Eduard von Keyserling: "Landpartie"
Hrsg. von Horst Lauinger, mit einem Nachwort von Florian Illies
Manesse Verlag, München 2018
744 Seiten, 44 Euro
Leises Gift gegen die gehobenen Kreise
In den vergangenen Jahren wurde der Schriftsteller Eduard von Keyserling wiederentdeckt. Nun legt Manesse den Erzählband "Landpartie" vor. Darin lässt Keyserling zwar moderne Figuren auftreten - die allerdings flanieren durch überparfümierte Szenerien.
Auch wer Romane wie "Wellen" oder "Fürstinnen" nicht gelesen hat, dem kommen bei Eduard von Keyserling (1855-1918) wohl zwei Dinge in den Sinn: das Gemälde Lovis Corinths aus dem Jahr 1900, das einen wenig ansehnlichen, von Krankheit gezeichneten Mann zeigt, und Keyserlings Titulierung als "baltischer Fontane", mit der er bei seinen in den vergangenen Jahren verschiedentlich erfolgten Wiederentdeckungen regelmäßig versehen wurde.
Keyserling ist schwer zu fassen
Auch wenn das Feuilleton ihn feiert: Eine Attraktion für ein breites Publikum ist Keyserling bislang nicht geworden. Ob die Ausgabe seiner gesammelten Erzählungen, die nun unter dem Titel "Landpartie" erschienen sind, daran etwas ändern wird: fraglich. Denn Keyserling ist schwer zu fassen. Mal scheint er vollends aufzugehen in dem dekadenten Weltschmerz seiner häufig adligen Figuren, die sich gelangweilt durch die heißen Sommertage auf ihren Landgütern parlieren und sich dabei nach ein wenig Abenteuer und Erregung sehnen. Man lese nur zwei der bekannteren Erzählungen: die titelgebende "Landpartie" oder "Schwüle Tage".
Dann wirken die Gärten, durch die Keyserling sein Personal flanieren lässt, heillos überparfümiert und der ständig beschworene rote Abendhimmel erscheint geradezu wie eine Parodie. Das ist aber nur die eine Seite Keyserlings. Der andere Keyserling ist ein kritischer Beobachter, der die Befindlichkeiten seiner Zeitgenossen – der Überdruss, die Natursehnsucht - ironisch und durchaus bissig vorzuführen weiß. Herrlich etwa die frühe, nur wenige Seiten umfassende Erzählung "Grüne Chartreuse", in der ein wohlsituiertes Liebespaar – nachdem die erste Leidenschaft verpufft ist – nach dem Diner hinter verschlossenen Gardinen zusammensitzt und sich in einen Überbietungswettkampf darüber verstrickt, wer wohl die oder der Naturverbundenere sei. Der Vorwurf, den sowohl er ihr als auch sie ihm macht: Der Wald, von dem da geschwärmt werde, sei doch allenfalls hübsche Dekoration und Mittel zur Selbststilisierung.
Dem dörflichen Leben gelten seine Sympathien
Was Keyserling hier an leisem Gift gegen die gehobenen Kreise versprüht – zu denen er als Spross einer adligen Familie im heutigen Lettland Geborener freilich auch gehörte, wenngleich er durch einen nebulös bleibenden Vorfall verstoßen wurde – wird kontrastiert durch seine Erzählungen über das dörfliche Leben, dem offenkundig seine Sympathie gilt. Genauso wie den Frauenfiguren. Vom Selbstbewusstsein, dem Mut und der Klugheit gerade der jungen Frauen können die Männer bei Keyserling nur träumen. Und insofern kann man in "Landpartie" auch einen sehr modernen Schriftsteller entdecken, der gerade, wo es um Erotik geht, sehr viel offenherziger und handfester erzählt als etwa Fontane, mit dem er so oft verglichen wird. Wären da nur nicht dann doch wieder all die flatternden Seitenbänder und Blumendüfte, von denen sich der Autor offenbar selbst ein ums andere Mal einlullen lässt.