Schlimmer als der Bürgerkrieg
Ebola ist aus den Schlagzeilen verschwunden, aber die Krankheit wütet weiter in Westafrika. In Liberia sind Schulen und Universitäten geschlossen, die Studenten verdingen sich als Totengräber. Doch es gibt auch Hoffnung.
Seit zehn Wochen ist Mabel Musa fast täglich im Einsatz. Die kleine, mollige Frau sitzt auf dem Beifahrersitz eines Krankenwagens. Von ihrem Kopf stehen zwei Zöpfe ab, an ihren Ohren baumeln goldene Ringe. In ihrer Hand ein Walkie-Talkie. Sie gibt Anweisungen an das Fahrzeug, das dicht hinter ihr fährt. Die 28-Jährige ist Krankenschwester, arbeitet für ein Ebola-Behandlungszentrum im Bezirk Bong im Norden Liberias. Jeden Morgen macht sie sich zusammen mit ihrem Team auf, um Ebola-Patienten aus den umliegenden Dörfern abzuholen. Diesmal – es ist ein heißer, schwüler Tag im November – kommt ein Notruf von einem Ebola-Helfer aus einem abgelegenen Ort.
Nach zwei Stunden Fahrt biegt der Konvoi von der asphaltierten Landstraße auf eine rote Erdpiste ab. Der nächtliche Regen hat tiefe Furchen aus der Straße geschwemmt. Fast eine Stunde geht es über die holprige Piste, vorbei an Feldern, Kautschukplantagen und Ansammlungen von Hütten. Dann fahren sie hinein in den Dschungel, wo bald kein Weiterkommen mehr ist.
Ein kleiner Trupp Männer erwartet die Wagen bereits. Es sind die Ebola-Helfer aus der Gegend. Einer von ihnen hat am Morgen die Krankenwagen gerufen. Das Gerücht war zu ihm vorgedrungen, dass Kranke aus einem abgelegenen Dorf auf dem Weg seien. Keiner weiß, wie viele es sind. Immer wieder kommen Menschen vorbei. Sie werden befragt, ob sie die Kranken sind oder ob sie auf dem Weg jemanden getroffen haben. Dann taucht ein jugendlich wirkender, dünner Mann mit feinen Gesichtszügen und einem Schnauzbart auf. Er trägt schmutzige Jeans und einen zu großen Pulli. Der erste Patient. Alle gehen ein paar Schritte zurück. Mabel begrüßt ihn aus sicherer Entfernung und stellt sich vor.
"Hello, we are from the Treatment Center in Bong near Phebe."
Arbeit in ständiger Angst
Mabel und ihr Team bereiten sich vor. Es sind zwei sogenannte "Sprayer" dabei, sie schultern ihre schweren Kanister mit Chlorbleiche. Ein Pfleger zieht sich einen Ganzkörper-Schutzanzug an, außerdem drei Paar Handschuhe und eine Schutzbrille. Auch Mabel streift über ihre ausgebleichte OP-Kleidung einen leichten Schutzanzug und setzt sich eine Gesichtsmaske auf.
"Ich habe große Angst. Ich behalte immer im Hinterkopf, dass Ebola tödlich ist. Also habe ich keinen Kontakt mit den Patienten, die ich abhole. Ich befrage sie aus sicherer Entfernung. Ich halte die Sicherheitsmaßnahmen ein, berühre meine Augen, meine Nase, meinen Mund nicht. So bin ich immer geschützt, wenn ich unterwegs bin."
Aus dem Busch stoßen plötzlich zwei ältere Frauen zu dem Mann hinzu. Eine von ihnen lässt sich mit Hilfe ihres Gehstocks völlig entkräftet auf den Boden sinken. Ihre Augen liegen tief in ihren Höhlen. Sie lässt ihren Kopf zwischen ihre Beine fallen.
Mabel fragt einen der Ebola-Helfer, wie lange die drei aus ihrem Dorf hierher gelaufen sind. Zwei Stunden und 20 Minuten antwortet dieser. Viele Dörfer im ländlichen Liberia sind mit dem Auto nicht erreichbar, sie liegen versteckt im Urwald. Ein großes Problem im Kampf gegen Ebola. Mobiltelefone haben dort keinen Empfang. Wenn jemand im Dorf erkrankt, muss er den langen Weg zur nächsten Straße auf sich nehmen. Zuvor muss aber der lokale Gesundheitsbeauftragte informiert werden, damit dieser einen Krankenwagen alarmiert.
Informationen werden oft nur lückenhaft weitergereicht. Eigentlich ist es die Aufgabe von so genannten Contact Tracern in die Dörfer zu gehen, dort jede Kontaktperson, die ein Kranker hatte, ausfindig zu machen und diese dann 21 Tage zu beobachten. Nicht nur logistisch ein fast unmögliches Unterfangen. Familien verstecken ihre Kranken, wollen nicht, dass diese in einem Ebola-Zentrum enden. Oft müssen in einem Dorf erst Menschen an dem Virus sterben, bevor die Gemeinde den Ernst der Lage erkennt und mit den Behörden kooperiert.
"Auf dem Land ist das Risiko vor allem für Familien hoch. Sie wollen sich um ihre Kranken kümmern. Auch wenn wir ihnen sagen, sie sollen sich von Körperflüssigkeiten fernhalten. Es ist schwierig, weil die Straßen so schlecht sind, manche Dörfer haben keine Gesundheitseinrichtungen. Wenn also jemand krank wird und man endlich dort ist, um den Patienten zu isolieren, ist es zu spät. Da hat er vielleicht schon mit zehn Menschen Kontakt gehabt."
Und auch die Mobilität der Menschen macht den Ebola-Helfern Sorgen. Die Bewohner der abgelegenen Dörfer gehen weite Strecken, um Verwandte zu besuchen, auf ihren Feldern zu arbeiten oder um auf dem Markt einzukaufen. Pfade ziehen sich durch den Urwald, bilden ein unendliches Netzwerk über welches sich das Virus unkontrolliert verbreiten kann, erklärt Joshua Gbawoquiya, einer der Ebola-Helfer im Team.
"Die Menschen leben in dieser Gemeinde und gehen dann zu dieser. Ab dann ist es ein Wettlauf mit der Zeit. Das ist meine Angst."
Ein ganzes Dorf unter Quarantäne
Mabel beginnt mit der Befragung der Patienten. Sie muss jedes Detail wissen. Sie findet heraus, dass der Mann Tawoo Liyen heißt. Die Frau, die ermattet auf dem Boden sitzt, ist seine Tante Punawenee, die andere seine Mutter Gbelawoh. Vor zwei Wochen war Tawoos Vater in ihrem Dorf Bomota erkrankt. Die beiden Frauen hatten ihn gepflegt und als der Mann eine Woche später starb, hat ihn sein 43-Jähriger Sohn begraben. Seitdem sind schon acht Bewohner aus dem Dorf an Ebola erkrankt und an den Tagen zuvor in das Behandlungszentrum gebracht worden. Das Dorf ist nun unter Quarantäne gestellt. Allerdings ist es schwierig diese durchzusetzen. Die Bewohner sind von Essenslieferungen der Hilfsorganisationen abhängig, können selber nicht zum Markt gehen, um ihre Produkte zu verkaufen.
Musa: "Sie sagen, sie wissen nicht woran ihr Mann gestorben sei. Das ist Teil dieses Ebola-Problems. Er ist einfach krank geworden und gestorben. Sie hatten also alle Kontakt mit dem Kranken und jetzt haben sie Ebola-Symptome. Also behandeln wir sie als Verdachtsfälle, bis wir einen Labortest machen können."
Tawoos Mutter Gbelawoh scheint es etwas besser zu gehen, als den anderen beiden. Die schmächtige, kleine Frau steht aufrecht da, auf ihrem Kopf eine Tüte mit Essen. An ihren Händen trägt sie weiße Latex-Handschuhe. Hat sie diese getragen, als sie ihren Mann gepflegt hat? Oder hat sie die Handschuhe erst bekommen, als Ebola-Aufklärer ins Dorf kamen, also nachdem sie sich vielleicht schon bei ihrem Mann angesteckt hat? Gerade in so abgelegenen Dörfer wie Bomota wissen die Menschen kaum, wie man sich vor dem Virus schützen kann.
Plötzlich beginnt es zu regnen. Ein kurzer Moment der Panik. Ein Kollege von Mabel ruft den Kranken zu, sich nicht von der Stelle zu bewegen. Zu groß ist die Angst, dass sie einen der Helfer berühren könnten.
"Ich erkläre den Patienten den Ablauf. So wissen sie, was im Behandlungszentrum auf sie zukommt und rennen nicht davon, wenn sie etwas sehen, das ihnen fremd ist. Wir haben schon erlebt, dass Patienten weggelaufen sind, nachdem sie einen unserer Leute im Schutzanzug gesehen haben."
Dann können Tawoo, seine Mutter und seine Tante endlich in die beiden provisorischen Krankenwagen einsteigen. Die Fahrzeuge sind klapprige Pickup-Trucks. Als Dach dient eine Plane über der Ladefläche, auf der eine Matratze liegt. Ein effizientes System im Kampf gegen Ebola. Die Fläche kann schnell desinfiziert werden. Eine voll ausgestattete Ambulanz wäre für die schlechten Straßen ungeeignet. Die beiden Frauen hieven sich mühsam in den einen Wagen, Tawoo in den anderen. Hinter ihnen desinfiziert einer der Sprayer den Weg mit Chlorbleiche. Dann wird der Helfer im Schutzanzug gründlich abgesprüht. Er muss sich nach einem strengen Regelwerk aus seinem Anzug schälen. Schließlich geht es los, zurück ins Behandlungszentrum.
"Ich weiß gar nicht, wie ich Ebola beschreiben soll. Ich hole einen Patienten in seinem Haus ab, da hat Ebola schon alle anderen Familienmitglieder dahingerafft. Die Dorfältesten sperren dann hinter uns die Tür zu und ich bringe den letzten Patienten ins Behandlungszentrum, wo wir diesen dann auch noch verlieren. Also haben manche große Angst. Wir treffen auf Kinder, die keine Eltern mehr haben, weil Ebola Vater und Mutter getötet hat. Es ist sehr entmutigend für die Gemeinschaft."
Es ist schon später Nachmittag als die beiden Krankenwagen zum Behandlungszentrum abbiegen. Die Straße schlängelt sich durch den Wald einen Hügel hinauf, wo auf der riesigen gerodeten Kuppe das Ebola-Zentrum mit seinen fast 60 Betten thront. 200 nationale und 25 internationale Mitarbeiter arbeiten hier unter der Leitung der Organisation International Medical Corps.
Nach einer weiteren Befragung und der Blutabnahme, werden Tawoo, seine Mutter und seine Tante in einem Zelt für Ebola-Verdachtsfälle untergebracht. Die Ergebnisse des Labortests kommen erst am nächsten Tag. Bis dahin müssen die drei ausharren, erfüllt mit der Angst, vielleicht den tödlichen Virus in sich zu tragen.
Momente der Hoffnung
Am nächsten Tag ist die Stimmung in der roten Sicherheitszone ausgelassen. Zwei Frauen, die auf dem Weg der Besserung sind, führen zur Belustigung der Pfleger und der anderen Patienten einen Tanz auf. Es sind Momente der Hoffnung.
Die Freude ist von kurzer Dauer. Die Ergebnisse der Bluttests von Tawoo und seinen Verwandten sorgen für Ernüchterung. Tawoo und seine Tante Ponawenee sind beide positiv, sie haben sich mit Ebola angesteckt, werden in den Teil für bestätigte Fälle verlegt. Ihr Zustand ist kritisch.
Tawoos Mutter hingegen hat Glück, sie ist gesund und kann zurück in ihr Dorf gehen. Der Fall zeigt, wie willkürlich das Virus seine Opfer sucht. Beide Frauen kümmern sich um einen Ebola-Kranken, doch nur eine steckt sich an. Haben die Latex-Handschuhe Gbelawoh tatsächlich vor einer Infektion bewahrt? Wusste sie schon mehr über das Virus und hat den direkten Körperkontakt mit ihrem verstorbenen Mann gemieden?
Nicht weit entfernt, auf einer Lichtung inmitten eines kleinen, dichten Waldes steht ein junger Mann hüfttief in einem frisch ausgehobenen Loch. Schweiß rinnt an seinem Gesicht und muskulösen Oberkörper herab. Energisch haut er seine Spitzhacke in die harte Erde.
"Ich bin sehr wütend, weil hier Menschen sterben."
Smith Zane arbeitet wie auch die Krankenschwester Mabel für das Ebola-Behandlungszentrum in Bong. Der 30-Jährige ist Totengräber, er hebt die letzte Ruhestätte für jene aus, die an Ebola gestorben sind. Tawoos Tante Ponawenee ist in der Nacht verstorben, nur vier Tage nachdem Mabel sie mit dem Krankenwagen abgeholt hat. Sie soll am Nachmittag beigesetzt werden.
"Vor Ebola kann man sich nicht verstecken. Wir können nur unsere Schutzmaßnahmen einhalten, aber verstecken können wir uns nicht. Ebola ist schlimmer als der Bürgerkrieg. Ebola schließt niemanden aus. Jeder kann sich anstecken."
Tawoo selbst war zu schwach, um sich von seiner Tante zu verabschieden. Nur mit Mühe schleppt er sich aus dem Zelt, wo die hochinfektiösen Ebola-Patienten untergebracht sind, nach draußen. Dort sitzen diejenigen, denen es besser geht, im Schatten, unterhalten sich oder blicken ins Leere. Über zwei Zaunreihen aus rotem Plastikgeflecht, sodass der Blick nicht verwehrt, aber der nötige Abstand von zwei Metern gehalten wird, kann man mit den Patienten reden. Erschöpft lässt sich Tawoo auf einen Stuhl fallen. Er ist abgemagert. An seinem Handgelenk ein Pflaster. Um den hohen Flüssigkeitsverlust der Patienten auszugleichen, werden ihnen Infusionen gegeben. Mit seinen beiden Händen umklammert Tawoo eine Klopapierrolle.
"Ich habe Kopfschmerzen, mein Magen tut weh. Das Essen von heute morgen habe ich erbrochen, abends steigt mein Fieber. Mein Urin ist rot."
Zurück auf dem Friedhof heben Smith und seine Kollegen weitere Gräber aus – für Tote, dessen Namen sie noch nicht kennen. Für einen Moment halten sie inne und blicken hinüber zu einer Gruppe von vier Gestalten, die den schmalen Weg entlang kommen. Es ist eine unheimliche Prozession, die sich auf die frisch ausgehobenen Erdlöcher zubewegt. Schutzanzüge bedecken jeden Quadratzentimeter ihrer Körper. Ihre Stimmen nur ein fernes Raunen, erstickt von den Gesichtsmasken. An ihren Füssen schwere Gummistiefel, die tiefe Abdrücke in der weichen Erde hinterlassen.
Zwei der Männer tragen einen weißen Leichensack aus Kunststoff zwischen sich. Mit schwarzem Edding wurde in großen Buchstaben Ponawenee Liyen auf den Sack geschrieben, der Name von Tawoos Tante. Die anderen beiden Männer folgen und besprühen den Boden mit Chlorbleiche. Mit gelben Schnüren wird die Tote in eines der Gräber herabgelassen. Mindestens zwei Meter muss es tief sein. So die Sicherheitsvorschriften. Einer der Männer, ein Pastor, breitet seine Arme weit aus, und spricht mit gebeugtem Kopf ein Gebet.
"Let us commit this body now to the earth. We say father thank you in the name of Jesus. We say the earth returns to the earth, the dust to dust, ashes to ashes. In Jesus name. Father give all comfort to the bereaved because you are the God of all comfort. In Jesus' name. Amen."
Verwandte waschen ihre Verstorbenen nicht mehr
Die Beerdigung dauert nur wenige Minuten und hat nichts gemein mit den opulenten Begräbnisfeiern, die eine so wichtige Rolle in der liberianischen Kultur spielen. Der Tote muss auf seine Reise ins Jenseits vorbereitet werden. Verwandte waschen ihre Verstorbenen, beweinen und küssen diese zum Abschied. In Zeiten von Ebola gleicht das jedoch Selbstmord. Die Toten sind hoch infektiös.
Doch immerhin bleibt den Familien hier auf dem Land ein Ort der Erinnerung an ihre Verstorbenen. Im Gegensatz dazu werden in Liberias Hauptstadt Monrovia die meisten, die an Ebola sterben, in einem Krematorium verbrannt. Eine Tradition, die den Menschen in Liberia völlig fremd ist und für Unmut sorgt. Dennoch nehmen nur selten Familienmitglieder an den spartanischen Begräbnissen am Friedhof neben dem Ebola-Behandlungszentrum teil. Doch im Falle von Ponawenee ist ein Neffe von ihr extra aus der Hauptstadt Monrovia angereist, um ihr das letzte Geleit zu geben. Am Grab seiner Tante zu stehen, kostet dem 46-jährigen Alexander Gibson jedoch große Überwindung.
"Ich bin zum ersten Mal an solch einem Ort. In Monrovia halten wir uns fern von allen Plätzen, die etwas mit Ebola zu tun haben. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich glaube nicht, dass ich heute Nacht schlafen kann."
Die Angst vor dem tödlichen Ebola-Virus lähmt nicht nur Alexander. Auch der Totengräber Smith wird von ihr verfolgt.
"Manchmal träume ich von diesem Ort. Ich sehe mich dann selbst, wie mich jemand in das Loch hinablässt. Ich fühle mich so schrecklich."
Rasch schaufelt Smith Ponawenees Grab zu. Er steckt ein hölzernes Schild in die Erde. Gerade erst wurde es vom Schreiner angefertigt, mit einer Schablone und blauer Farbe Name, Geburts- und Sterbedatum liebevoll auf dem Holz verewigt. Ponawenee Liyen, sunrise: 1. Januar 1966, sunset: 25. November 2014. Die Kollegen von Smith arbeiten währenddessen an den nächsten Gräbern. Seit der Eröffnung des Ebola-Zentrums in Bong Mitte September haben sie schon mehr als 100 Gräber für Männer, Frauen, Kinder und Babys gegraben, die an dem tödlichen Virus gestorben sind.
"Ich helfe hier, weil dies unsere Leute sind, unsere Schwarzen, unsere Familienmitglieder, unsere Freunde. Also lehne wir uns nicht zurück und sehen zu, wie Menschen von woanders kommen und es für uns machen. Wir sind typische Liberianer. Wir müssen für unsere eigenen Leute unser Leben riskieren, um Ebola zu bekämpfen."
Manche müssen sich jedoch nicht mehr vor Ebola fürchten. Es sind die Überlebenden, jene, die den Kampf gegen das tödliche Virus gewonnen haben und nun immun sind. Sie sind Hoffnungsträger und gleichzeitig eine große Hilfe im Kampf gegen Ebola. Comfort Korrie ist eine von ihnen. Seit Beginn des Ausbruchs Ende März sind in Liberia mehr als 8000 Menschen an Ebola erkrankt. Die Sterberate liegt bei knapp 70 Prozent. Aber Comfort hat es geschafft.
"Ich danke Gott jeden Tag, dass ich mein Leben wieder habe, dass ich ein neugeborenes Baby bin."
Die 53-jährige Comfort sitzt auf einer Holzbank vor ihrem Haus, das etwas abseits der staubigen Hauptstraße ihrer kleinen Heimatstadt Gbarnga liegt. "Welcome, Merry Christmas and Happy New Year" steht mit schwarzer Farbe an die weiße Wand neben der Eingangstür geschrieben. Dicht neben Comfort, ihr schlanker, großgewachsener Mann Dennis. Es ist später Nachmittag, die beiden füttern ihre Hühner, die wild gackernd über den Hof laufen. Comfort, die ein schwarzes Oberteil und einen gelb gemusterten Rock trägt, erinnert sich noch genau an jenen Tag, als sie sich mit Ebola angesteckt hat. Es war der 14. September.
"Ich stieg in den Bus und es war nur noch ein Platz frei. So rutschte ein Mann von seinem Gangplatz zum Fenster rein. Ich habe mich auf den infizierten Platz gesetzt. Er hatte schon die ganze Nacht Durchfall. Das sagte er, als man ihn in die Notaufnahme brachte. Noch bevor man seine Ergebnisse hatte, war er tot. Also ahnte ich die ganze Zeit, dass ich mich mit Ebola angesteckt hatte."
Ein paar Tage danach bekommt Comfort Glieder-, Hals- und Kopfschmerzen, dann hohes Fieber und Durchfall. Sie weiß: Es ist Ebola. Sie weiß auch: Das Ebola-Behandlungszentrum, wo auch Mabel und Smith arbeiten, hat gerade eröffnet. Es ist nur eine halbe Stunde von ihrer Heimatstadt Gbarnga entfernt. Comfort ist eine der ersten Patienten dort. Obwohl sie dachte, sie sei auf die Diagnose vorbereitet, raubt ihr das Ergebnis des Bluttests die letzte Hoffnung:
"Ich fing zu weinen an, weil so viele Freunde von mir, die in Monrovia behandelt wurden, gestorben waren."
"Ich dachte, ich werde meine Mutter nie wiedersehen"
Als sie abgeholt wird, sind Comforts Mann, ihre sechs Kinder und Enkelkinder zuhause versammelt. Für Comforts 27-jährigen Sohn Jimmy ein schrecklicher Moment, den er nie vergessen wird.
"Sie verabschiedete sich von allen und sagte, dass sie nicht wieder kommen würde. Passt auf einander auf, liebt euch. Wir haben geweint. Ich dachte mir, gestern war der letzte Tag, an dem ich meine Mutter gesehen habe. Ich werde sie nie wiedersehen. Ich weinte. Meine Schwester sagte dann zu mir, dass ich neben unserem Vater nun der Kopf der Familie sei. Wer soll also auf alle aufpassen, wenn ich weine. Zu wem sollen sie gehen, wenn sie Rat brauchen. Ich müsse stark sein. Da hörte ich auf zu weinen."
Comforts Familie wird 21 Tage unter Quarantäne gestellt. Die Nachbarn meiden den Kontakt, wollen nicht, dass Comforts Kinder Wasser aus dem gemeinsamen Brunnen holen. Doch sie haben Glück, kein weiteres Familienmitglied erkrankt. Was auch daran liegt, dass sie alle Vorsichtsmaßnahmen eingehalten haben, bevor Comfort abgeholt wurde. Sie waren von Ebola-Helfern über die Krankheit aufgeklärt worden. Comforts Mann Dennis sieht im Aberglauben eine große Hürde im Kampf gegen Ebola.
"Manche verleugnen Ebola, suchen die Krankheitsursache woanders, sagen, dieser Mann ist von Geistern oder einem Leoparden besessen. Sie bringen dich nach Hause, wenn du stirbst, die Nachbarn kommen, sprechen ihr Beileid aus, und so stecken sich alle mit dem Virus an. Man bekommt das Virus hier, schleppt es in sein Haus, der nächste tut dasselbe, und der nächste auch. Deshalb sterben heute so viele Menschen."
Während ihre Familie zu Hause ausharrt, kämpft Comfort um ihr Leben. Sie kann nichts essen, nicht aufstehen. Auf die Toilette kann sie nur kriechen.
"Am zehnten, elften Tag bekam ich wieder Hunger. Ich rief meinen Sohn an und sagte ihm, bring mir etwas zum Essen. Nach zehn Tagen war ich so hungrig. Ich konnte wieder selber aufstehen."
Ein paar Tage später wird sie entlassen. Trotzdem fährt sie heute wie jeden Tag mit dem Bus zurück zum Ebola-Zentrum, wo sich die Ärzte und Pfleger um sie gekümmert haben.
"Ich entschied mich, Ebola-Patienten zu helfen, weil man mir so geholfen hat. Die Menschen kamen an mein Bett. Wenn ich schwach war, blieben sie in meiner Nähe. Ich habe ihnen gesagt, wenn ich überlebe, dann komme ich zurück und arbeite hier für eine Zeit bevor ich zu meinem alten Job zurückkehre."
Im Gegensatz zu anderen Ärzten und Pflegern muss sich Comfort keinen Schutzanzug, keine Handschuhe anziehen und keine Schutzbrillen aufsetzen, um die Zone zu betreten, in denen die Ebola-Patienten untergebracht sind. Als Überlebende ist sie immun gegen das Virus. Das macht sie unentbehrlich im Kampf gegen Ebola. Sie kann direkten Kontakt mit Patienten haben, kleine Kinder im Arm halten und den Kranken Hoffnung schenken, dass diese ebenso wie sie überleben werden.
Im Ebola-Zentrum trifft Comfort Tawoo. Er ist nun schon seit fast zwei Wochen in Behandlung. Und vorsichtig optimistisch.
"Körperlich geht es mir jetzt besser. Ich habe keinen Durchfall mehr, muss mich nicht mehr übergeben, kann wieder essen. Fünf Tage ohne mich zu übergeben, ohne Durchfall. Ich will jetzt wieder zu meinen Kindern, mich um den Rest der Familie kümmern, der zu Hause geblieben ist."
Auf dem Friedhof arbeitet Totengräber Smith wie jeden Tag mit seinen Kollegen und schaufelt Gräber aus.
"Meine Mutter weiß nicht, dass ich hier arbeite. Anfangs habe ich ihr nicht einmal erzählt, dass ich im Behandlungszentrum arbeite. Jetzt weiß sie schon, dass ich hinterm Zaun bin. Aber nicht, dass ich die Gräber schaufle. Wenn ich nach Hause komme, verstecke ich meinen Ausweis in meiner Hosentasche."
Eine Frau taucht auf und singt ein Klagelied für ihre Verstorbenen. Erst wenn sie und die letzten Totengräber nach Hause gegangen sind und die Sonne sich hinter dem Hügel verabschiedet, legt sich eine sanfte Ruhe über die Lichtung. Bis zum nächsten Morgen, wenn Smith und seine Kollegen sich wieder an die Arbeit machen, um für die Ebola-Toten eine letzte Ruhestätte auszuheben. Doch der neue Tag bringt auch Gutes.
"Tawoo, wir haben eine gute Nachricht für dich. Deine Ergebnisse sind da. Du bist negativ und wirst entlassen. Gratuliere. Du kannst nach Hause."
Stue Sia, ein amerikanischer Mitarbeiter des Zentrums, überbringt Tawoo die Nachricht.
Tawoo faltet seine Hände zu einer Faust zusammen und reckt sie gen Himmel.
"Ich danke Gott!"
Nach 19 Tagen im Behandlungszentrum ist er virenfrei. Tawoo hat den Kampf gegen Ebola gewonnen.
Autorin Laura Salm-Reifferscheidt: "Es hat mich sehr inspiriert, wie Liberianer mit dieser Krise umgehen. Für alle, die wir getroffen haben, schien es vollkommen selbstverständlich, ihren Leuten zu helfen - egal ob im Behandlungszentrum oder in den Familien. Die schreckliche Kehrseite dieser Hilfsbereitschaft ist allerdings, dass sich viele bei der Pflege und den Beerdigungen ihrer Familienmitglieder anstecken."