Ein Virus entzweit die Gesellschaft
Seit sieben Monaten breitet sich die Ebola-Epidemie in Westafrika immer weiter aus. Besonders betroffen ist Liberia. Mehr als 2.500 Menschen sind dort bereits gestorben. Im Alltag herrscht Angst. Pärchen telefonieren nur noch, in Clubs bleibt die Tanzfläche leer. Die Menschen verzichten weitgehend auf Körperkontakt.
Montagmorgen vor ein paar Wochen in Monrovia. Vor dem blau-gelben Gebäude einer lokalen Hilfsorganisation demonstrieren hunderte junge Menschen. Sie sind wütend auf die Regierung. Seit Monaten sind wegen der Krise Schulen und Universitäten geschlossen. Arbeitsplätze gibt es nicht. Nachdem die Welt Liberia sechs Monate lang im Stich gelassen hatte, tröpfeln dieser Tage immer mehr Helfer aus dem Ausland ein. Die jungen Liberianer wollen auch beschäftigt werden und verlangen von der Regierung, ein paar der neuen ‚Ebola-Jobs' an sie zu vergeben.
Auch Jamal Williams und sein jüngerer Bruder Isaiah sind gekommen. Doch haben sie Angst, sich in der Menge mit Ebola anzustecken. Und so stehen sie abseits an einer Mauer. Zwei Tage später sitzen sie in einer Bar am Strand von Monrovia. Außer ihnen ist die Bar fast leer. Der 23-jährige Isaiah sagt, Ebola hat das soziale Leben zum Stillstand gebracht.
"All unsere Freunde bleiben zu Hause. Wir haben überhaupt keine sozialen Kontakte mehr. Es gibt nichts zu tun. Wir gehen nicht mehr zum Strand. Wir gehen nachts nicht mehr aus. Wir gehen nicht mehr zur Schule. Das einzige, was uns bleibt, ist die Kirche am Sonntag."
Sein Bruder Jamal sagt, die Krise reicht noch tiefer. Seit über einem Jahr haben beide eine Freundin. Doch wegen Ebola telefonierten sie hauptsächlich nur noch und tauschten keine Zärtlichkeiten mehr aus:
"Ich weiß nicht immer, wo sie ist. Sie weiß nicht immer, wo ich bin. So habe ich ihr gesagt, dass es für den Augenblick besser ist, dass wir uns nicht mehr sehen, sie mich nicht mehr berührt, bis sich die Lage wieder beruhigt hat."
Seit sieben Monaten hält das Ebola-Virus Liberia fest im Griff. Die Krankheit sorgt jedoch nicht nur für Tod und wirtschaftliche Stagnation. Sie treibt auch eine Wand zwischen die Menschen. Alles Körperliche ist verboten. Das Zwischenmenschliche leidet. Tiefes Misstrauen regiert die Straßen.
Samstagabend. Wegen der Ausgangssperre um 23 Uhr haben Monrovias Nachtclubs ihre Öffnungszeiten vorverlegt. Und so kommt es, dass im ‚Exodus' schon jetzt um 18 Uhr laute Musik gespielt wird, während draußen noch die Sonne scheint. Im Club sitzen die Menschen still um Tische und schauen ins Leere. Niemand tanzt. Ein Partygast sagt, aus Angst vor der Seuche trage er seine Hemdsärmel lang. Der DJ des Clubs zieht regelmäßig die Musik runter und erinnert die Menschen an die unsichtbare Gefahr: „Ebola gibt es wirklich. Es ist hier in Liberia."
"Ebola is real. It's here in Liberia."
Kein Tätscheln, kein Küssen
Steve Wiefueh, ein Angestellter des Clubs, verrät, wie sie den Menschen die Lust am Tanzen gleich völlig verderben werden.
"Um etwa 18.30 Uhr oder sieben Uhr stellen wir die Musik leise. Denn wenn die Musik laut ist, motiviert dass die Menschen nur zum Tanzen. Ohne lauten Beat aber, bleiben die Menschen sitzen, trinken ihr Bier aus und gehen nach Hause."
Auch wenn Partymachen so keinen Spaß macht, gehen die Monrovier weiter aus. Viviane Gambah sitzt draußen neben dem Club auf einer Terrasse mit ihren Freundinnen. Im melodischen Sing-Sang des Libero-Englisch sagt die massige Frau, sie sei heute bloß gekommen, um sich mal den Kopf freizumachen von diesem ganzen Ebola-Wahn. Tanzen würde sie auch nicht:
"Wenn Du den ganzen Tag nur rumsitzt und an Ebola denkst, wirst Du irgendwann bescheuert. Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen. So bin ich heute gekommen, trinke zwei, drei Flaschen Bier, geh' nach Hause und leg' mich schlafen. Tanzen werde ich nicht."
Kein Tanzen, kein Flirten, kein Tätscheln, kein Küssen. Keine Umarmung, kein Händeschütteln, kein Schulterklopfen. Selbst nicht für enge Freunde. Liberianer sind im Umgang viel näher miteinander. Wie schwer ihnen der verordnete Sicherheitsabstand fallen muss, kann ein Deutscher nur schwer nachvollziehen.
"Dank Gottes Gnade seid ihr am Leben"
Während der Freitag- und Samstagabend in Monrovia den Nachtclubs gehört, gehört der Sonntagmorgen in Liberia den Kirchen. Doch auch die hält Ebola fest im Griff. Man könnte meinen, es gehe mit dem Teufel zu. Pastor Marcus Spear steht am Altar einer kleinen episkopalen Kirche und predigt wortgewaltig und laut:
"Dank Gottes Gnade seid ihr am Leben, während bereits Tausende von Liberianern gestorben sind. Ihr seid darum verpflichtet, all eure Kraft und eure Möglichkeiten, eure Energie, eure Muskeln und euren Verstand einzusetzen, um anderen Menschen zu erklären, wie sie sich und andere gegen Ebola schützen können."
"Amen", sagen die Gläubigen im Anschluss und stimmen ein zum nächsten Lied. Der rundliche Pastor in einem weißen Gewand leitet keine der extremen pfingstlichen Kirchen, die in vielen Teilen Sub-Sahara-Afrikas wie Pilze aus dem Boden schießen. In denen Gläubige mal theatralisch auf- und abspringen und ihre Sünden bekennen. Sich mal wehklagend über den Boden rollen und der Pastor ihnen die Hand auf die Stirn legt, um ihnen den Heiligen Geist so direkt einzuflößen.
Doch auch ohne diese, in Zeiten von Ebola undenkbaren Rituale, leidet Pastor Spears Gottesdienst. Wegen Ebola mache er den Menschen kein Kreuzzeichen mehr auf die Stirn. Wegen Ebola reichten sie sich beim "Friede sei mit Dir" nicht mehr die Hand. Chlorwasser ist das neue Weihwasser geworden. Und so steht es auch vor seiner Kirche zum Desinfizieren der Hände in einem grünen Eimer bereit.
Ebola, Ebola, Ebola. An jeder Straßenecke in Monrovia warnen Poster. Bemalte Mauern zeigen die Symptome: Schwarze Menschen mit geröteten Augen. Schwarze Menschen, die sich vor Schmerzen krümmen. Schwarze Menschen, die sich erbrechen. Schwarze Menschen mit blutigem Durchfall. Die Angst vor Ebola wird den Leuten schier eingehämmert. 24 Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. Ebola regiert das Radio, das Fernsehen, die Presse.
Straßenhändler bleiben auf ihrem Essen zum Mitnehmen sitzen, es sei denn, man kann es kurz mit Chlorwasser abspülen wie Orangen oder Kolanüsse. Monrovias Friseure: oft Männer mit zwei, drei Scheren auf einem Tisch an der Straße. Auch ihnen gehen die Kunden aus. Denn wer will sich heute noch in fremde Finger begeben?
Das Ebola-Behandlungszentrum von Ärzte Ohne Grenzen im Stadtteil Elwa ist eines der größten im Land. Hinter orangefarbenen Zäunen tragen Männer in gelben Sicherheitsanzügen und Tauchermasken schwarze, gefüllte Leichensäcke vorbei. Nur ein paar Meter entfernt, sitzen ermatte Ebola-Patienten auf weißen Gartenstühlen und warten auf das Mittagessen. Eine Psychologin des Zentrums sagt, am schwersten hätten es die Ebola-Überlebenden. Freunde und Nachbarn wiesen sie ab. Auch die lokalen, liberianischen Helfer litten schwer. Niemand will mit der Seuche etwas zu tun haben.
Tochter darf nicht mit anderen Kindern spielen
Bangalie V. Kamara arbeitet als Assistenzarzt bei Ärzte Ohne Grenzen. In seiner Ehe kriselt es.
"Eines Tages sagte sie mir, dass ich mir eine andere Wohnung suchen muss, wenn ich hier weiter arbeite. Sie sagte, sie wolle, dass ich mich von der Familie fernhalte."
Kamara konnte seine Frau beruhigen. Sie sind schon fast 15 Jahre verheiratet. Die Familie leide jedoch weiterhin. Seine Tochter dürfe nicht mehr mit anderen Kindern spielen, seit deren Eltern wissen, dass er mit Ebola-Kranken arbeitet. West Point ist eines der ärmsten Viertel Monrovias. Auf den Straßen liegt Müll. Kinder spielen Fußball im Schlamm. Rund 75.000 Menschen leben hier. Die Menschen sagen, es gibt nur eine öffentliche Toilette.
"Komm mit", sagt Theresa Sackyo und verschwindet in einer engen Gasse. Ein Mann hat der ehrenamtlichen Helferin auf der Straße gerade einen Tipp gegeben: In einem Haus am Strand sollen drei Tote liegen. Aus Angst hätten die Nachbarn das Haus zugesperrt.
Theresa Sackyo huscht zwischen Wellblechbarracken hindurch. Ihr gelber Anorak raschelt. Nasser Sand quietscht unter ihren schwarzen Gummistiefeln. Immer näher kommt das Rauschen des Meers.
Auf einer Holzbank sitzt ein alter Mann und lehnt seelenruhig mit dem Rücken an das Haus, in dem die Toten liegen. Offenbar hat er keine Angst. Theresa Sackyo befragt ihn.
"Wir würden gerne wissen, wer in diesem Haus hier lebt und möchten auch Medikamente und Chlor verteilen, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Denn wir sind nicht länger bereit mitanzusehen, wie noch mehr unserer Leute wegen dieser furchtbaren Krankheit sterben."
Der alte Mann sagt, der Vermieter des Hauses könne ihr besser Auskunft geben. Doch der komme erst morgen wieder. OK, sagt Sackyo, dann komme sie morgen wieder. So müssen die Toten im Haus noch einen Tag warten. Habe sie denn keine Probleme mit Familie und Freunden, die sie wegen ihrer gefährlichen Arbeit mieden? Nein, sagt Sackyo.
"I've not experienced it yet."
Allerdings wird das gesamte Viertel, in dem sie lebt und arbeitet, vom Rest Monrovias gemieden. Vor ein paar Wochen setzte die Regierung West Point wegen einer erhöhten Zahl von Ebola-Fällen unter Quarantäne. Seither gelten die Menschen aus West Point als Aussätzige.
Das bestätigt auch Marta Cowla. Sie sitzt auf einem Holzkahn am Strand von West Point. Hinter ihr im Sand steht ein Plastikbottich. Darin glänzt silbern frischer Fisch aus dem Meer.
"Wenn wir unseren Fisch oben auf dem Markt verkaufen wollen, kommt niemand mehr an unseren Stand. Die Leute sagen: Oh, ihr kommt von dort, ihr habt alle Ebola. So haben wir am Tagesende kaum etwas verkauft."
Auch Jamal Williams und sein Bruder Isaiah trauen sich freiwillig nicht mehr in die Nähe von West Point.
Vor 20 Jahren riss der Bürgerkrieg die beiden Brüder auseinander
Die beiden wohnen in einem alten Haus außerhalb des Stadtzentrums und teilen sich dort mit einem Freund ein kleines Zimmer für 20 Dollar im Monat. Isaiah studiert. Jamal jobbt an einer Tankstelle, die jedoch nicht mehr ist als eine Zapfsäule unter einem kleinen Vordach an einer Straße. Sie können sich am Tag meist nur zwei Mahlzeiten leisten. Zum Frühstück gibt es Reis mit Bohnen, für umgerechnet 90 Euro-Cent.
1994 riss der Bürgerkrieg die beiden Brüder auseinander. Jamal floh mit einer Tante in ein Flüchtlingslager nach Guinea, Isaiah mit dem Rest der Familie vor den Rebellen quer durchs Land. Tagesmärsche von sechs, sieben Kilometern, ohne Schutz vor Regen und wilden Tieren. Neun Jahre später wurde die Familie vereint. Die Wunden des Krieges sind noch nicht verheilt. Jetzt kommt Ebola hinzu. Jamal sagt, Liberia wird auch nach dem Ende der Epidemie viel Zeit brauchen, sich wieder zu versöhnen.
"Ich habe einen Freund, in dessen Familie jemand an Ebola starb. Wenn ich ihn heute auf der Straße treffe, winke ich ihm nur noch von weitem. Ich gehe ihm aus dem Weg. Ich schüttele ihm nicht mehr die Hand. Ich umarme ihn nicht mehr. Das bricht einem das Herz."
Sein Bruder Isaiah nickt und sagt, wenn Ebola vorbei ist, werden die Liberianer auf den Straßen tanzen. Vielleicht nicht so wie im Nachtclub, aber so wie nach dem Ende des Kriegs.