Reporterlegende Egon Erwin Kisch

Ein großes Herz für den Fußball

04:51 Minuten
Der Schriftsteller Egon Erwin Kisch um 1930
Der Schriftsteller Egon Erwin Kisch (hier um 1930) liebte das Fußballspiel. © dpa / picture alliance / IMAGNO / Austrian Archives
Von Sven Crefeld · 16.01.2022
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Kaum zu glauben, aber Fußball hatte einmal den Reiz des Verbotenen. Vor 1900 lehnten viele Erzieher und Eltern das Spiel ab – sie nannten es „Fußlümmelei“. Davon berichtete der berühmte Journalist und Fußballfan Egon Erwin Kisch.
Er kannte keine Champions League, einen Video-Assistenten gab es nicht, auch keine Torhymne. Und was ein Auswärtstrikot sein soll, hätte der spätere „rasende Reporter“ nicht zu sagen gewusst. Doch der Prager Realschüler Egon Kisch liebte das Fußballspiel von A bis Z – zu einer Zeit, als es in Europa gerade erst populär wurde, in den 1890er-Jahren.
Kisch gehörte zu den vielen Pennälern in Prag, die an der „englischen Krankheit“ litten: dem Ballfieber, das konservative Lehrer und die Turner bekämpften. Wie der dribbelnde Jugendstil in seiner Heimatstadt triumphierte, beschreibt Kisch in dem Buch „Die Abenteuer in Prag“.

Spielen unter Pseudonym

Überall spielten wir. ‚Mein Feld ist die Welt.‘ Im Stadtpark fing es an. Der Ball war noch kein echter. Entweder eine Fetzenkugel. Oder ein Gummiball ... oder ein wirklicher Tennisball. Man bedurfte keiner Goalnetze, keiner Querpfosten, keines Goalrichters.

Mit den Kameraden redete Kisch eifrig über die neuen Zauberwörter: Off-Side, Centern, Elfyardstoß, Corner, Shooten. Sie kickten von zwei Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit. Dabei ignorierten sie Verbote und Warnungen, riskierten „alle Todesstrafen, die die Schule zu vergeben hat“, wie Kisch sich erinnerte.
In der Zeitung wollten die Spieler nur unter Pseudonym erscheinen. Manch einer klebte sich einen Schnurrbart an, um von seinen Paukern nicht erkannt zu werden.

Kisch war linker Außenstürmer

„Verborgen lebten wir unserem Gottesdienst, denn die Alten hassten ihn und wollten ihn ausrotten. ‚Verrohung der Jugend‘ schrien die Ethiker. Ein gefährliches Spiel‘, ängstigten sich die Eltern‚ einseitige Ausbildung der Fußmuskulatur‘, dozierten die Mediziner. Wir lachten. Wir scherten uns um keine Kritik und gingen zum Spiel.“
Kisch war linker Außenstürmer des „Deutschen Ball-Clubs Sturm“, für den er bis 1913 auch Schiedsrichter und Funktionär war. Außerdem redigierte er die kleine Fußballzeitung seiner Schulklasse.
Ob ihm da in den Sinn kam, dass hier ein Sujet für die Literatur auf den Anpfiff wartete? Auch als beseelter Dichter wusste er, wo das Tor steht. Die Fußballliteratur, die anfangs mit Ignoranz und Missverständnissen gestraft war, verdankt Kisch diese Passage:

Man träumte, ein Großer zu werden im Fußballreich. Lief abends glühend und allein durch die Gassen, einen imaginären Ball vor den einwärts gerichteten Fußspitzen ein imaginäres Publikum, tausendköpfig, zehntausendköpfig, feuerte an ein imaginärer Goalmann lauerte, kauerte, schauerte mit unendlich weit geöffneten Armen und geballten Fäusten, aber er konnte den übermächtigen, haarscharfen und gut gefälschten Stoß nicht halten. Goal!

Als Nostalgiker der unschuldigen Anfänge spürte Kisch, welche Gefahren dem Fußball drohten: Vereinsmeierei, Erfolgswahn und „chauvinistisches Beinstellen“.

Kisch und sein krasser Fußballirrtum

Bald schon befürchtete er, dass der einst verfemte Sport salonfähig werde – Fußball nicht mehr als Religion einer verschworenen Gemeinde, sondern als ein modisches Spiel für Hinz und Kunz. 1912 schreibt er einen Nachruf: Die Regierungszeit des Fußballs sei beendet, der König sei tot.
Wie kommt Kisch zu diesem krassen Irrtum? Nun, er ist erschüttert von der Nachricht, dass Gymnasiasten erlaubt wird, in Fußballklubs einzutreten.

Gerade jetzt, da der fußballspielenden Jugend auch der letzte Hauch des Märtyrertums genommen ist, da nicht mehr der romantische Reiz des Verbotenen besteht, wird die Jugend aufhören, mit ungeteilter Begeisterung bei der Sache zu sein.

Und noch eine falsche Prophezeiung: 1928 schreibt Kisch einen Artikel „Der gefunkte Fußball“ und sagt darin voraus, dass die prickelnde Stadionatmosphäre übers Radio nicht transportiert werden könne. Welcher Rundfunksprecher, so fragte er, wäre imstande, diese Erregung auf seine Hörer zu übertragen?
Kisch konnte die Bundesliga-Schlusskonferenz der ARD natürlich noch nicht voraushören. Doch als Chronist der Kindertage des Fußballs ist er eine Klasse für sich. Die Champions League sozusagen.

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