Edathy: V-Leute-Einsatz muss auf den "Prüfstand"

Sebastian Edathy im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy, begrüßt Veränderungen bei der Arbeit des Verfassungsschutzes. Die parlamentarische Kontrolle müsse gestärkt werden, unter anderem beim Einsatz von V-Leuten in der rechtsextremen Szene.
Korbinian Frenzel: Man kommt aus dem Augenreiben ja gar nicht mehr so richtig raus, wenn man auf das schaut, was die Geheimdienste so treiben, die Amerikaner und Briten mit ihren Abhöraktionen. Das erleben wir hierzulande ziemlich kurz nach einer Zeit, wo wir aus dem Augenreiben über die Pannen, über die massiven Fehler unserer eigenen Nachrichtendienste gar nicht mehr herauskamen.

Stichwort war da nicht NSA, es war der NSU mit seinen Morden, die über zehn Jahre unerkannt geschehen konnten. Das ist ein Skandal, der das Land erschüttert hat und der Konsequenzen nach sich zieht. Heute stellen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und der Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, ihre Reformpläne für das Bundesamt vor. Rolf Clement über die Reformpläne des VerfassungsschutzesWie die aussehen, weiß Rolf Clement (MP3-Audio).

Frenzel: Reformpläne für das Bundesamt für Verfassungsschutz, heute werden Sie offiziell vorgestellt. Ich spreche jetzt mit Sebastian Edathy, SPD-Politiker und Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, der Ausschuss, der Licht ins Dunkel der Behördenpannen um die Mordserie bringen soll. Guten Morgen, Herr Edathy!

Sebastian Edathy: Guten Tag, Herr Frenzel!

Frenzel: Ich hab mich ein klein wenig gewundert: Ihr Ausschuss arbeitet derzeit an einem Abschlussbericht, der noch nicht vorliegt, der auch Empfehlungen geben soll, was sich ändern muss. Und der Bundesinnenminister und sein Verfassungsschutzchef, die treten jetzt schon auf und sagen, was sich ändern soll. Hätte man nicht auf Sie warten müssen?

Edathy: Nein, müssen nicht. Ich finde das auch völlig in Ordnung, dass die Bundesregierung selber nachdenkt, das ist ja nicht verboten und sehr zu begrüßen. Ich bin gespannt, was im Einzelnen vorgeschlagen wird, und wir werden natürlich unsere eigenen Vorschläge, sagen wir mal, trotzdem unterbreiten, aber dass Reformbedarf besteht, dass der Verfassungsschutz in Deutschland sich in keiner guten Verfassung befindet, wenn das auch in der Regierung mittlerweile so gesehen wird, ist das eine richtige Wahrnehmung.

Frenzel: Na, wir haben ja jetzt schon Einiges gehört, was sich ändern soll, was die Behörde vorhat. Reicht Ihnen das aus, sind das richtige Konsequenzen?

Edathy: Wie gesagt, das konkrete Papier wird heute vorgestellt, ab elf Uhr, es liegt mir bisher und dem Ausschuss nicht vor. Das wird man sich näher anschauen müssen. Wir sind gerade dabei, fraktionsübergreifend im Untersuchungsausschuss zu beraten, welche Vorschläge wir selber machen. Ich glaube, dass man drei Punkte ganz klar in den Vordergrund stellen muss. Das eine ist die Gewinnung von qualifizierterem Personal. Das ist leider ein echtes Manko, wir haben für die Beobachtung islamistischer Bestrebungen in Deutschland sehr, sehr gute Analysten, sehr gute Experten.

Etwas Ähnliches, eine ähnliche Qualitätsoffensive wie nach dem 11. September 2001 im Bereich Islamismus brauchen wir auch für den Bereich Rechtsextremismus. Wir müssen die parlamentarische Kontrolle stärken. Ich bin der Auffassung zum Beispiel, dass die Entscheidung, ob jemand V-Mann werden darf, dass die von einem demokratisch legitimierten Gremium getroffen werden muss. Und überhaupt muss das Instrument des V-Leute-Einsatzes dringend auf den Prüfstand. Da ist dermaßen viel im Argen, dass man um eine massivere Form gar nicht herumkommen wird. Also kosmetische Korrekturen werden da nicht ausreichen.

Frenzel: Es gibt apropos V-Männer neue Berichte, dass die V-Männer, deren Akten kurz nach dem Bekanntwerden der Mordserie vernichtet wurden, dass die teils sehr hohe Honorare kassiert haben. Das spricht dafür, dass sie nicht so unwichtig gewesen sein können, wie der Verfassungsschutz uns das glauben machen wollte. Wachsen Ihnen da nicht erneut Zweifel an dem Aufklärungswillen der Behörden, wenn man so was hört?

Edathy: Wir sichten ja nach wie vor auch noch Akten, während wir parallel und zeitgleich den Abschlussbericht schreiben. Ganz klar ist jedenfalls, das Instrument des V-Leute-Einsatzes ist völlig inflationär gebraucht worden, und da müssen jetzt Sicherungsmechanismen eingezogen werden. Also es darf nur punktuell zukünftig eingesetzt werden, nur in wichtigen Fällen, die auch kontrolliert werden müssen, ob da die Verhältnismäßigkeit mit Blick auf den Einsatz eines V-Manns oder einer V-Frau gewahrt ist.

Es muss die Umsetzung der Maßnahme kontrolliert werden sehr eng. Es muss kontrolliert werden, dass die Auswertung funktioniert. Das heißt also, dass die Unterstützung von Polizei und Staatsanwaltschaften durch den Verfassungsschutz immer Vorrang haben muss vor dem Schutz der Identität eines V-Mannes.

Mein Eindruck ist, und deswegen ist dieser Reformbedarf vor allen Dingen da beim Verfassungsschutz: Man hat die falschen Schwerpunkte gesetzt in der Vergangenheit, man hat Rechtsextremismus unterschätzt, zum Teil sogar bagatellisiert. Und man hat dort zum Teil Informationen gesammelt offenkundig, um Informationen zu sammeln, und nicht, um sie im Sinne des Rechtsstaates und des Schutzes seiner Bürgerinnen und Bürger auch zu nutzen.

Gerichtsszene aus München: Beate Zschäpe mit ihren Anwälten im Gerichtssaal
Gerichtsszene aus München: Beate Zschäpe mit ihren Anwälten im Gerichtssaal© picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Wandel der rechtsextremen Szene
Frenzel: Brauchen wir denn auch in Zukunft V-Leute? Das höre ich bei Ihnen raus. Wenn ich mir die Position der Grünen anhöre, Ihres Wunsch-Koalitionspartners, dann klingt das ja anders. Die sagen, wir wollen eigentlich gar keine V-Leute mehr überhaupt einsetzen.

Edathy: Ich kann die grundsätzliche Skepsis bei anderen Parteien durchaus verstehen gegenüber dem V-Leute-Einsatz. Wir müssen nur Folgendes sehen: Die rechtsextreme Szene in den letzten 20 Jahren hat sich dahingehend gewandelt, dass sie dort, wo über Militanz diskutiert wird, überwiegend sich auszeichnet durch vergleichsweise lose Strukturen, durch Kameradschaften.

Wenn wir es im Sinne der wehrhaften Demokratie für legitim halten, dass der Staat den Versuch unternimmt, unterhalb der Schwelle des Begehens von Straftaten sich ein Lagebild zu verschaffen über extremistische Aktivitäten in Deutschland, stellt sich natürlich die Frage, wie kommt der an die Informationen heran. Da gibt es das Instrument des verdeckten Ermittlers, also eines Verfassungsschutzmitarbeiters, der eingeschleust wird mit einer falschen Legende, mit einem falschen Namen – das der Vertrauen bekommt kurzfristig in so einer Neonazi-Kameradschaft, das ist entweder sehr unwahrscheinlich oder klappt gar nicht.

Und dann kann es im Einzelfall sinnvoll sein, wenn man Hinweise hat, die planen gezielt Straftaten in einer solchen Gruppe, zurückzugreifen auf Mitglieder der Gruppe, die bereit sind, obwohl sie selber überzeugte Rechtsextremisten sind, gleichwohl dem Staat gegen Geld Informationen zukommen zu lassen. Das ist aber rechtsstaatlich sehr, sehr ambivalent, ein ganz schwieriges Fahrwasser. Und deswegen muss das der absolute Einzelfall sein und kann nicht flächendeckend erfolgen.

Frenzel: Wenn wir in diesen Tagen von Geheimdiensten sprechen, dann geht es in erster Linie ja nicht mehr um die NSU. Es geht um die NSA, die amerikanische Abhörpraxis. Sie haben ja einiges an Geheimdienstpraxis kennengelernt in den letzten Monaten. Sind Sie dennoch überrascht von diesem Ausmaß?

Edathy: Wir müssen jetzt natürlich prüfen, ob die Medienberichterstattung zutreffend ist. In der Tat neigen Geheimdienste, das haben wir auch am Untersuchungsausschuss in Deutschland zum Thema NSU festgestellt, zum blindwütigen Sammeln von Informationen. Umso wichtiger ist es, dass Geheimdienste eine klare Aufgabe haben. Und wenn natürlich der amerikanische NSA die Aufgabe gehabt haben soll, flächendeckend Bürger in Deutschland auszuspähen, um damit verbunden vielleicht auch Industriespionage zu betreiben, dann wäre das verwerflich, und ich hoffe, dass so etwas in Deutschland nicht möglich wäre.

Frenzel: Das sagt Sebastian Edathy, der Vorsitzende des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur NSU-Mordserie. Ich danke Ihnen für das Interview!

Edathy: Gerne, Herr Frenzel!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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