Hören Sie hier das Gespräch mit Eddie S. Glaude Jr. über James Baldwin auch im englischen Original.
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Neu anfangen mit James Baldwin
56:19 Minuten
Kaum einer hat den tiefverwurzelten Rassismus in den USA schonungsloser beschrieben als der Autor James Baldwin. Princeton-Professor Eddie S. Glaude Jr. hat nun eine beachtliche Studie über ihn geschrieben. So habe Baldwin sogar Trump vorausgeahnt.
"… das ist das Verbrechen, das ich meinem Land und meinen Landsleuten anlaste und das weder ich noch die Zeit noch die Geschichte ihnen jemals vergeben wird –, dass sie hunderttausendfach Leben zerstört haben und immer noch zerstören und nichts davon wissen wollen."
So beschreibt der Autor James Baldwin in einem Brief an seinen Neffen die rassistische Unterdrückung und Gewalt, von denen er die USA auch noch hundert Jahre nach dem Ende der Sklaverei geprägt sieht. 1962 war das. Wenn im Jahr 2020 weltweit Menschen auf die Straße gehen, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren, scheint Baldwins Anklage nichts von ihrer Dringlichkeit verloren zu haben.
James Baldwin, 1987 gestorben, gehört mit seinen Essays und Romanen zu den Klassikern der US-amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Und nicht zuletzt der Auftrieb der Bewegung "Black Lives Matter" mag dazu beigetragen haben, dass er seit einiger Zeit wieder mit verstärktem Interesse gelesen wird.
Neu beginnen, trotz allem
Wie aktuell die Schriften James Baldwins (nicht nur) für die USA der Gegenwart noch sind, das erkundet Eddie S. Glaude Jr., Professor für African American Studies in Princeton, in einer hochgelobten Studie, die kürzlich erschienen ist: "Begin Again: James Baldwin's America and Its Urgent Lessons for Our Own". Ein Buch, das so mutig wie triftig das Amerika Baldwins mit dem Amerika der Donald-Trump-Jahre gegenschneidet.
Und so kann der Appell im Titel, "neu anzufangen", ein Zitat aus Baldwins letztem Roman, wohl auch als Appell für das Leben in den USA unter und nach Donald Trump verstanden werden – sich von allen Rückschlägen und Ungerechtigkeiten nicht entmutigen zu lassen, den Glauben an eine bessere Welt nicht aufzugeben.
Amerikas "Ursünde": Der Glaube an weiße Überlegenheit
Die Abwahl Donald Trumps habe zwar "Zeit erkauft", so meint Glaude im Gespräch, aber die eigentliche Arbeit stehe nun erst bevor, ist er überzeugt. Denn Trump ist für ihn kein alleinstehendes Phänomen, sondern nur die "Manifestation der Hässlichkeit", die in uns stecke, wie es Glaude 2019 in einem Interview nach dem rechtsextremen Massaker in El Paso, Texas, formulierte.
Zu Beginn von Glaudes Buch steht die "große Lüge", gegen die Baldwin angeschrieben habe. Was er damit meint, erklärt Glaude im Gespräch folgendermaßen: "Amerika sieht sich selbst als die strahlende Stadt auf dem Hügel, als leuchtendes Vorbild für eine gelungene Demokratie. Aber die USA erzählen sich selbst diese Geschichten, um davon abzulenken, was sie in Wirklichkeit tun, dass sie in Wirklichkeit kein Beispiel für eine gelungene Demokratie sind."
Im Zentrum dieses Selbstbetrugs steht für Glaude wie für Baldwin eine tief verwurzelte Ideologie weißer Überlegenheit: "Amerikas ‚Ursünde‘ ist nicht die Sklaverei. Amerikas Ursünde ist auch nicht der Genozid an den Ureinwohnern. Die ‚Ursünde‘ des Landes besteht vielmehr im Konzept des ‚Weißseins‘ selbst. Was Baldwin uns sagen will, ist folgendes: Wir erzählen uns diese Geschichten, um zu verschleiern, dass wir diese Gesellschaft auf dem Glauben aufgebaut haben, dass weiße Menschen mehr wert sein sollen als andere."
Baldwin hat Trump vorhergesehen
Trump habe diese unterschwellige Ideologie sichtbar, rassistische Einstellungen wieder salonfähig gemacht – aber ihr Ursprung ist er nicht. Einen Vorläufer Trumps sieht Glaude nicht zuletzt im Republikaner Ronald Reagan, der von 1981 bis 1989 US-Präsident war. In seiner Analyse von Reagan habe Baldwin Trump in gewisser Weise vorausgeahnt, meint Glaude:
"In gewisser Weise sah er in Ronald Reagan, wozu das Land fähig war. Reagan rief lange vor Trump ‚Make America great again‘. Dieser ehemalige Hollywood-Schauspieler, diese ‚Fantasiegestalt‘, wie Baldwin ihn nannte, läutete das Ende der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ein. Und nun, 2016, 2020, strebten die USA wieder nach einer Fantasiegestalt: Nur, dass sie diesmal nicht einen Hollywood-Schauspieler aus der zweiten Garde, sondern einen Reality Star auserkoren hatten, der sich als Milliardär ausgab. Und Baldwin erkannte die Bedeutung dieser Sehnsucht: Dass Amerika bereit sein würde, seine Seele aufzugeben, um die Idee zu bewahren, dass die USA eine ‚weiße Nation‘ sein müssten."
Eddie S. Glaude Jr.: "Begin Again: James Baldwin's America and Its Urgent Lessons for Our Own"
New York, 2020
272 Seiten, 17,99 Euro