Edward Dolnick: "Die Entschlüsselung der Hieroglyphen"
© Verlag Nagel & Kimche
Der Stein von Rosette und der Wettlauf zweier Forscher
05:50 Minuten
Edward Dolnick
Aus den Englischen übersetzt von Hans-Peter Remmler
Die Entschlüsselung der Hieroglyphen. Zwei rivalisierende Genies, das Alte Ägypten und der Stein von RosetteNagel & Kimche, München 2022400 Seiten
25,00 Euro
Die ägyptischen Hieroglyphen waren lange ein Rätsel, bis Forscher das Fragment einer Stele entdeckten. Meisterhaft erzählt US-Autor Edward Dolnick in seinem Buch vom Wettstreit zweier Gelehrter und der Entstehung unterschiedlicher Schriftsysteme.
Fasziniert standen Forscher vor den Wänden ägyptischer Grabkammern und Tempel, sahen Zeichen und Bilder: Vögel, Schlangen oder auch Menschen. Doch was sollten die Hieroglyphen bedeuten?
Unklar war, ob die Schrift von oben nach unten oder von links nach rechts, andersherum oder gar alternierend gelesen wurde. Unbekannt war die Sprache: Niemand kannte ihren Klang, eine Vokabel oder ihre Grammatik und wusste, ob ein Zeichen einen Buchstaben, eine Silbe oder oder gar ein Wort repräsentierte.
Text in drei Sprachen auf einem Stein
Als ein Offizier aus Napoleons ägyptischer Invasionsarmee 1799 den Stein von Rosette fand, der heute im British Museum in London steht, jubelte die Wissenschaft. Denn das gut ein Meter hohe und 75 Zentimeter breite Fragment einer Stele zeigte drei Inschriften: Oben Hieroglyphen, in der Mitte eine unbekannte Schrift, die sich später als demotisch entpuppte, unten dann 54 Zeilen griechischer Text, der recht problemlos zu lesen war.
So hofften die Gelehrten, davon ausgehend, dass alle drei Texte denselben Inhalt hatten, nun schnell die Hieroglyphen entschlüsseln zu können. Sie irrten sich: Es dauerte noch weitere 20 Jahre.
Zwei Forscher knackten den Code
Dabei war die Ausgangsthese richtig: Die Inschriften bedeuten tatsächlich in allen drei Sprachen ungefähr dasselbe. Sie sind aber keine genauen Übersetzungen, sondern geben lediglich den Inhalt wieder, und zwar so, wie Edward Dolnick treffend schreibt, wie drei Menschen, die denselben Film gesehen haben, ihn unterschiedlich nacherzählen würden.
Zwei Forscher, der Engländer Thomas Young, und der Franzose Jean-Francois Champollion, knackten dennoch den Code. Nicht gemeinsam, sondern in Konkurrenz zueinander.
Am Ende lag Champillion vorn. Der war ein armer, von der ägyptischen Hochkultur besessener Wissenschaftler, dessen Kenntnisse der ägyptischen Geschichte und koptischen Sprache schließlich entscheidend waren.
Young hingegen war ein wohlhabender polyglotter Universalgelehrter mit eher sportlichem Ehrgeiz, dem zuerst auffiel, dass in einer sogenannten Kartusche – einem eingerahmten Schriftzeichen – der Name des König Ptolemaio lesbar war.
Schwieriger Stoff eingängig vermittelt
Mit Witz und gutem Gespür für Vergleiche, mit lebendigen Beschreibungen, akribisch und detailverliebt, aber auch mit dem Blick für große historische Zeiträume – die 2000-jährige Geschichte des Alten Ägypten – beschreibt Dolnick den Wettlauf der beiden Gelehrten.
Er berichtet von hoffnungsfrohen Ansätzen und klugen Vermutungen, von Irrtümern und Sackgassen und schweift immer wieder kenntnis- und lehrreich ab: Zur Entschlüsselung anderer Schriften und Codes wie der kretischen Linear B oder der sumerischen Keilschrift, zur Entstehung und Entwicklung unterschiedlicher Schriftsysteme, aber auch zu Forschungsexpeditionen und kolonial-räuberischen Grabungen in Ägypten.
Fast lässig jongliert er mit dieser Materialfülle und ihm gelingt so, den schwierigen Stoff eingängig zu vermitteln – meisterhaft.