Edinburgh Fringe Festival

Jux und Dollerei

Ein Straßenkünstler während des Edinburgh Fringe Festivals auf der Royal Mile.
Ein Straßenkünstler während des Edinburgh Fringe Festivals auf der Royal Mile. © picture alliance / dpa / PA Lawson 6246725
Von Michael Laages · 26.08.2015
Jedes Jahr im August findet in der schottischen Hauptstadt Edinburgh das Festival Fringe statt. Es bietet Comedy der manchmal feineren und öfter gröberen Sorte. Aus Berlin ist auch Herbert Fritschs Volksbühnenstück "Murmel, murmel" dabei.
"High Street" – das ist die Straße auf dem Hügelrücken der Altstadt, sie führt vom mächtigen Schloss herab zum Hollyrood House, wo einst die schottische Königin Maria Stuart in Haft saß und heute die Queen residiert, wenn sie mal in Edinburgh ist. Deshalb heißt die Straße auch "Royal Mile". Und sie ist dieser Tage natürlich gesperrt – als Fußgänger-, Spiel- und Konzert-Zone gehört sie im oberen Teil, nah beim Schloss, fast komplett dem unüberschaubar bunten Gewimmel und Getriebe von Künstlern und Publikum beim "Fringe"-Festival.
Wer nach Edinburgh kommt im August und ein Instrument dabei hat, spielt hier. Nebenan wird der Einsatz für sage und höre 460 Spielorte in der an sich nicht so übermäßig großen Stadt organisiert: "richtige" Theater sind auf gut 300 engbedruckten Seiten im Festival-Katalog verzeichnet, aber auch die Nudelbrettbühnen von Pubs und Kneipen; und manchmal wird auch einfach der Platz davor zur Bühne. Hier werben gerade junge Musical-Sänger für die eigene Show im "Greenhouse".
Überall ist Festival. Und kaum eine Ecke der "Royal Mile" bleibt ohne Ungeheuer: Schauspieler in jenen Monsterkostümen, irgendwo zwischen Dino- und Transformer-Scheusalen, die Kinder wohl so lieben - Selfie mit Monster inklusive! Steil geht's zu Füßen der Burg hinunter durch enge Gänge zum "Grassmarket".
Das sind zwei Halbwüchsige, historisch kostümiert und mit den klassischen Instrumenten, Trommel und Dudelsack. Am "Grassmarket" liegen mehrere Minibühnen, die den Haupt-Charme des "Fringe" garantieren: Jux und Dollerei, Comedy der (manchmal) feineren und (öfter) gröberen Sorte. Und kaum ein Theaterchen zeigt nicht mindestens fünf Vorstellungen pro Tag – dazwischen dudelt und fiddelt es vor den Restaurants, den Kneipen und Pubs, wie hier vor dem "White Hart", dem "Weißen Hirschen", über 600 Jahre alt und damit die älteste Theke der Stadt.
Es gibt auch "richtiges" Theater
Nur von Gelächter und Vergnügen lebt aber auch das "Fringe"-Festival nicht. Unter den vielen Dutzend "richtigen" Theatern gilt das "Traverse"-Theatre als eines der profiliertesten. Gut ein Dutzend neue Stücke zeigt es zur "Fringe"-Zeit, meist je fünf pro Tage auf zwei Bühnen, von morgens um 10 bis abends um 11.
Brav antwortet das Publikum dem Solo-Theatermacher Tim Crouch, der eine junge Schauspielerin aus dem Publikum als Partnerin auf die Bühne bittet – für eine sinistre Schreckensfantasie um Schuld und Verdrängung, in deren Zentrum ein überfahrenes Kind steht.
Hier erzählt ein Banker, wie er ins Nichts stürzte beim Banken-Crash – Andy Duffy beschreibt einen Absturz, der alle Lebensbereiche umfasst, gerade die privaten.
Öfter mal was kaputtmachen – das befreit. Eine der drei schrillen Outsider-Figuren gibt diesen Tipp in "Swallow", dem neuen Stück von "Traverse"-Hausautor Stef Smith. Und das ist sicher der Theatertext im "Fringe"-Aufgebot, dem unbedingt eine deutsche Version zu wünschen wäre.
"The Christians" hinterfragt den Glauben
Und für die verblüffendste Produktion in diesem aufregenden Haus kommt ein Kirchenchor zum Einsatz. Lasset uns beten, sagt der Pastor. Und der Gemeinde, die er sich als Einheit, als Gemeinschaft vorstellen möchte, predigt er plötzlich, dass Gott von irgendeiner "Hölle" nie sprach, dass es darum auch gar keinen Teufel gibt - nur Menschen. Und alle kommen in den Himmel; auch Hitler. So etwas spaltet die Gläubigen – der Fundamentalismus siegt. "The Christians" von Lucas Hnath, uraufgeführt in London, hinterfragt ein wenig plakativ, aber mitreißend, was Glauben heute heißen kann.
Zuletzt macht diese kleine "Fringe"-Reise Station bei "Antigone" – gleich vier Mal war ihre Geschichte im Spielplan, mit Juliette Binoche und mit amerikanischen Studenten, als Debatten-Thema und als kultureller Grenzgang. Aus Dubai nämlich kam diese leider extrem schematische Version – schade! Doch dass "Antigone" und ihr Widerstand ein Thema sind in der arabischen Welt – wer wüsste das ohne "Fringe"-Festival?
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