Ehegattensplitting

Verheiratet wider Willen?

Ein Brautpaar aus Strohballen in Bayern.
Ein Brautpaar aus Strohballen in Bayern. © picture alliance / dpa / Foto: David Ebener
Von Max Thomas Mehr · 29.12.2014
Nach den Feiertagen steht für die einen fest, wir lassen uns scheiden. Andere wollen vor dem Jahreswechsel schnell noch heiraten. Die Gründe dafür sind nicht immer romantisch. Ganz im Gegenteil wie der Journalist Max Thomas Mehr auch aus eigener Erfahrung weiß.
Nun hat es mich doch noch erwischt: Das Heiratsfieber im Dezember. Jahrelang habe ich gelästert, wenn Freunde kurz vor Silvester zum Standesamt rannten, um für das ablaufende Jahr rückwirkend Steuern zu sparen. Für mich war Heiraten immer uncool. Bürgerlich. 19. Jahrhundert. Statusgehabe. Mehr Schein als Sein. "Bis dass der Tod euch scheidet" – daran glaubt doch nicht einmal der Papst, so meine Rede.
Und nun gehöre ich auf einmal auch zu den Hochzeitern. Der Grund: Die Steuergesetze hinken unseren Lebensverhältnissen um Jahrzehnte hinterher. Jahrelang haben wir den dadurch entstehenden finanziellen Schaden augenzwinkernd hingenommen – wegen der "Freiheit". Jetzt nicht mehr, wir sind es leid. Werde ich dadurch vom Jakobiner zum Reaktionär?
Das fehlende Geld
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe meine Frau. Seit achtzehn Jahren sind wir eine ganz "normale" Familie, haben zwei Kinder, die schon fast flügge sind. Das alles ohne Trauschein. Für diese Freiheit haben wir Jahr für Jahr einen hohen Preis gezahlt – etliche Euro Steuern mehr, als wenn wir verheiratet gewesen wären. Das Geld fehlt uns auch für die Erziehung der Kinder. Je länger es dauert, desto mehr. Deutlich mehr jedenfalls, als die gerade einmal wieder heiß diskutierte kalte Progression auffrisst.
Dann lieber doch eine "Trau-Schein-Ehe" – und ein Plädoyer dafür, unser Sozialsystem den tatsächlichen Lebensverhältnissen endlich anzupassen. Davon ist es nämlich weit entfernt. Mit der eingetragenen Partnerschaft für Schwule und Lesben ist es eben nicht getan. Erstaunlich, dass sich die immer größer werdende Zahl von Hetero-Paaren mit Kindern aber ohne Trauschein nicht längst eine ebenso moderne eingetragene Lebenspartnerschaft erstritten hat, vor allem aber die steuerlichen Erleichterungen für Familien mit Kindern. Das ist ein Privileg, das auch heute noch den Verheirateten – auch Kinderlosen – vorbehalten ist.
Wer diesen Vorteil genießen will, muss die überhöhte Symbolik von Hochzeit und Eheschließung in Kauf nehmen – reale Patchwork-Biografien hin und wirkliche Patchwork-Familien her.
Die Niederlande als Vorbild
Das muss sich ändern – zum Beispiel wie in den Niederlanden. Dort werden Paare, ob verheiratet oder nicht, ob gleichgeschlechtlich oder hetero, beim Finanzamt gemeinsam veranlagt, wenn sie ein halbes Jahr zusammenleben. Ein Häkchen auf der Steuererklärung – kein Trauschein. Wenn die so zusammenlebenden Paare Kinder bekommen und großziehen, findet das selbstverständlich Berücksichtigung beim Steuersatz. Keine Steuervermeidungsoptimierung für Kinderlose durch Ehegattensplitting, dafür aber ein angemessener Ausgleich für Windeln, 18 Jahre lang mindestens zweimal jährlich neue Schuhe und Klamotten, Fahrräder, Laptop, Kino, Bücher, Klavierstunde und Skiferien – von der täglichen Versorgung einmal ganz abgesehen. Ein Ausgleich, der deutschen Eltern in diesem Ausmaß eben nur gewährt wird, wenn sie den Trauschein in Kauf nehmen.
Inzwischen werden in den Niederlanden sogar die Rentenansprüche von Partnern, die zusammen leben, untereinander aufgeteilt – wenn sie ein halbes Jahr in einem Haushalt leben. Wer das in Deutschland haben will, muss verheiratet sein. Es gibt sogar Pensionskassen, bei denen der Trauschein nach dem 60. Lebensjahr für einen Versorgungsausgleich gar nicht mehr zählt. Grotesk.
Das Hochzeitsfieber zum Jahresende braucht kein Mensch. Was wir brauchen, ist ein Sozialsystem, das unserer Lebenswirklichkeit gerecht wird. Und wem zu seinem Glück eine Hochzeit fehlt, der kann ja weiterhin heiraten – in der Kirche, zum Beispiel.


Max Thomas Mehr
, Jahrgang 1953, ist politischer Journalist und Fernsehautor. Er hat die Tageszeitung "taz" mitbegründet. Für das Drehbuch des Films "Sebnitz: Die perfekte Story" (Arte) wurde der Dokumentarfilmer mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.
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