Egon Schiele vor 125 Jahren geboren

Das Enfant terrible des Wiener Jugendstils

Ein Gemälde von Egon Schiele bei einer Ausstellung in der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt am Main.
Ein Gemälde von Egon Schiele bei einer Ausstellung in der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt am Main. © dpa / picture alliance / Christine Kokot
Von Carmela Thiele |
Bereits mit 20 Jahren fand Egon Schiele zu einem markanten Zeichenstil. Er setzte sich mit seinen erotischen Aktdarstellungen über gesellschaftliche Tabus hinweg und ließ sich durch Geldsorgen und elende Verhältnisse nicht aufhalten. Vor 125 Jahren wurde er geboren.
"Ein ewiges Träumen voll bangem Lebensüberschuss - rastlos -, mit bangen Schmerzen in der Seele. Ich bin von den Vornehmsten der Vornehmste - und von Rückgebern der Rückgebigste. - Ich bin Mensch, ich liebe den Tod, und ich liebe das Leben."
Egon Schiele lässt in seinem Gedicht "Selbstbild" aus dem Jahre 1910 ein zentrales Motiv seines Schaffens anklingen: die Frage nach dem Ich. Der 20-Jährige hatte damals bereits an der Wiener Akademie studiert, sich mit seinem konservativen Lehrer überworfen und war eigene Wege gegangen. Er mietete ein Atelier, zeichnete vor einem großen Spiegel, inszenierte sich selbst theatralisch in exzentrischen Posen. 170 Selbstbildnisse, Zeichnungen und Malereien auf Papier sind überliefert. Der Kunstkritiker Arthur Roessler über seinen Freund:
"Er war von schlanker, geschmeidiger Gestalt, langgefingerten, knöchernen Händen, einem von langsträhnigem, wildzausigem, dunklen Haar umrahmten, bartlosen und sonnverbrannten Antlitz mit breiter, querfaltig gefurchter, kantiger Stirn."
Der junge Künstler hatte seinen Berufswunsch gegen den Willen seiner Familie durchsetzen müssen. Dabei war seine Begabung offensichtlich. Egon Schiele wurde am 12. Juni 1890 in Niederösterreich als Sohn eines Bahnbeamten geboren. Bereits als Kind bannte er die in Tulln vor seinem Elternhaus haltenden Züge auf Papier. Im Gymnasium beschwerten sich zunächst die Lehrer, er würde den Unterricht durch Zeichnen stören. Später förderten sie ihn.
"Ein unermüdlicher Arbeiter, wurde er als Zeichner erstaunlich schnell selbstständig, fast virtuos. Der treffsichere Strich floss ihm aus dem Handgelenk", erinnerte sich Roessler, den Schiele bei seiner ersten Ausstellung kennenlernte.
Breites Publikum von seinen Akten abgestoßen
Sein Freund vermittelte ihm erste Sammler, doch das breite Publikum war von den offensiven Posen seiner Akte abgestoßen. Der junge Maler war von Sexualität als Lebensenergie fasziniert. Als er sich mit seinem Lieblingsmodell Wally Neuzil nach Krummau in Böhmen zurückzog, löste er bei der Landbevölkerung Empörung aus; seine wilde Ehe wurde nicht akzeptiert. In Neulengbach, Niederösterreich, wohin er auswich, stießen seine Akte pubertierender Mädchen auf Unverständnis. Man warf ihm nun sogar Verführung Minderjähriger vor, die Polizei nahm ihn fest.
"Ich bin noch ganz zerrüttet. Bei der Verhandlung wurde das Blatt, dieses welches bei mir aufgehängt war, verbrannt. Klimt will irgendetwas tun, er sagte: Da möchte heute dem und morgen dem das passieren, da könnten wir gar nichts mehr machen was wir wollten."
Schiele in einem Brief an Roessler. Nach einer längeren Reise kehrte Schiele zurück nach Wien. Sein Werk erfuhr nun langsam Anerkennung. 1912 war er auf der Sonderbund-Ausstellung in Köln vertreten, einer der ersten großen Kunstschauen der damaligen Avantgarde. Auch international wurden seine Arbeiten gezeigt, zu denen auch Stadtansichten und Gemälde gehörten, in denen Schiele existenzielle Erfahrungen wie Geburt und Tod thematisierte. Während des Ersten Weltkriegs diente der Künstler als Militärzeichner, wurde aber nicht an die Front geschickt. Umso tragischer erscheint rückblickend sein früher Tod. Im Oktober 1918 starb Schiele im Alter von 28 Jahren an der Spanischen Grippe. Seine Zeichnungen jedoch wurden zu Sinnbildern einer Epoche. Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina in Wien:
"Egon Schiele konstruiert, er inszeniert. Und dieses Theater, das er vorführt, ist deswegen nicht oberflächlicher geworden, indem es nicht den Abdruck des Lebens darstellt. Sondern er findet eben auf eine geniale Weise eine Symbolfigur für jene Befindlichkeit der Epoche, die uns heute so nahe ist: Das Alleinsein, das Ausgeliefertsein, eine existenzielle Ortlosigkeit, letzten Endes auch dieses pessimistische Weltbild Schieles, dass es keine Brücke zwischen den Menschen gibt, ist es, was wahrscheinlich nicht nur seine Bilder prägt, sondern ihn heute uns so nah erscheinen lässt."
Inszenierte Selbstporträts
Die jüngere Kunstwissenschaft attestierte seinen inszenierten Selbstporträts sogar "performativen Charakter", seinen unkonventionellen Aktdarstellungen die Auflösung der geschlechtlichen Identität. So gilt das Enfant terrible des Wiener Jugendstils heute auch als Pionier der Postmoderne. Egon Schiele freilich bedeuteten solche Zuschreibungen wenig:
"Ich glaube, dass es keine ‚moderne' Kunst gibt, dass es nur Kunst gibt, und die ist immerwährend."