"Zwei komplett verschiedene Welten"
Der Regisseur Edward Berger hat gerade eine silberne Lola gewonnen – mit seinem in den USA hochgelobten Achtteiler "Deutschland 83". Es geht um einen jungen DDR-Soldaten, der nach Westdeutschland geschickt wird, um die Bundeswehr auszuspionieren.
Burg: Wie haben Sie sich in diese Zeit zurückversetzt, wie haben Sie es geschafft, dass die Details dieser Geschichte stimmen?
Berger: Wir können natürlich nicht alles wissen – 1983 war ich 13 und konnte mich mit der Geschichte sehr gut identifizieren, weil es geht in unserer Serie im Grunde um das politische Erwachen eines jungen Ostgrenzers, der in der NVA arbeitet, Grenzer ist und sozusagen für die Stasi arbeitet und der merkt, als er in den Westen geht und spioniert, dass es vielleicht auch auf beiden Seiten des Systems auch Probleme gibt, und der politisch erwacht. Und das habe ich eben 83 im Grunde genommen, mit 13, auch gehabt. So langsam fingen die Grünen an und man interessierte sich dafür und Demos gegen Pershings und so. Und der Konflikt, wenn man jetzt auch gerade die Nachrichten sieht, von damals, da haben wir viel von sehen müssen, weil die auch teilweise im Film eingeschnitten sind.
Dann spürt man, was für ein wahnsinniges Explosionspotenzial zwischen diesen beiden West- und Ostmächten war. Und da muss man sich natürlich von vielen Leuten beraten lassen, die sich mit der Zeit auskennen – einfach Leute vom Bund, die kamen und uns geholfen haben, Leute aus dem Osten, Leute, die bei der Stasi gearbeitet haben, die gesagt haben, wie Menschen ausspioniert wurden, wie Menschen beschattet wurden. Das haben wir alles aufgesogen und in den Drehbüchern verarbeitet. Und was auch sehr interessant war: John Kornblum, der ehemalige Botschafter der USA in Deutschland, war auch Berater, um das politische Geschehen dieser Zeit so ein bisschen ... Lukas Beckmann von den Grünen, einer der Grünen-Gründer, war ein Berater. Die haben uns alle so einen Einblick in die Politik der Zeit auch noch mal gegeben und das wachgehalten, sodass wir möglichst akkurat das erzählen konnten.
Burg: Inwieweit ist es denn auch eine Geschichte des Culture Clash, also inwieweit war es eine Herausforderung, die BRD quasi mit den Augen eines jungen Agenten aus dem Osten neu zu entdecken?
Berger: Das spielt auch eine große Rolle – über die Musik, über das Essen, über die Anziehsachen. Es spielt eine Rolle eher im Subplot, würde ich sagen, also das ist eine Farbe und sorgt auch manchmal für Humor, dass er mit großen Augen in einen Supermarkt kommt das erste Mal. Das sind auch so humorvolle Momente der Atmosphäre, Momente des Geschmacks, des Geruchs der Serie, die wir da einflechten, trägt aber nicht unbedingt groß zum Plot bei, was es auch nicht muss, sondern zeigt uns die Farbe dieser Zeit, dass das wirklich zwei komplett verschiedene Welten waren. Ich meine, ich bin in Wolfsburg aufgewachsen, das war ganz nah an der Grenze, und für mich war das Ausland. Ich dachte, da steht dieser Stacheldraht und die Selbstschussanlagen und die Grenzer auf ihren Wachtürmen. Und ich war mal ganz verwundert, als wir nach Frankreich gefahren sind, warum die da keine anständige Grenze haben, weil eine Grenze hatte für mich so auszusehen wie zum Osten, und ich hab das gar nicht verstanden, warum der Rest von Europa so frei war. Ich dachte auch, die müssten Grenzen hochziehen, ich hab nicht gedacht, die Grenze müsste weg, sondern ich hab gedacht, warum machen die anderen Länder das nicht, hab diese Frage aber nie so richtig laut gestellt. Ich weiß nur, dass ich das gemerkt habe, als die Mauer fiel. Da hab ich plötzlich erst verstanden, Mensch, das gehört ja zusammen, das hatte ich vorher gar nicht richtig begriffen, ehrlich gesagt.
"Berlin, dieses brodelnde Fass"
Burg: Das Interessante ist ja auch, dass es in gewisser Weise noch einen anderen Blick von außen gibt, nämlich die Serie wurde von einem deutsch-amerikanischen Ehepaar geschrieben, entwickelt: Anna und Jörg Winger. Ist manchmal so ein Blick von außen, also die Position von Anna Winger, wichtig, damit so was Reibung beim Schreiben entsteht?
Berger: Ja, war, glaube ich, sehr wichtig. Sie hat einen sehr schönen Satz gesagt, sie hat gesagt – sie hat ja Kinder mit dem Produzenten zusammen sozusagen, und diese Kinder wachsen amerikanisch-deutsch auf, und sie wollte, dass die auch von diesem reichen Panoptikum der deutschen Geschichte einfach was erzählt bekommen, was erfahren, das spüren, was es da noch gibt außer der Nazizeit, die wir sowieso alle eingetrichtert bekommen oder die ein großer Teil unserer Vergangenheit ist. Das wollte sie im Fernsehen erzählen – die Periode davor, der Krieg, der Zweite Weltkrieg, wurde schon häufig erzählt, glaube ich, im Fernsehen –, und sie wollte jetzt einfach mal ein neues Kapitel der Geschichte aufmachen. Wenn wir jetzt Nord- und Südkorea angucken, das kann man ja gar nicht begreifen, oder Israel und Palästina – kann man ja gar nicht begreifen, dass es da Mauern gibt. Und so war das bei uns auch. Und dass Berlin eigentlich das Zentrum der Weltgeschichte war zu der Zeit. Berlin war einfach diese geteilte Stadt, diese zwei Mächte und dieses brodelnde Fass, was jederzeit zum Explodieren kommen könnte, war einfach ein wahnsinniges Zentrum der Geschichte. Und das wollte sie erzählen, und das war, glaube ich, ein guter Blick von außen, den sie hatte. Die hat das selber aufgesogen, und wir sind damit so wie selbstverständlich aufgewachsen halt.
Burg: Wenn Sie jetzt sich die Serie betrachten, wie würden Sie denn sie selbst beschreiben, ist es Period Piece, Agententhriller?
Berger: Ich würde sagen, es ist ein Agententhriller. Es ist unterhaltend, es ist ein spannender Thriller mit Liebesgeschichten drin und Familiengeschichten, aber hauptsächlich geht es um einen politischen Agententhriller.
Burg: Und wenn Sie sich jetzt die Weltlage anschauen, die Entwicklung in Russland, ist es Ihnen nicht auch ein bisschen unheimlich, wie aktuell die Serie wieder ist?
Berger: Absolut, sie ist total aktuell. Also wenn Putin mit Kampffliegern auf die Grenzen der NATO-Staaten zufliegt und die kurz vorher abdrehen – so war das 83 oder bis in die späten 80er hinein genauso, dass die Amerikaner ihre Flieger über ... Deswegen ist dann unter anderem auch der Airbus der Korean Airlines abgeschossen worden mit Privatpassagieren drin, also zivilen Opfern, weil die Amerikaner eben auch viel über diese Territorien geflogen sind, und die Russen dachten, Mensch, die greifen an oder spionieren, und haben dann eben Schüsse auch ... Irgendwann ist das halt eskaliert, und die haben Schüsse abgefeuert und diesen Flieger zum Absturz gebracht. Das ist im Grunde eine ganz ähnliche Situation mit der Ukrainekrise, mit dem Konflikt zwischen den NATO-Staaten und Russland, ist schon ein ähnliches Machtgehabe momentan.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.