Eckart von Hirschhausen: Neurologie wird zu wenig beachtet

Eckart von Hirschhausen im Gespräch mit André Hatting |
Es gebe viel zu wenige Fachärzte für Neurologie, beklagt der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen anlässlich des Neurologenkongresses in Hamburg. In Zukunft würden Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson und Demenz zunehmen.
André Hatting: Die Neurologie, also die Wissenschaft von den Nervensystemen, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Das hat mit der Hirnforschung zu tun, Alzheimer, Parkinson, Demenz. Die Menschen werden immer älter und Nervenerkrankungen des Gehirns immer häufiger.

In Hamburg beginnt heute der größte Neurologiekongress Europas. Über 5000 Wissenschaftler diskutieren aktuelle Forschungsergebnisse, Diagnose- und Therapiemethoden. Mit dabei der Kabarettist, Showmaster und eben auch Arzt Eckart von Hirschhausen. Guten Morgen, Herr von Hirschhausen.

Eckart von Hirschhausen: Guten Morgen!

Hatting: Für Sie ist die Neurologie die "Königsdisziplin der Medizin". Warum?

von Hirschhausen: Sie beschäftigt sich mit dem menschlichen Gehirn, und die Bedeutung des Gehirnes ist insofern einzigartig, weil man es nicht ersetzen kann und auch nicht transplantieren kann. Also salopp gesagt ist bei einer Transplantation das Hirn das einzige Organ, bei dem ich lieber der Spender bin als der Empfänger.

Hatting: Trotzdem hat die Neurologie nicht den Stellenwert, den sie verdient. Woran liegt das?

von Hirschhausen: Es gibt viel zu wenig Fachärzte, und die Bedeutung der neurologischen Erkrankungen nimmt enorm zu. Und vor allen Dingen: Es sind auch viele Fortschritte möglich, wenn man die Neurologie ernst nimmt in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. Alle Forschungsgelder, nicht alle, aber ein Großteil geht in die Krebsforschung und auch in die des Herz-Kreislauf-Systems.

Die Neurologie hat aber mit Abstand die teuersten Erkrankungen, mit Schlaganfall, Parkinson und Demenz vor allen Dingen, und damit werden in Deutschland auch durch die demographische Entwicklung in den nächsten Jahren ganz, ganz viele Menschen zu tun bekommen, und wir sind darauf schlecht vorbereitet und sollten dringend die Bedeutung, seine Nerven zu behalten im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich gut für sein Hirn zu sorgen, mindestens so ernst nehmen wie für den Rest des Körpers.

Was machen sich die Leute Sorgen, wenn ihre Haare ausfallen. Wenn zwei Zentimeter weiter im Gehirn Nervenzellen ausfallen, das ist das Drama, und da kann man inzwischen eine Menge dagegen tun und das ist viel zu wenig bekannt und deswegen setze ich mich auch ein, dass die Neurologen aus ihren Praxen, aus den Kliniken herausgehen, in die Schulen gehen, in die Gesellschaft gehen und sagen, was wir heute wissen, um mit unserem kostbarsten Gut, nämlich unserem Gehirn, besser umzugehen.

Hatting: Interessanterweise hat die Neurologie ja auch immer noch so eine Art Image-Problem. Wenn wir mal eine der häufigsten Erkrankungen im Alltag nehmen: die Kopfschmerzen zum Beispiel. Da wäre meine erste Adresse nicht unbedingt ein Neurologe.

von Hirschhausen: Ja! Dabei sind die Neurologen die Fachärzte, die sich damit am besten auskennen. Und beim Kopfschmerz ist es absurderweise so: Je nachdem zu welchem Arzt ich gehe, kriege ich sehr unterschiedliche Dinge zu hören.

Übertrieben kabarettistisch gesagt: Gehe ich zum Hals-, Nasen-, Ohrenarzt, denkt der immer an die Nebenhöhlen, gehe ich zum Augenarzt, denkt der, es liegt an den Augen, und der Orthopäde röntgt erst mal die Halswirbelsäule für den Fall, dass die nicht ganz gerade ist. Das ist sie bei keinem von uns, aber das kann ja der Orthopäde nicht wissen.

Dann geht man zum Psychosomatiker, zu einem Psychoanalytiker, und der sagt: Haben Sie sich in Ihrer Kindheit mal mit Ihrem Vater gestritten? Nein, kann ich mich nicht dran erinnern. So tief haben Sie das verdrängt! Also der Neurologe ist der einzige der weiß, es gibt 300 verschiedene Arten von Kopfschmerzen und es gibt ganz unterschiedliche Arten, die, wenn man sie richtig diagnostiziert, auch gut behandelt werden können. Viele Leute laufen herum, nehmen auf eigene Faust viel zu viele Schmerzmittel, ohne dass klar ist, ob sie zum Beispiel eine Migräne und keinen Spannungskopfschmerz haben, oder einen Cluster-Kopfschmerz, der wieder ganz anders zu behandeln ist.

Hatting: Ihr Vortrag, Herr von Hirschhausen, heißt: "Wie positive Kommunikation der Neurologie hilft." Über die Bedeutung, also das Image, haben wir jetzt gesprochen. Sie meinen mit positiver Kommunikation aber auch, gerade mit Blick auf zunehmende Demenz-Erkrankungen, noch etwas anderes.

von Hirschhausen: Die Arzt-Patienten-Kommunikation ist ja leider kein richtiger Teil der Ausbildung, und deswegen läuft da sehr, sehr viel schief nach wie vor, dass erstens auf der ersten Ebene mit den Patienten nicht gut geredet wird. Es wird aber auch mit den Angehörigen nicht geredet, was alles möglich ist. Zum Beispiel gibt es viele neue Ansätze, wie man tatsächlich mit dementen Menschen auch besser kommuniziert, damit die nicht aus ihrer eigenen Hilflosigkeit noch panischer werden, weil sie die Welt nicht mehr verstehen, sondern eine wertschöpfende Validation, ist da das Stichwort, Kommunikation. All das kann man lernen.

Wir können lernen, wenn man sich einmal den Lebenszyklus anguckt, wo entsteht das Hirn und wo wird es abgebaut, dann ist der logische Ansatz, eigentlich bei den Hebammen anzufangen, nämlich das Hirn wächst im Mutterleib heran, und wir wissen heute, dass diese neun Monate im Bauch der Mutter natürlich das ganze Leben prägen. Ich habe in der Kinderneurologie und Psychiatrie gearbeitet.

Jedes Kind, wo die Mutter davon abgehalten werden kann, in der Schwangerschaft zu trinken, zu rauchen, Drogen zu nehmen oder sehr viel Stress zu haben und Infekte zu haben, das würde ein ganzes Leben lang von diesen wenigen Interventionen, die es bräuchte, profitieren, und das hat keiner auf dem Schirm. Wir machen später im Leben unheimlich viele Präventionsanstrengungen. Der lohnendste Ansatz wäre sozusagen ab der Zeugung.

Wir können im Kindergarten den Kindern beibringen zu singen, zu tanzen, Freude an ihrem Körper zu haben. Wir wissen heute, dass gerade die musischen Trainings unheimlich viel bringen dafür, dass das Hirn sich mit beiden Hirnhälften vernetzt. Und wenn es darum geht, im Alter dann abzubauen, wissen wir, je mehr Substanz da ist, desto länger können die Menschen auch im Alltag bestehen, weil salopp gesagt: Je mehr da ist, desto später merkt man überhaupt den Abbau.

Hatting: Der Kabarettist und Arzt Eckart von Hirschhausen über die Bedeutung der Neurologie. Vielen Dank für das Gespräch.

von Hirschhausen: Sehr gerne.


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