Ed Yong: „Die erstaunlichen Sinne der Tiere"

    Jedes Erleben ist untrennbar mit dem Körper verbunden

    05:52 Minuten
    Auf dem Cover sind verschiedene Tiere wie Elefant, Wal, Fledermaus und Kolibri im Kreis angeordnet. Im Zentrum des Kreises der Buchtitel, darunter der Autorenname.
    © Verlag Antje Kunstmann

    Ed Yong

    Übersetzt von Sebastian Vogel

    Die erstaunlichen Sinne der Tiere. Erkundungen einer unermesslichen WeltVerlag Antje Kunstmann, München 2022

    528 Seiten

    34,00 Euro

    Von Volkart Wildermuth |
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    Jedes Tier nimmt seine Umwelt anders wahr, denn es nutzt andere Sinne. Die reagieren auf Wärme, Schmerz, elektrische Felder oder Vibrationen. Die Spinne nutzt ihr ganzes Netz zu Wahrnehmung. Der US-Journalist Ed Yong stellt fremde Erlebniswelten vor.
    Am Anfang platziert Ed Yong in einem Gedankenexperiment einen Elefanten in eine Turnhalle, ein Rotkehlchen, eine Maus, eine Hummel und eine Klapperschlange. Sie sind im selben Raum, aber erleben völlig verschiedene Umwelten, je nachdem, welchen Ausschnitt der physischen Realität ihre Sinne einfangen.
    Dabei wirkt jedes Erleben vollständig, so als hätte es keine Schranken. „Das ist eine Illusion, und diese Illusion hat auch jedes Tier“, schreibt der Yong. Dank der Forschung kann der Mensch aber an den anderen Umwelten teilhaben, zumindest ein bisschen.

    Die Farben Rurpur, Grurpur und Gurpur

    Ed Yong selbst versucht mit der Nase einer Schokoladenduftspur im Rasen zu folgen, um seinen Hund besser zu verstehen. Er streckt den Finger in Aquarien und spürt schmerzhaft die Druckwelle eines Knallkrebses, beobachtet per Infrarotkamera und Ultraschallmikrofon die Jagdstrategien von Fledermäusen, malt sich und uns die Ultraschallfarben des Kolibris als Grurpur, Rurpur und Gurpur aus und und und...  

    Der Geschmack ist der ursprünglichste Sinn

    Das klingt nach Kuriositätenkabinett – verblüffend, aber schnell vergessen. Doch Ed Yong gelingt das Kunststück, aus den Beschreibungen Analysen abzuleiten. Der Geschmack ist der ursprünglichste Sinn, jedes Tier hat ihn. Und er wurde immer weiterentwickelt.
    „In gewisser Weise sehen wir, indem wir das Licht riechen“, beschreibt Yong die Reizerkennung im Auge. Die wirkt sogar über das einzelne Tier hinaus. Die Farbe der Blüten hat sich an den evolutionär viel älteren Farbsinn der Insekten angepasst, ein Umstand, den Yong geradezu poetisch kommentiert: „Indem Augen die Gemälde der Natur sehen, definieren sie ihre Palette.“

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    Genauso wichtig wie die Sinne ist das Gehirn. Eine Jakobsmuschel hat zwar viele Augen, aber die Informationen bleiben unverknüpft. „In ihrem Kopf läuft nicht wie in unserem ein Film ab. Sie sieht ohne Bilder.“
    Und beim Kraken empfinden und reagieren die Arme unabhängig vom Kopf, was Ed Yong zu der Frage veranlasst: „Können die Arme eines Kraken neugierig sein?“
    Und das ist nur der Sehsinn. Zehn andere Sinne werden beschrieben, sie reagieren auf Wärme, Schmerz, elektrische Felder oder Vibrationen. Die Spinne nutzt ihr ganzes Netz zu Wahrnehmung. „Indem sie die Seide verändert, verändert sie ihren eigenen Geist.“

    Bedrohte Andersartigkeit

    Viel Stoff, selbst weiter nachzudenken. Gelegentlich sogar zu viel Stoff, der dann in die Fußnoten überfließt. Was mehr ablenkt als erhellt. Aber unterm Strich gelingt es Ed Yong, sein Publikum mitzunehmen in fremde Welten. Wobei er gerade die Fremdheit betont: „Wir können uns nicht einfach ausmalen, wie der Geist eines Menschen im Körper einer Fledermaus oder eines Kraken funktionieren würde, denn er würde nicht funktionieren“, denn jedes Erleben ist untrennbar mit dem Körper verbunden.
    Viele dieser faszinierend anderen Welten sind bedroht. Nicht nur durch Umweltverschmutzung und Klimawandel. Der Mensch verwirrt auch die Sinne der Tiere mit Licht und Lärm. Deshalb fordert Ed Yong: „Wir müssen die Stille retten und die Dunkelheit erhalten“. Dem dürften sich viele seiner Leserinnen und Leser nach der Lektüre anschließen.
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