Edouard Louis: Das Ende von Eddy
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Fischer Verlag, Frankfurt 2015
EUR 18,99
Abgründe des ländlichen Frankreichs
Diese Woche erscheint "Das Ende von Eddy" auf Deutsch. In Frankreich hat der Roman, den Edouard Louis als 18-Jähriger geschrieben hat, für reichlich Wirbel gesorgt. Denn er zeigt eine durchaus reale Welt voller Bildungsferne, Rassismus, Homophobie und Gewalt.
"Das Ende von Eddy" – so heißt das Buch, das in dieser Woche auf Deutsch erscheint. Vor einem Jahr hat die französische Ausgabe in Frankreich großen Wirbel verursacht. Nicht nur die Kulturseiten der Zeitungen waren voll mit Artikeln – auch die Publikumsmedien berichteten mit Begeisterung oder heftiger Ablehnung über dieses Werk, das vom Geruch eines "Skandals" umweht wurde.
Edouard Louis, ein junger Autor Anfang 20, rechnet mit seiner Jugend ab. Mit seinem Dorf, den Mitschülern, den Nachbarn, vor allem aber seinen Eltern, die seine Homosexualität nie akzeptiert und ihn jahrelang gequält haben. Die Namen sind kaum verschlüsselt. Die Familie bricht mit ihm, das Publikum stürzt sich voller Bestürzung – oder Voyeurismus auf die Story.
Dirk Fuhrig hat das Buch gelesen und den Autor, der heute in Paris lebt, getroffen.
Das Buch ist nicht nur eine Abrechnung, sondern eine wirklich ganz und gar wüste Vernichtung seiner Herkunft. Die Kindheit und Jugend, die der Autor beschreibt, muss eine wahre Hölle gewesen sein: Tägliche Demütigungen in der Schule, zwei ältere Schulkameraden warten jeden Morgen in einem Gang auf ihn und prügeln ihn erstmal. Er wagt nicht, dagegen aufzubegehren, weil er noch härtere Gewalt befürchtet - und weil er einfach zu schwach ist, sich zu wehren.
Dann der autoritäre Vater, der aus ihm einen "harten Kerl" machen will, was natürlich zum Scheitern verurteilt ist, aber dem kleinen Jungen regelrecht eingeprügelt werden soll. Die Mutter, die die Kinder vernachlässigt. Die Cousins und Cousinen, die die Schule schwänzen und in der Gegend rumhängen.
Unfassbare Tristesse, Armut und "Bildungsferne", Homophobie, Rassismus, Alkoholismus, stumpfinniges Fernsehgeglotze, Brutalität, rechtes Gedankengut - man wird da in ein ziemlich erschütterndes Milieu hineingezogen.
Ein verarmter Landstrich
Das Buch spielt in einem Dorf in Nordfrankreich, Hallencourt heißt es – das wurde sehr schnell identifiziert und hat dann gleich nach dem Erscheinen zu den heftigen Debatten geführt. Die Picardie ist ein sehr armer Landstrich, auf halbem Weg zwischen Paris und dem Ärmelkanal, und grenzt an die Region, die wir aus dem Film "Willkommen bei den Schtis" kennen.
Im Original heißt das Buch "En finir avec Eddy Bellegueule" - also in etwa: Schluss mit Eddy Bellegueule! Schluss mit dem Menschen, der einmal Eddy Bellgueule hieß. Bellegueule, das klingt übrigens auch ein bisschen seltsam, denn das heißt "Schönling" oder "geile Fresse". Also ein etwas kurioser Nachname. Den legt Eddy ab – und nennt sich fortan Edouard Louis. Er entledigt sich damit symbolisch seines Namens und seiner ganzen Herkunft.
Und er flieht damit diese unheimliche Welt, die er überwiegend wohl tatsächlich so selbst erlebt hat. So lange, bis er durch Glück und ein Stipendium erst in die nächstgelegene Kleinstadt aufs Gymnasium und dann zum Studium eben in die allglückseligmachende Metropole Paris kommt.
Mehr als ein Bekenntnisroman
Edouard Louis ist keiner, der sich einfach seine Wut von der Seele geschrieben hat. Sondern ein sehr reflektierter und kluger junger Mann.
"Ich wollte unbedingt, dass 'Roman' auf dem Titel steht, weil ich nicht finde, dass ein Roman zwangsläufig immer fiktional sein muss. Auch wenn das in der Vergangenheit oft behauptet wurde. Aber dann ist es umso besser, wenn man das ändert. 'Roman' heißt für mich 'Konstruktion', und so war der Roman für mich ein Mittel, mich meiner Autobiografie anzunähern. Ich wollte die Literatur so weit wie möglich mit der Wahrheit in Deckung bringen. Es gibt keinen fiktionalen Strang in meiner Erzählung. Es geht um meine eigene Kindheit. Eddy Bellegueule ist anders, deshalb wird er von seiner Familie und von der Schule ausgestoßen. Davon ausgehend habe ich eine Handlung 'konstruiert', die es mir erlaubt hat, diese Wahrheit zu beschreiben. Die verschiedenen Sprachebenen sind ganz wichtig. Ich habe gemerkt, wenn ich sage, dass mich mein Vater wegen meiner Homosexualität abgelehnt hat oder dass er ein Rassist ist, dann ist das etwas völlig anderes, als wenn ich mich mit der Sprache auseinandersetze und Wörter verwende wie 'Schwuchtel' oder 'Tunte' oder bestimmte beleidigende Begriffe, die sie für Araber benutzen."
Doch das Buch ist keineswegs eine Art Coming-Out-Roman, in dem ein schwuler Junge vom Land seine traumatische Jugend verarbeitet. Es besticht durch eine unheimlich scharfe Sprache, und ist zugleich kühl, analytisch, fast schon soziologisch.
Zum anderen hat es dem Land den Spiegel vorgehalten, indem er Homosexualität und die soziale Frage miteinander verknüpft. Dass es derart depravierte, elende Zustände in dem gerne ja so idyllisierten französischen Land gibt (der "Campagne", wo alle ihre Großmütter und Ferienhäuser haben), das wollte keiner so für möglich halten.