Egoismus als Ausweg aus der Klimakrise
Der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn redet Klartext. Schon auf den ersten Seiten seines Buches macht er deutlich, was er von der Klimapolitik der Bundesrepublik hält: gar nichts. Sie ist seiner Ansicht nach sinnlos, kostet den deutschen Steuerzahler Unsummen und verhindert auch nicht im Mindesten den weiteren Anstieg des weltweiten CO2-Ausstoßes. Die Förderung alternativer Energien: falsch und kontraproduktiv.
Starker Tobak eines Vertreters der neoliberalen Wirtschaftsrichtung und eines angesehenen Ökonomen mit großer Reputation. Dabei warnt Hans-Werner Sinn vehement vor den Gefahren des Klimawandels, beschreibt detailliert die erneuerbaren Energien.
Doch Skepsis ist angebracht, denn der Chef des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung liebt allzu oft Halbwahrheiten. So behauptet Sinn wiederholt, dass die schönsten Naturlandschaften Norddeutschlands durch Windräder entstellt seien, die darüber hinaus jährlich 100.000 Vögel das Leben kosteten. Die Zahl - angeblich vom Naturschutzbund Deutschland - wird von dem dementiert. Er rechnet mit 10.000.
Außerdem unterschlägt der Ökonom, dass dank der zentralen Kohle- und Atomkraftwerke 36.000 Kilometer lange Trassen mit Höchstspannungsleitungen (das ist etwa der Erdumfang) und tausende Hochspannungsmasten alle deutschen Landschaften zerschneiden. Ihnen fallen laut Elektrizitätswirtschaft jährlich über vier Millionen Vögel zum Opfer.
Hans-Werner Sinn treibt populistische Stimmungsmache. Ähnliche Vereinfachungen ziehen sich durch das ganze Buch. Bei der Diskussion über Atomkraft lässt er Terrorgefahren und Verbreitung von Atomwaffen ebenso unter den Tisch fallen wie die früheren Milliardensubventionen.
Die durchaus zu kritisierende derzeitige Biosprit-Produktion attackiert Sinn unter dem Schlagwort vom Teller der Armen in den Tank der Reichen und geißelt sie als Auslöser der Hungeraufstände der letzten zwei Jahre. Polemisch könnte man erwidern, dass das Brot vom Teller der Armen derzeit als Steak auf Professors Sinns Teller landet. Konkret: der stetig steigende Fleischverbrauch hat zu einer großen Ausweitung der Futtermittelproduktion auf Kosten des Nahrungsanbaus geführt.
Dafür wird der Urwald weltweit vorrangig gerodet, noch nicht für den Biosprit. Für Hans-Werner Sinn ist der Emissionshandel daran schuld, dass der angebliche deutsche Sonderweg nur Steuergelder verschlingt, ohne dem Klimaschutz zu nützen. Seine These: Was Deutschland an Kohlendioxid einspart, können andere Staaten umso ungehemmter wieder in die Atmosphäre blasen, da die Gesamtmenge ja gleich bleibt.
Das liegt Sinns Ansicht nach auch daran, dass die Eigentümer der fossilen Brennstoffe ihre Reserven möglichst rasch auf den Markt werfen, um Restriktionen zuvorzukommen. Jede Einsparung an einer Stelle führt also nur zu noch stärkerer Belastung des Weltklimas.
Schlussfolgerung: nur ein weltweiter Emissionshandel, bei dem alle Staaten sich zu Reduktionen verpflichten, notfalls unter Androhung von Sanktionen, hat für Hans-Werner Sinn überhaupt Aussicht auf Erfolg. Dann werden sich Energiesparmaßnahmen und erneuerbare Energien von ganz allein ohne Förderung durchsetzen. Mit gutem Beispiel voranzugehen, wie es die Bundesrepublik macht, um gerade die Schwellenländer zum Mitmachen zu bewegen, hält der Wirtschaftswissenschaftler für illusionär. Dem stehen seiner Ansicht nach die Marktgesetze entgegen.
Diese ganze Argumentation ist nur dann stimmig, wenn man Sinns wirtschaftsideologische Grundvoraussetzung akzeptiert und die lautet, dass die "individuelle Vorteilssuche das generelle Erfolgsgeheimnis der marktwirtschaftlichen Ordnung’ ist. Die Reduktion wirtschaftlichen Handels auf Egoismus verneint alle anderen Motive und jede Zukunftsplanung. Nach mir die Sinnflut. Doch das ist kein Naturgesetz.
Genau diesen Anschein aber erweckt der Autor mit zahlreichen mathematischen Modellen. Er tut so, als ob die Wirtschaft quasi naturwissenschaftlichen Gesetzen folgt. Nur so kann er seinen Buchtitel "Das grüne Paradoxon" rechtfertigen. Quasi naturgesetzlich veranlassen die weltweiten Klimaschutzanstrengungen die Eigentümer fossiler Ressourcen, diese rascher abzubauen, um Verboten zuvorzukommen.
Ihre Gewinne durch eine Quellensteuer zu begrenzen, wäre für Hans-Werner Sinn die einzige Möglichkeit, dieser Gesetzmäßigkeit zu entgehen. Das heißt konkret, die auch von Professor Sinn geforderten drastischen CO2-Reduktionen auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Hans-Werner Sinn: Das grüne Paradoxon - Plädoyer für eine illu-sonsfreie Klimapolitik
Econ Verlag Berlin 2008
477 Seiten, 24,90 Euro
Doch Skepsis ist angebracht, denn der Chef des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung liebt allzu oft Halbwahrheiten. So behauptet Sinn wiederholt, dass die schönsten Naturlandschaften Norddeutschlands durch Windräder entstellt seien, die darüber hinaus jährlich 100.000 Vögel das Leben kosteten. Die Zahl - angeblich vom Naturschutzbund Deutschland - wird von dem dementiert. Er rechnet mit 10.000.
Außerdem unterschlägt der Ökonom, dass dank der zentralen Kohle- und Atomkraftwerke 36.000 Kilometer lange Trassen mit Höchstspannungsleitungen (das ist etwa der Erdumfang) und tausende Hochspannungsmasten alle deutschen Landschaften zerschneiden. Ihnen fallen laut Elektrizitätswirtschaft jährlich über vier Millionen Vögel zum Opfer.
Hans-Werner Sinn treibt populistische Stimmungsmache. Ähnliche Vereinfachungen ziehen sich durch das ganze Buch. Bei der Diskussion über Atomkraft lässt er Terrorgefahren und Verbreitung von Atomwaffen ebenso unter den Tisch fallen wie die früheren Milliardensubventionen.
Die durchaus zu kritisierende derzeitige Biosprit-Produktion attackiert Sinn unter dem Schlagwort vom Teller der Armen in den Tank der Reichen und geißelt sie als Auslöser der Hungeraufstände der letzten zwei Jahre. Polemisch könnte man erwidern, dass das Brot vom Teller der Armen derzeit als Steak auf Professors Sinns Teller landet. Konkret: der stetig steigende Fleischverbrauch hat zu einer großen Ausweitung der Futtermittelproduktion auf Kosten des Nahrungsanbaus geführt.
Dafür wird der Urwald weltweit vorrangig gerodet, noch nicht für den Biosprit. Für Hans-Werner Sinn ist der Emissionshandel daran schuld, dass der angebliche deutsche Sonderweg nur Steuergelder verschlingt, ohne dem Klimaschutz zu nützen. Seine These: Was Deutschland an Kohlendioxid einspart, können andere Staaten umso ungehemmter wieder in die Atmosphäre blasen, da die Gesamtmenge ja gleich bleibt.
Das liegt Sinns Ansicht nach auch daran, dass die Eigentümer der fossilen Brennstoffe ihre Reserven möglichst rasch auf den Markt werfen, um Restriktionen zuvorzukommen. Jede Einsparung an einer Stelle führt also nur zu noch stärkerer Belastung des Weltklimas.
Schlussfolgerung: nur ein weltweiter Emissionshandel, bei dem alle Staaten sich zu Reduktionen verpflichten, notfalls unter Androhung von Sanktionen, hat für Hans-Werner Sinn überhaupt Aussicht auf Erfolg. Dann werden sich Energiesparmaßnahmen und erneuerbare Energien von ganz allein ohne Förderung durchsetzen. Mit gutem Beispiel voranzugehen, wie es die Bundesrepublik macht, um gerade die Schwellenländer zum Mitmachen zu bewegen, hält der Wirtschaftswissenschaftler für illusionär. Dem stehen seiner Ansicht nach die Marktgesetze entgegen.
Diese ganze Argumentation ist nur dann stimmig, wenn man Sinns wirtschaftsideologische Grundvoraussetzung akzeptiert und die lautet, dass die "individuelle Vorteilssuche das generelle Erfolgsgeheimnis der marktwirtschaftlichen Ordnung’ ist. Die Reduktion wirtschaftlichen Handels auf Egoismus verneint alle anderen Motive und jede Zukunftsplanung. Nach mir die Sinnflut. Doch das ist kein Naturgesetz.
Genau diesen Anschein aber erweckt der Autor mit zahlreichen mathematischen Modellen. Er tut so, als ob die Wirtschaft quasi naturwissenschaftlichen Gesetzen folgt. Nur so kann er seinen Buchtitel "Das grüne Paradoxon" rechtfertigen. Quasi naturgesetzlich veranlassen die weltweiten Klimaschutzanstrengungen die Eigentümer fossiler Ressourcen, diese rascher abzubauen, um Verboten zuvorzukommen.
Ihre Gewinne durch eine Quellensteuer zu begrenzen, wäre für Hans-Werner Sinn die einzige Möglichkeit, dieser Gesetzmäßigkeit zu entgehen. Das heißt konkret, die auch von Professor Sinn geforderten drastischen CO2-Reduktionen auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Hans-Werner Sinn: Das grüne Paradoxon - Plädoyer für eine illu-sonsfreie Klimapolitik
Econ Verlag Berlin 2008
477 Seiten, 24,90 Euro