Der Traum vom Radio für alle
In seinem euphorischen Gesellschaftsentwurf "Looking Backward" beschreibt Edward Bellamy im Jahr 1887 die Utopie eines öffentlichen Radios. Der Amerikaner wünschte sich die Teilhabe aller Bürger an Kultur und Information, wie unser "Musikfeuilleton" zeigt.
Nach einem künstlichen Schlaf von 113 Jahren erwacht der 30-jährige Julian West in einer neuen, idealen Welt. Begleitet von Dr. Leete und dessen Tochter Edith erkundet der Held aus dem utopischen Roman "Looking Backward: 2000-1887" die harmonisierten Verhältnisse und vergleicht sie mit den bedrückenden Zuständen im Boston seiner Zeit.
Mit seiner Vision von gleichem Recht und gleicher Macht für alle, von der Humanisierung der Arbeitswelt sowie der Frauenemanzipation malte der amerikanische Schriftsteller Edward Bellamy bereits 1887 zentrale Themen zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen aus.
Teil seines euphorischen Gesellschaftsentwurfs ist der Glaube an den technischen Fortschritt, der sich am deutlichsten im Zukunftstraum von einem öffentlichen Radio ausdrückt.
Mit Julian West, dem Helden von "Looking Backward", begibt sich Bellamy auf eine Zeitreise ins magische Jahr 2000. Was er dort findet, ist bemerkenswert. Die Lebensbedingungen der Menschen haben sich geändert und mit ihnen die Motive ihres Handelns: Es herrscht eine harmonisch organisierte Wohlfahrtsgemeinschaft.
Vieles hat Bellamys Vision mit anderen Utopien des 19. Jahrhunderts gemeinsam. Sie alle richten sich in ihren Zielen auf Gerechtigkeit, persönliche Freiheit, Gleichheit, auf die Aufhebung des Privateigentums, Harmonie und eine natürliche Lebensweise.
Harmonie und Fortschritt
Unterschiedlich sind lediglich der Weg, den sie zur Erreichung des harmonischen Zusammenlebens beschreiben, und die konkreten Ausformungen der Zukunftsprojektionen. Zum Beispiel im Hinblick darauf, wie der technische Fortschritt die Lebensweise der Menschen verändern wird.
Edward Bellamy entwarf bereits 1887 die Utopie eines Radios, in der die Häuser durch Telefonleitungen mit der Sendestation verbunden sind. An der Verstärkung und Filterung von Sprach- und Musiksignalen hatte man bereits zu seiner Zeit experimentiert.
Das Interessantere an seiner Vision ist vielleicht jener emanzipatorische Schritt dahin, dass ausnahmslos allen Menschen jenes Informations-, Bildungs- und Unterhaltungsmedium zuteil wird: das Radio für alle, damals noch ein Traum.
Was ist aus den Utopien und Visionen von Thomas Morus geworden? Der Schwerpunkt "Zukunft denken. 500 Jahre 'Utopia'" in Deutschlandradio Kultur sucht nach Antworten vom 18. bis 27. Dezember. Die Übersicht der Themen und alle bereits gesendeten Beiträge gibt es hier zu lesen und zu hören: Utopien in Politik, Gesellschaft und Kunst − Welche anderen Welten sind möglich?