Edith Piaf

"Glück muss man mit Tränen bezahlen"

Undatierte Aufnahme der französischen Chansonsängerin Edith Piaf (1915-1963)
Anregerin und Widmungsträgerin: Edith Piaf © dpa / picture alliance
Von Karl Lippegaus |
Die Verse ihrer Chansons, die Edith Piaf zum Teil selbst schrieb, lesen sich auf dem Papier so einfach, fast banal. Gesungen von einer der größten Stimmen des 20. Jahrhunderts wurden sie unvergesslich. Vor 100 Jahren wurde die französische Sängerin geboren.
Am 19. Dezember 1915 ist sie zur Welt gekommen, Edith Giovanna Gassion. Als Edith Piaf wurde sie eine der größten Stimmen des 20. Jahrhunderts.
Eine kleine Frau, nicht mal 1,50 Meter groß, betritt die Bühne, in einem schwarzen Kleid, zögernd nähert sie sich dem Mikrofon. Ängstlich blickt sie in den verdunkelten Raum. Ernst wirkt sie und in ihrem Blick spiegeln sich all die Schwere ihrer Existenz, all das Leid und die Verletzungen, die sie erlebt hat. Dann beginnt sie zu singen – mit einer Kraft, die man in diesem zierlichen Körper nie vermutet hätte.
"Sie liebt das Pflaster, wie andere Blumen lieben oder das Meer. Paris klebt ihr am Leibe wie ein nasses Hemd."
Ihre Stimme kündet von einer Zeit, als sich die Sänger Gehör verschaffen mussten – auf der Straße, in lärmigen Cabarets, dem Grölen der Menge.
"Singen ist für mich eine Flucht, es geht in eine andere Welt, ich stehe nicht mehr auf dem Boden."
Ihr Pianist Norbert Glanzberg fand, Edith Piaf sei wie ein Orkan gewesen. Spontan, launenhaft, oft verzweifelt; verwundet von dem, was sie erlebt hatte. Das Orchester spielt unsichtbar hinter einem großen Vorhang, vorne steht nur sie, und während sie singt, erzählen ihre Hände wie selbstständige Wesen auf ihrem kleinen schwarzen Kleid auf und ab wandernd das Chanson:
"Ich glaube, das wirkliche Glück muss man mit Tränen bezahlen."
Humane Kunst aus tiefster Seele
Ihr Freund und Mentor, der Künstler Jean Cocteau sagte über Edith Piaf:
"Nichts wird von ihr übrig bleiben als ihr Blick, ihre blassen Hände, diese wächserne Stirn, an der sich das Licht festklammert. Ihre Stimme, die sich aufbläht, die anschwillt und ansteigt, die Schritt für Schritt an ihre Stelle tritt."
1942 erlebt ein junger Reporter in Monte Carlo Edith Piaf. Er beschreibt sie als eine Tragödin, deren zutiefst humane Kunst aus den Tiefen ihres Herzens und ihre Seele her rühre. Dieser Schreiber wird bald selbst ein großer Chansonnier werden, es ist Leo Ferré. In chaotischen Verhältnissen war sie aufgewachsen, ohne Liebe und ohne Zärtlichkeit:
"Nicht dass ich den Teufel im Leib hatte – es war nur das bohrende, beinahe krankhafte Bedürfnis, geliebt zu werden, umso mehr, je hässlicher und verächtlicher ich mich fand, je weniger für die Liebe geschaffen."
Anfangs sang sie auf den Straßen, in den Hinterhöfen und in den Bistros von Pigalle. Bis einer der ersten der vielen Männer in ihrem Leben sie rettete:
"Drei Jahre brauchte er, um mich zu heilen. Drei Jahre, um mich von Pigalle zu entgiften, von meiner zerrütteten, verdorbenen, unglücklichen Kindheit."
Schmerzen, Morphium und Lampenfieber
Erbarmungslos wie Kinder im Puppentheater kann Edith Piaf über das Leben lachen – auch über die Schwächen anderer. Sie ist süchtig nach dem Leben und will es auskosten bis zur Neige.
"Ein Chanson, das ist nichts Kleines oder Unbedeutendes. In ihm sind alle Schmerzen und Leiden enthalten, aber auch alle irdischen Freuden und sämtliche Hoffnung."
... schreibt Jens Rosteck in seiner Piaf-Biografie. Nach einem Autounfall 1951 beginnt sie Morphium zu nehmen. Um die Schmerzen zu bekämpfen – und ihr chronisches Lampenfieber. Man fragte Edith Piaf einmal: Was haben Sie von der Liebe erwartet?
"Was sie mir gegeben hat? Das Wunderbare, Traurige, Tragische und das Außergewöhnliche. Nie bin ich enttäuscht worden."
Am 10. Oktober 1963 stirbt Edith Piaf, die das Leben so geliebt hat, geliebt wie verrückt, mit nur 47 Jahren.
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