Die Ausstellung "Edvard Munch - gesehen von Karl Ove Knausgård" ist vom 12. Oktober bis zum 1. März 2020 im K20 in Düsseldorf zu sehen.
Selbstfindung mit Karl Ove Knausgård
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Die Kunstsammlung NRW zeigt im Düsseldorfer K20 einen unbekannten Edvard Munch. Ausgewählt hat die bisher nie oder nur selten in Deutschland gezeigten Gemälde, Druckgrafiken und Skulpturen der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård.
Größer konnte der Widerspruch kaum sein. Edvard Munch lebte seit 1902 zurückgezogen und scheu, malte täglich, war einsam. Hundert Jahre später, bei der Pressekonferenz in der Kunstsammlung NRW heute, reichlich Öffentlichkeit: viele Fernsehkamerateams, die den norwegischen Literaturstar Karl Ove Knausgård vor Gemälden seines Landsmannes sehen und filmen wollten.
Wortreich wurde über Einsamkeit, Sehnsucht, Verschwiegenheit und Angst des modernen Menschen gesprochen. Ich habe Karl Ove Knausgård zu einem späten, bislang nie gezeigten Bild von 1942 befragt: "Maler an der Hausfassade". Ein Selbstporträt?
Munch malte jeden Tag
"Das ist eines seiner sehr späten Bilder. Wir haben das Motiv eines Malers, eines Ateliers, und der Maler malt sich. Ich denke schon, dass das ein Kommentar seiner eigenen Arbeit ist. Es gibt ja auch das andere Selbstporträt, wo er fast nackt, sehr alt auf dem Bett neben einer Uhr sitzt. Er sieht den Betrachter an, sieht aus wie ein Niemand, aber er ist natürlich jemand. Ich beziehe mich ein wenig darauf. Ich glaube nicht, dass es ein direkter Kommentar ist, aber es ist schwer, es nicht so zu sehen. Er war ein Maler, sein Leben lang, malte jeden Tag. Das ist, was er tat. Es ist kein großartiges Gemälde. Aber es wurde zuvor noch nie gezeigt. Das erste Mal wurde es in Oslo gezeigt. Das macht es wert, es zu zeigen, um seiner selbst willen."
Als das Munch Museum Oslo den berühmten Schriftsteller einlud, eine Ausstellung zu kuratieren, dachten sie, Knausgård würde über den Literaten Munch schreiben, denn der hatte auch viel verfasst. Aber, so Knausgård: "Ich habe sie wohl sehr enttäuscht. Ich habe alles Literarische weggewischt und mich auf das Visuelle konzentriert."
Hinter die Ikone blicken
Munch sei so bekannt und ikonisch geradezu, dass man die Bilder gar nicht mehr richtig sehe:
"Ich habe ein Buch über Munch geschrieben und die Leute haben mich gefragt: Schreibst du wirklich ein Buch über Munch oder über dich? Sehen Sie, wenn Sie Kunst betrachten, können Sie das nie wissen. Sie müssen investieren, mitbringen, was Sie haben, wenn Sie ein Bild betrachten. Beides zusammen erzeugt, was das Bild für Sie ist. Was ich als Schriftsteller erfahren habe, ist die Frage: Verstehen Sie wirklich Munch oder verstehen Sie sich selber? Ich weiß es nicht."
Parallel zur Ausstellung hat Karl Ove Knausgård ein Buch über Munch und seine Bilder vorgelegt. Es heißt "So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche". Für Susanne Gaensheimer, die Direktorin von K20 der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf, eine gelungene Zusammenarbeit:
"Es geht, finde ich, in der Ausstellung wirklich primär um Edvard Munch. Ich hab' nicht den Eindruck, dass Knausgård hier über sich spricht. Wobei natürlich die subjektive Wahrnehmung immer auch in alles, was man macht, mit einfließt. Auch bei einem Museumskurator ist es so, dass Sie irgendwann auch subjektive Entscheidungen fällen."
Über den Klang der Bilder
Bedeutungsschwer geht es beim Maler wie beim Literaten um die großen Dinge, um das Leben, Lieben, das Sterben, die Beziehung zwischen den Geschlechtern. Wie ein sehr subjektiver Kommentar zu den vielen Gemälden von Männern, die in der Gegenwart von Frauen Angst bekommen und deshalb buchstäblich gesichtslos bleiben, lesen sich die Wandtexte von Knausgård. Etwa dieser:
"Munch interessierte sich dafür, wie ein Bild ein anderes Bild verändern konnte, wie die Beziehung und der Kontext mehr erschufen als die einzelnen Werke, einen Klang, wie er es nannte. Und so ist es auch mit den Menschen. Zusammen sind wir mehr als einzelne Individuen, und wir leben im Gesicht des anderen, nicht in unserem eigenen, das sehen wir nicht."
Edvard Munch ließ seine Bilder buchstäblich im Regen stehen. In seinem Außenatelier verwitterten, alterten die Gemälde wie Menschen. In Düsseldorf darf der Besucher mit Hilfe des norwegischen Literaturstars Karl Ove Knausgård an dessen und den eigenen intensiven Gefühlen teilhaben, sich gewissermaßen bei der Rührung über die Innenwelt des Malers und auch des Betrachters zuschauen. Beides lohnt es, zu entdecken.