ich mich auf dem Berliner Ring befand mit Rafael, dem Fahrer des ‚Wolga’, beschlossen wir, nicht in die Stadt rein zu fahren, denn wir sahen im Fernsehen merkwürdige Unruhen in Berlin.
Und wir dachten, man würde uns schlicht totschlagen, weil es ein ‚Wolga’ mit Moskauer Kennzeichen ist, in dem ein Armenier und zwei Moskauer sitzen, und wir machten einen Bogen um Berlin Richtung Warschau.""
Klaus K.: "An diesem 9. November 1989 fand genau diese alljährliche Party statt. Der Regimentskommandeur war da, die Stellvertreter waren alle da, Großteil der Offiziere, der Mannschaften und feierten ein großes Fest und haben gefeiert was das Zeug hält, zusammen mit sowjetischen Genossen aus Karshorst und zusammen mit Mädchen aus verschiedenen Betrieben im Bezirk Friedrichshain, Mitte eine große Party - und das war die Oktoberrevolution. Es war 22 Uhr oder irgendwann und ich weiß noch ganz genau, an der Diskothek lief gerade Lambada, und in dem Augenblick wir saßen alle am Tisch viele tanzten, kommt ein Soldat von der Wacheinheit rein … total verschlammt - Stahlhelm so, MP umgehängt -"Die Mauer ist auf, die Mauer ist auf"…Die Mauer ist auf – Was? Wie? Uh Daraufhin stand Kommandeur, Stabchef und die ganze Führung rannten raus und binnen zehn Minuten, viertel Stunde war der ganze Saal leer, alles rannte los."
Kani Alavi: "Auf einmal hörte ich im Radio ‚Oh die Mauer ist gefallen’, bin ich schnell zum Fenster gegangen. Ich habe auf der vierten Etage gewohnt aber bin hoch und runter gerannt und wollte einmal von obere Perspektive sehen, von ganz oben sehen, wie die Menschenmasse von Osten nach Westen kam – ich hatte besseren Überblick, aber andererseits musste ich einzelne Gesichter entdecken, und musste nach unten rennen, an dem Abend bestimmt zehn mal hoch und runter gerannt.
Ich habe sie genau an dem Abend beobachtet, mit welchen Gesichtausdrücken sie einfach raus kamen, mit welcher Euphorie, und diese Gesichtsausdrücke musste ich natürlich aufheben, und mehrfach skizzieren. Einer war glücklich, einer war traurig, einer war erstaunt einer hatte Angst gehabt, wenn er nach Westen kam, hatte immer nach hinten geguckt, ob die Mauer jetzt zu wird oder nicht. Ob er überhaupt zurückkehren kann, und da waren so Gedanken von Menschen die in dem Moment und diese Gefühle habe ich zwei Monate später auf diese jetzige East Side Gallery übertragen."
Chris MacLean, Kulturattachee der britischen Botschaft in der DDR, war die eigentliche Initiatorin dieser Aktion: 118 Künstler aus 21 Ländern ließen zwischen Januar und September 1990 ihre spontanen Bilder auf der früher unantastbaren Ostseite der Mauer entstehen. Chris McLean rief auch Kani Alavi an und schlug ihm die Teilnahme an der Aktion vor. Das Bild von Kani Alavi heißt "Es geschah im November".
Kani Alavi: "Das war Winter, das war kalt 1990, zwei Monate nach dem Mauerfall, da waren die Soldaten, die hier patrouilliert haben, die kamen haben geguckt, ein bisschen skeptisch geguckt, was wir machen, bis dahin durften wir nicht, den Ostteil der Mauer bemalen. Als sie später kamen haben sie gefragt, was malt ihr hier, können wir die Leiter fest halten, oder Pinseln und Töpfe mit Farben fest gehalten. Diesmal kamen sie nicht mit Waffe sondern kamen die zu uns, uns nur helfen. Das waren wunderschöne Gefühle."
Birgit Kinder: "Ich habe gesehen, wie Dimitri Wrubel diesen Bruderkuss malt und habe erfahren, er wohnt im EastSide Hotel, und da habe ich mit ein bisschen Russisch, was ich so konnte, einen Brief geschrieben, und habe an der Rezeption abgeben lassen, hebe aber nie erfahre ob Dimitri diesen Brief bekommen hat: "Lieber Malerkollege, herzlich willkommen in Berlin und dobro pozhalowat w Berline…" und alles so drauf geschrieben was ich wusste und habe gesagt mne otschen nrawitsa das Bild, ich bin Birgit Kinder und habe da hinten einen Trabi gemalt."
Dmitri tut es schrecklich leid, dass er den vor 20 Jahren geschriebenen Brief nicht erhalten hat. Er lebte damals mit anderen russischen Künstlern in einer Berliner Wohnung bei Freunden. Sie waren jung, ihnen eröffnete sich eine neue Welt, sie tranken abends billigen Wein und waren glücklich. Alexei Taranin, Irina Dubrowskaja, Michail Serebrjakow schufen auch Mauerbilder, aber ihr Hauptziel war die Teilnahme an einer Ausstellung russischer Künstler im Palais am Festungsgraben, das damals das Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft war. Die Bilder an der Berliner Mauer waren als Reklame für die Ausstellung gedacht.
Dmitri Wrubel: "Es war eine lustige Situation, als ich diese Arbeit an der Mauer machte. Bis dahin hatte ich noch nie im Freien gearbeitet und ich hatte keine großen Sachen mit Acryl gemalt. Und da … ich war in Eile … da musste man erstens schnell fertig werden, zweitens hatte ich ständig Hunger.
Weil ich kein Geld hatte. Ich hatte fünf oder zehn Mark am Tag und tagsüber brachten Freunde das Mittagessen in einer Schüssel, um Geld zu sparen. Ich malte im Juli. Erst am 30. Juli schaffte man die Grenzkontrollen ab, deswegen konnte ich in der ganzen ersten Zeit nicht legal über die Grenze. In Kreuzberg gaben die Grenzer mir Wasser zu trinken. Aber rüber haben sie mich nicht gelassen, weil ich nur eine Einladung für die DDR hatte."
Birgit Kinder: "Als Dimitris Bild riesengroß im Entstehen war, dieser Bruderkuss, - hatte ich auch den Wunsch, an der Mauer zu malen, wie gesagt, und habe mich nicht so getraut, weil ich dachte, es eine interne Geschichte, und es stand in der Zeitung, dass Künstler aus aller Welt an der Mauer malen. Und dann bin ich hingefahren das war schon mittlerweile Juni, habe mein Trabi auf den Bürgersteig gestellt und habe irgendwo weiter hinten, weil dort im Moment ein bisschen Schatten war, habe mir ein Segment frei gekratzt, da hingen noch alte Wahlplakate und Werbung hing schichtweise an der Mauer dran, und mittlerweile durchgetrocknet.
Ich habe alles abgekratzt, grundiert, vorgezeichnet, und bin ein bisschen nach vorn nach Westberlin gelaufen, und habe in einer Telefonzelle, Christine MacLeen angerufen, und habe ihr gesagt was ich vorhabe.
Sie sagte, Birgit es geht so nicht, weil es sind viele Künstler auf der Warteliste, ja, und es kann passieren, dass es wieder übermalt wird, ich sagte, es ist mir egal, ich möchte aber gerne ein Trabibild, hier dran malen, da steht er. Ja, sagt sie, da musst du fragen, ich habe gesagt, ich habe 20 Jahre lang gefragt, ich will jetzt niemanden mehr fragen, die Mauer ist gefallen, und ich will jetzt hier ranmalen, egal und wenn es wieder weggewischt wird, ich male jetzt mein Bild dran.
Ich male morgen mein Bild fertig, und komme was da wolle. Ja, ich komme vorbei, sagte sie – Ich habe natürlich früh, schon ganz zeitig, begonnen und war Nachmittag mit meinem Bild fertig. Also fast fertig, man hat den Trabi schon gesehen, oben "test the best" ich hatte nur noch unten Feinheiten zu malen.
Zwei Reisebusse mit Japanern, eine Motorradgang – die machte Rast und ein Fernsehteam baute sich auf, und in dem Moment kam die Christin McLeen und hat gesehen was an meinem Bild los ist, und sie kam auf mich zu und sagte: Herzlich willkommen an der East Side Gallery."
Die East Side Gallery ist ein Gemeinschaftskunstwerk, ein Exponat in einem riesigen Museum für Kunst, Kitsch, Industriedesign und Mode, eines von vielen Objekten einer gigantischen Installation mit Namen Berlin. Kani Alavi und seine Mitstreiter aus der Künstlervereinigung ESGallery wollen sich nicht mit dem Erreichten begnügen. Auf der Welt gibt es noch genug Mauern, die Menschen und politische Systeme trennen. Diese Mauern sollen Objekte sozialer Protestkunst werden. Dostojewskij hat das einfach ausgedrückt: Die Kunst wird die Welt erlösen.
Kani Alavi: "Die nordkoreanische Grenze, 1300 Meter Leinwand beziehen, da gibt es eine Mauer nicht so massiv, sondern aus Gitter, da war ich dreimal dort. Dort sind die Leute, die gucken genauso, wie hier im Osten mit Kameras uns beobachtet hatten, da ist es schlimmer, man will die beruhigen – wir machen hier eine friedliche Kunst. Und es anschließend vielleicht, wie in Deutschland zu einer Revolution kommt!"
Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben – der großgeschriebene Untertitel des Bildes ist schon fast fertig. Dmitri Wrubel schmunzelt, sagt nichts mehr, er wird tausendmal pro Tag danach gefragt: "Who are that two guys" und malt letzte Pünktchen über O und U auf dem Mauersegment Nr.187. auf dem Breschnew, der sowjetischer Generalsekretär, und Erich Honecker zu einem Bruderkuss verschmelzen.
Wrubel: "Ich wusste gar nicht, was Acrylfarben sind, malte nur mit Öl zu Hause. Es ist ein Wunder, dass das so geklappt hat. Deshalb lernte ich mit Acryl zu malen, und Sachen zu machen, die ich damals nicht konnte."
16 Tage arbeitet er schon von neuem an seinem "Bruderkuss", der auf Tausenden Postkarten und T-Shirts um die Welt ging. Ein Schöpfungsakt, eine Installation, interessant.
Wrubel: "Zweitens ist die Stadt gut und die Leute sind in Ordnung, und irgendwie möchte man die Arbeit gar nicht zu Ende bringen."
20 Jahre hielt der berühmte Kuss Breschnews und Honeckers, bis er fast vollständig von der Mauerfläche verschwand. Billige Acrylfarben verblassten, bedeckt von Tausenden Touristengraffitis, und der Beton der Mauer begann zu bröckeln. Nun ist das längste Stück Mauer von 1,3 km am Ostbahnhof in Berlin restauriert und saniert, Segmente der Mauer sind sorgfältig grundiert, gebleicht, wie die Zähne des alten Rauchers. 2,5 Millionen Euro hat die Restaurierung gekostet.
Von neuem leuchten die Bilder der größten Freilichtgalerie der Welt in ihrem ursprünglichen Glanz. Wenn man die Mauer entlanggeht, bilden die Bildausschnitte einen sehr bunten Film, ein Kaleidoskop aus 20 Jahre alten Erinnerungen.
Kani Alavi: "Ich bin 1980 nach Berlin gekommen und wusste danach nicht ganz genau, ob ich in Ost- oder Westberlin gelandet bin."
Kani Alavi, Vorsitzender der Künstlerinitiative East Side Gallery, damals ein 23-jähriger Künstler aus Nord-Iran, der mit heißem Herzen nach Berlin kam, Malerei zu studieren.
Kani Alavi: "Man erzählte mir, diese Mauer ist 84.000 Kilometer lang, und ich dachte, es ist Schwachsinn, wozu eigentlich? Und habe die Leute gefragt, ob die auf der anderen Seite auch Deutsche sind."
Klaus K.: "Die zweite Kompanie des soundsovielten Grenzregiments hat die Aufgabe, die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik zu sichern, Grenzdurchbrüche in beiden Richtung nicht zuzulassen, und eine Ausdehnung von Grenzprovokationen auf das Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik zu verhindern, es wurde dann noch mit Zeit und Datum ganz genau formuliert und endete mit dem Wort "Vergatterung"."
Klaus K. Damals Oberst der NVA, hatte regelmäßig Einsätze an der Mauer, auch im Bereich der heutigen East Side Gallery.
Klaus K.: "Der Grenzverlauf war ja 70 bis 80, teilweise 100 Meter vorn auf der Spree. Die Mauer stand ja ungefähr 70 bis 80 Meter auf DDR-Gebiet, das heißt ja, der normale Grenzabschnitt war ja praktisch zwischen zwei Mauern. Das war das sog. vordere Sperrelement – das war die Mauer, die unmittelbar auf der Grenzlinie stand, und 30-40 – 50 Meter auf östlichem Gebiet war die sogenannte Hinterlandsmauer."
Regis Bossu: "Die Franzosen haben nicht so sehr verstanden, sie wussten dass es eine Mauer gab. Aber wie trennt man ein ganzes Land mit einer Mauer – das war konfus, weil wenige haben gewusst, dass es erstmal eine Insel Berlin gab, umgerundet mit einer Mauer ."…
Regis Bossu, ein französischer Fotojournalist, bald ein deutscher Rentner. Er arbeitete in Deutschland für die große Pariser Agentur Sygma und war des öfteren in der Hauptstadt der DDR. Ein wichtiges Ereignis bringt ihn 1979 nach Ostberlin: das 30-jährige Jubiläum der DDR und der Staatsbesuch des betagten sowjetischen Generalsekretärs Leonid Breschnew.
Klaus K.: "Auf dieser Strecke fuhren immer solche Staatskarossen, wenn irgendwelche Staatsempfänge von Schönefeld aus kamen. Die Straße … war immer stark befahren, wie gesagt, aber natürlich stark bewacht."
Regis Bossu: "Ja, diese Mühlenstraße, dieser langer Mauerstück, wo ich manchmal riskiert habe, durch das Fenster trotz Begleitung Fotos zu schießen. Weil dieses Stücks Mauer war schon eine spektakuläre Länge.
Der offizielle Termin für 30 Jahrestag das war der 7 Oktober, denke ich, und ein Tag davor war dieser Empfang im Gästehaus im Schloss Niederschönhausen, in Pankow. Und an dem Abend gab es eine Begegnung für Ordensaustausch, das heißt die Fotografen kamen erst in einen Raum, gefüllt von anderen Leuten, und wir mussten hinter einer Grenze stehe. Und plötzlich die Tür geht auf und kommt die ganze Defilee von Honecker und Breschnew und pipapo …ganze Truppe."
Von seinen DDR-Kollegen in die dritte Reihe gedrängt, versucht Regis Bossu mit einem Teleobjektiv ein anständiges Reportagefoto zu schießen. Und das geht gar nicht.
Regis Bossu: "Immer Kuss a la Russe! Weil die küssten sich für einen Orden, nochmals nach einer Rede und nochmals zum Gratulieren nach dem Reden. Und nochmals, das war Küssen ohne Ende."
Regis Bossu sendet die Fotoaufnahmen unentwickelt nach Paris, damit keine Minute verloren geht. Der Bruderkuss als Originalfoto erscheint zum ersten Mal im französischen Wochenblatt "Paris Match". Ein Welterfolg. In weiteren 20 Jahren wird das Foto 400 Mal verkauft. Aber viele andere Fotos von damals, die keinen politischen Kontext hatten, bleiben selbst dem Fotografen bis heute noch unbekannt.
Regis Bossu: "Heute leide ich daran, ich erinnere mich dass ich interessante Fotos gemacht habe. Breschnew und Defilee das war ein Event, den sie sehen wollten, nicht die Fotos, die am Rand sind. Nicht der Vater und sein Kind, in einer Wurstbude da mit seiner traurigen Mine als Ostdeutsche, diese Fotos … sind erst mal verloren gegangen.
Ich meine meine Sammlung von Fotos, wo diese zwei Welten getrennt durch ein Mauer präsentieren konnte, die enorme Kontraste – von einer Seite Opulenz, und andere Seite noch 20 Jahre rückwärts. Aber immer interessant, in Frankreich sind Dörfer manchmal zurückgeblieben, wie die waren vor dem Krieg, warten auf Renovierung, und in Ostdeutschland war es ein bisschen auch so."
Birgit Kinder: "Es ist die Heimat gewesen, das darf man nicht vergessen, es die Heimat, es ist das Land, in dem ich als Kind aufgewachsen bin, und ich bin wohlbehütet aufgewachsen, in einer kleinen Thüringer Stadt, fern von allen weltlichen Problemen.
Wenn man in der schönen Schule ist, im Hof gibts alles an Spielsachen, und das Essen kostet nichts und schmeckt auch noch gut, und dann kommt um vier Uhr die Mutter und holt dich ab, und kann man auf der Straße auch weiter spielen, dann wird man langsam erwachsen, man geht mit der Clique um die Häuser, musste keine Angst haben."
Birgit Kinder. Malerin aus Ost Berlin. Ihr Trabant – sie war eine glückliche Besitzerin des Zweitakters – hat einmal den Beton der Mauer durchbrochen, blieb dort ewig stecken. "Test the Best", heißt ihr berühmtes Werk an der Mauer.
Birgit Kinder: "Und ich habe dann artfremde Tätigkeit gemacht, gejobbt, aber immer im Hintergedanken war die Malerei. Ich habe in Zirkeln immer mein Studium komplimentiert und immer erweitert und hatte den Drang, nach Berlin zu gehen, und bin Mitte 20 nach Berlin und habe dann schon Ausblick gehalten: wo kann ich studieren? Wo kann ich richtig die berufliche Voraussetzung dafür schaffen, dass ich eben hauptberuflich als Künstler in der DDR arbeiten kann."
Kani Alavi: "Ich musste für mein Studium in verschiednen Firmen rein gehen und dort arbeiten, damit ich mein Studium finanzieren kann und da ich mitbekommen also - wie man schuften muss, damit man was erreichen kann."
Birgit Kinder: "Das Tolle ist, ich habe früher die Miniaturen gemalt, Bildchen die auf die Hand gepasst haben, das habe ich zu gerne gemacht, dünne Pinsel und kleine Landschaftsbilder, winzig kleine. Ich habe 87 mit der Wandmalerei begonnen, da habe ich Hauseingänge bemalt, in diesen ganzen Plattenbauten, die draußen vor Berlin entstanden sind. Aber ich brauchte die Zustimmung meines Chefs, in dem Betrieb, in dem ich gearbeitet hatte, dann brauchte ich die Zustimmung meines Zirkelleiters, und der FDJ. Und das hieß Fördervertrag."
Kani hat 1988 in Westberlin gerade ein zweites Studium als Grafikdesigner aufgenommen. Wohnungen in den teilweise leerstehenden Häusern dicht an der Mauer waren für Studenten besonders attraktiv. Kani mietet eine direkt am Checkpoint Charlie. Nur vier Meter von dem "vorderen Sperrelement" entfernt.
Kani Alavi: "Ich komme aus einem Land, wo die Mauer in den Köpfen war, diese islamische religiöse Mauer. Und kam hierher und sah die Mauer vor meiner Augen, ja. Die haben ständig die Leute beobachtet vom Osten und das war einfach alles so bedrohlich, ja. Und diese Seite ist so trostlos und andere Seite ist auch grau, direkt an der Mauer war immer eine Stimmung, wo man sich immer sagt: Müssen die Menschen sich so etwas antun?"
An der Mauer am Ostbahnhof war es relativ ruhig, da lag noch die Spree dahinter, die Grenze verlief quasi auf dem Wasser, zusätzlich von einer Bootskompanie gesichert. Trotzdem gab es Versuche, über die Mauer zu klettern, sofort blinkte ein Lämpchen in der Führungsstelle des Sicherungsabschnitts und eine riesige Welle von Aktivitäten der Grenztruppen wurde ausgelöst.
Klaus K.: "Posten runter von Turm, hin, zum Ereignisort, dann kommt der Sicherungsabschnitt, ist auf dem Posten verblieben, aber hatte in seinem Turm immer sogenannte Alarmgruppe gehabt, drei bis vier Soldaten und einen Offizier dabei, ein Kübelwagen, die sind dann auch ganz schnell zum Ereignisort gefahren, und wenn es notwendig schien, und das schien immer notwendig, ist dann also parallel ein Regimentalarm ausgelöst worden – Grenzalarm nannte sich das, und dann ist auch ein Alarmzug raus gefahren, und das waren die 30 Mann die dort in der Reserve lagen, sind in ein LKW gesprungen, und dann auch raus gefahren, und … ich auch mit meinem Fahrer. So und dann halt Grenzposten: ‚Stehen bleiben, Hände hoch!’"
Birgit Kinder: "Wir müssen eigentlich, was wirklich geschehen ist, bewahren und im Original den Nachfolgenden überreichen, sonst entsteht ein verklärtes Bild, wenn ich anfange an der Historie ein bisschen auszubessern. Abzumildern und alles ins "Tralala" zu schieben. Wir wollten dokumentieren, was eigentlich Teilung bedeutet, das kann man nur darstellen, indem man das gesamte Stück beibehält."
Obwohl die Galerie unter Denkmalschutz steht, ist ihr Erhalt als das längste Mauerstück nicht gesichert. Der Grund, auf dem sie steht, gehört verschiedenen Besitzern, längst nicht alle von ihnen sind interessiert an eine Erhaltung der Mauer als Epochendenkmal, als ganzheitliches Kunstwerk.
Über die künstlerische Bedeutung der 106 Bilder lässt sich sicher streiten, aber sie sind zweifellos eine einmalige Erscheinung in der modernen Kunst, die als Ganzes gesehen eine ungeheuere soziale Energie in sich bergen. Die Galerie hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Schon lange sagt man, dass sie die zweite Sehenswürdigkeit Berlins nach dem Reichstag ist.
Kani Alavi: "Und dann sind wir fünf, sechs Künstler zusammengekommen und sagten, wir beantragen beim Denkmalamt, dass die gesamte East Side Gallery unter Denkmalschutz gestellt wird. Ende 1991 beantragt und Anfang 1992 war es bewilligt, seitdem dürfen die nicht ausgenommen werden außer bei einer besonderen Situation – das wollen wir verhindern, dass jeder Unternehmer kommt und die Mauer rausnimmt dann ist die Mauer zerstückelt, und die Authentizität ist weg."
Schon jetzt sind Segmente des Mittelteils herausgenommen, um den Blick auf das neue Ufer zu öffnen. Sie wurden zur Seite geschafft und bilden jetzt eine zweite Reihe. Segmente sind auch an der Oberbaumbrücke umgestellt worden. Tatsächlich ist jetzt die Mühlenstraße, an der die Mauer entlang führt, ein langweiliger und leerer Ort. Und er verlangt eine gekonnte architektonische Lösung, die auch die Galerie mit einschließen könnte, um sie zum Bestandteil eines architektonischen Ensembles zu machen, ohne sie zu zerstören.
Birgit Kinder: "Wir haben die East Side Gallery bemalt damit die – diese Mauer militärisches Bollwerk, das hier original gebaut wurde, damit das erhalten bleibt um Touristen zu sagen, lass diese Mauer stehen, damit in der Welt keine neuen entstehen …"
Wrubel: "”Zufällig bekam ich die alte Ausgabe von ‚Paris Match’ in die Hände. Das war 1989. Meine Bekannte brachte es mir aus Paris und sagte, hier ist was für dich, was du als Bild malen kannst. Ich sah mir das Bild an und empfand zuerst eine tiefe Abscheu.""
Ende der Achtzigerjahre ist in der UdSSR schon vieles erlaubt. Ausstellungen mit moderner Kunst werden schon nicht mehr mit Bulldozern abgerissen. Die Künstler machen, was sie wollen. Russische Kunst kommt in Mode und in Russland entsteht ein für die Russen neues Genre.
Wrubel: "Später habe ich eine Installation ausgedacht, das war die Darstellung meiner Künstlerwohnung in Moskau, mit den Bildern zusammen. Und unter anderen Arbeiten war dort der «Bruderkuss», mit Breschnew und Honecker zu sehen."
Birgit Kinder: "Weil, es war auch eine bedrückende Zeit, von 1988 an seit der Perestroika, es wurde vieles erlaubt, es ist vieles entstanden, was irgendwie die Augen geöffnet hat, und speziell immer so im Herbst, Oktober, wo schon die Nebelschwaden über die Stadt hingen und der Gestank von den Zweitaktern, so eine depressive Stimmung, und es war eine sehr spannende Zeit einerseits die Freude, dass etwas anderes passiert und auch die Angst, dass es blutig endet."
Dmitri Wrubel ist am 9. November 1989 auf dem Weg von Paris nach Hause. Seine erste Auslandsreise hat sich nicht gelohnt. Alle hochfliegenden Pläne waren dahin, kein versprochenes Atelier in Paris, keine Ausstellungen, kein Geld, kein Flugticket, und was sehr unangenehm war – kein deutsches Transitvisum. Aber es blieb nichts anderes übrig, als mit einem Armenier der Rafael hieß, doch eine Autofahrt nach Moskau durch Deutschland zu wagen.
Dmitri Wrubel: "‚Bitte nach Moskau.’ An dem Tag, als ich mich auf dem Berliner Ring befand mit Rafael, dem Fahrer des ‚Wolga’, beschlossen wir, nicht in die Stadt rein zu fahren, denn wir sahen im Fernsehen merkwürdige Unruhen in Berlin.
Und wir dachten, man würde uns schlicht totschlagen, weil es ein ‚Wolga’ mit Moskauer Kennzeichen ist, in dem ein Armenier und zwei Moskauer sitzen, und wir machten einen Bogen um Berlin Richtung Warschau.""
Klaus K.: "An diesem 9. November 1989 fand genau diese alljährliche Party statt. Der Regimentskommandeur war da, die Stellvertreter waren alle da, Großteil der Offiziere, der Mannschaften und feierten ein großes Fest und haben gefeiert was das Zeug hält, zusammen mit sowjetischen Genossen aus Karshorst und zusammen mit Mädchen aus verschiedenen Betrieben im Bezirk Friedrichshain, Mitte eine große Party - und das war die Oktoberrevolution. Es war 22 Uhr oder irgendwann und ich weiß noch ganz genau, an der Diskothek lief gerade Lambada, und in dem Augenblick wir saßen alle am Tisch viele tanzten, kommt ein Soldat von der Wacheinheit rein … total verschlammt - Stahlhelm so, MP umgehängt -"Die Mauer ist auf, die Mauer ist auf"…Die Mauer ist auf – Was? Wie? Uh Daraufhin stand Kommandeur, Stabchef und die ganze Führung rannten raus und binnen zehn Minuten, viertel Stunde war der ganze Saal leer, alles rannte los."
Kani Alavi: "Auf einmal hörte ich im Radio ‚Oh die Mauer ist gefallen’, bin ich schnell zum Fenster gegangen. Ich habe auf der vierten Etage gewohnt aber bin hoch und runter gerannt und wollte einmal von obere Perspektive sehen, von ganz oben sehen, wie die Menschenmasse von Osten nach Westen kam – ich hatte besseren Überblick, aber andererseits musste ich einzelne Gesichter entdecken, und musste nach unten rennen, an dem Abend bestimmt zehn mal hoch und runter gerannt.
Ich habe sie genau an dem Abend beobachtet, mit welchen Gesichtausdrücken sie einfach raus kamen, mit welcher Euphorie, und diese Gesichtsausdrücke musste ich natürlich aufheben, und mehrfach skizzieren. Einer war glücklich, einer war traurig, einer war erstaunt einer hatte Angst gehabt, wenn er nach Westen kam, hatte immer nach hinten geguckt, ob die Mauer jetzt zu wird oder nicht. Ob er überhaupt zurückkehren kann, und da waren so Gedanken von Menschen die in dem Moment und diese Gefühle habe ich zwei Monate später auf diese jetzige East Side Gallery übertragen."
Chris MacLean, Kulturattachee der britischen Botschaft in der DDR, war die eigentliche Initiatorin dieser Aktion: 118 Künstler aus 21 Ländern ließen zwischen Januar und September 1990 ihre spontanen Bilder auf der früher unantastbaren Ostseite der Mauer entstehen. Chris McLean rief auch Kani Alavi an und schlug ihm die Teilnahme an der Aktion vor. Das Bild von Kani Alavi heißt "Es geschah im November".
Kani Alavi: "Das war Winter, das war kalt 1990, zwei Monate nach dem Mauerfall, da waren die Soldaten, die hier patrouilliert haben, die kamen haben geguckt, ein bisschen skeptisch geguckt, was wir machen, bis dahin durften wir nicht, den Ostteil der Mauer bemalen. Als sie später kamen haben sie gefragt, was malt ihr hier, können wir die Leiter fest halten, oder Pinseln und Töpfe mit Farben fest gehalten. Diesmal kamen sie nicht mit Waffe sondern kamen die zu uns, uns nur helfen. Das waren wunderschöne Gefühle."
Birgit Kinder: "Ich habe gesehen, wie Dimitri Wrubel diesen Bruderkuss malt und habe erfahren, er wohnt im EastSide Hotel, und da habe ich mit ein bisschen Russisch, was ich so konnte, einen Brief geschrieben, und habe an der Rezeption abgeben lassen, hebe aber nie erfahre ob Dimitri diesen Brief bekommen hat: "Lieber Malerkollege, herzlich willkommen in Berlin und dobro pozhalowat w Berline…" und alles so drauf geschrieben was ich wusste und habe gesagt mne otschen nrawitsa das Bild, ich bin Birgit Kinder und habe da hinten einen Trabi gemalt."
Dmitri tut es schrecklich leid, dass er den vor 20 Jahren geschriebenen Brief nicht erhalten hat. Er lebte damals mit anderen russischen Künstlern in einer Berliner Wohnung bei Freunden. Sie waren jung, ihnen eröffnete sich eine neue Welt, sie tranken abends billigen Wein und waren glücklich. Alexei Taranin, Irina Dubrowskaja, Michail Serebrjakow schufen auch Mauerbilder, aber ihr Hauptziel war die Teilnahme an einer Ausstellung russischer Künstler im Palais am Festungsgraben, das damals das Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft war. Die Bilder an der Berliner Mauer waren als Reklame für die Ausstellung gedacht.
Dmitri Wrubel: "Es war eine lustige Situation, als ich diese Arbeit an der Mauer machte. Bis dahin hatte ich noch nie im Freien gearbeitet und ich hatte keine großen Sachen mit Acryl gemalt. Und da … ich war in Eile … da musste man erstens schnell fertig werden, zweitens hatte ich ständig Hunger.
Weil ich kein Geld hatte. Ich hatte fünf oder zehn Mark am Tag und tagsüber brachten Freunde das Mittagessen in einer Schüssel, um Geld zu sparen. Ich malte im Juli. Erst am 30. Juli schaffte man die Grenzkontrollen ab, deswegen konnte ich in der ganzen ersten Zeit nicht legal über die Grenze. In Kreuzberg gaben die Grenzer mir Wasser zu trinken. Aber rüber haben sie mich nicht gelassen, weil ich nur eine Einladung für die DDR hatte."
Birgit Kinder: "Als Dimitris Bild riesengroß im Entstehen war, dieser Bruderkuss, - hatte ich auch den Wunsch, an der Mauer zu malen, wie gesagt, und habe mich nicht so getraut, weil ich dachte, es eine interne Geschichte, und es stand in der Zeitung, dass Künstler aus aller Welt an der Mauer malen. Und dann bin ich hingefahren das war schon mittlerweile Juni, habe mein Trabi auf den Bürgersteig gestellt und habe irgendwo weiter hinten, weil dort im Moment ein bisschen Schatten war, habe mir ein Segment frei gekratzt, da hingen noch alte Wahlplakate und Werbung hing schichtweise an der Mauer dran, und mittlerweile durchgetrocknet.
Ich habe alles abgekratzt, grundiert, vorgezeichnet, und bin ein bisschen nach vorn nach Westberlin gelaufen, und habe in einer Telefonzelle, Christine MacLeen angerufen, und habe ihr gesagt was ich vorhabe.
Sie sagte, Birgit es geht so nicht, weil es sind viele Künstler auf der Warteliste, ja, und es kann passieren, dass es wieder übermalt wird, ich sagte, es ist mir egal, ich möchte aber gerne ein Trabibild, hier dran malen, da steht er. Ja, sagt sie, da musst du fragen, ich habe gesagt, ich habe 20 Jahre lang gefragt, ich will jetzt niemanden mehr fragen, die Mauer ist gefallen, und ich will jetzt hier ranmalen, egal und wenn es wieder weggewischt wird, ich male jetzt mein Bild dran.
Ich male morgen mein Bild fertig, und komme was da wolle. Ja, ich komme vorbei, sagte sie – Ich habe natürlich früh, schon ganz zeitig, begonnen und war Nachmittag mit meinem Bild fertig. Also fast fertig, man hat den Trabi schon gesehen, oben "test the best" ich hatte nur noch unten Feinheiten zu malen.
Zwei Reisebusse mit Japanern, eine Motorradgang – die machte Rast und ein Fernsehteam baute sich auf, und in dem Moment kam die Christin McLeen und hat gesehen was an meinem Bild los ist, und sie kam auf mich zu und sagte: Herzlich willkommen an der East Side Gallery."
Die East Side Gallery ist ein Gemeinschaftskunstwerk, ein Exponat in einem riesigen Museum für Kunst, Kitsch, Industriedesign und Mode, eines von vielen Objekten einer gigantischen Installation mit Namen Berlin. Kani Alavi und seine Mitstreiter aus der Künstlervereinigung ESGallery wollen sich nicht mit dem Erreichten begnügen. Auf der Welt gibt es noch genug Mauern, die Menschen und politische Systeme trennen. Diese Mauern sollen Objekte sozialer Protestkunst werden. Dostojewskij hat das einfach ausgedrückt: Die Kunst wird die Welt erlösen.
Kani Alavi: "Die nordkoreanische Grenze, 1300 Meter Leinwand beziehen, da gibt es eine Mauer nicht so massiv, sondern aus Gitter, da war ich dreimal dort. Dort sind die Leute, die gucken genauso, wie hier im Osten mit Kameras uns beobachtet hatten, da ist es schlimmer, man will die beruhigen – wir machen hier eine friedliche Kunst. Und es anschließend vielleicht, wie in Deutschland zu einer Revolution kommt!"