Ehemaliger General wirft Bundeswehrführung Verdrängung vor
Der ehemalige Bundeswehrgeneral Günter Kießling hat der Bundeswehrführung vorgeworfen, die sogenannte Kießling-Affäre verdrängt zu haben. "Aus dem großen Bereich der Inneren Führung scheint der Name Kießling und der Vorgang getilgt zu sein", sagte Kießling. Dem ehemaligen Verteidigungsminister Manfred Wörner, der ihn vor 25 Jahren wegen angeblicher Homosexualität entlassen hatte, warf er Missachtung der Menschenwürde vor.
Klaus Pokatzky: Es dauerte einige Monate, bis er an die Öffentlichkeit drang - deshalb wird der Skandal um den Viersternegeneral Günter Kießling auch in den Januar 1984 datiert. Doch es war heute vor 25 Jahren, also am 15. September 1983, dass Günter Kießling nach Bonn ins Verteidigungsministerium befohlen wurde, wo ihm sein Minister Manfred Wörner persönlich vorwarf, er sei erpressbar wegen homosexueller Neigungen, er sei daher ein Sicherheitsrisiko - und er müsse entlassen werden. Der General wehrte sich; der Minister glaubte nicht ihm, sondern zwielichtigen Zeugen und schlampigen Ermittlungsbeamten. Am Ende stand der Minister kurz vor der Entlassung und der General erhielt seinen ehrenvollen Abschied.
Danach werden wir Günter Kießling selbst befragen, aber erst führt uns Burkhard Schmidtke noch einmal 25 Jahre zurück und schildert ein Stück, das zwischen Schmierenkomödie und Trauerspiel angesiedelt ist:
Die "Affäre Kießling" - Vor 25 Jahren wurde Bundeswehrgeneral Kießling fälschlich verdächtigt
Klaus Pokatzky: Burkhard Schmidtke erinnerte an den Skandal um General Günter Kießling, den ich nun herzlich im Studio willkommen heiße. Herr Kießling, wenn Sie diese Stimmen jetzt wieder hören, was geht da in Ihrem Kopf, was geht in Ihrem Herzen vor?
Günter Kießling: Als ich zu meiner totalen Überraschung mit diesen Vorwürfen konfrontiert wurde, habe ich natürlich nicht im Entferntesten ahnen können, welche Dimensionen dieser Skandal einmal annehmen würde. Bei dieser ersten Konfrontation war ich so sicher, dass es sich nur um ein Missverständnis handeln könnte und dass dies in ganz kurzer Zeit eine Klärung zu meinen Gunsten annehmen würde, zumal ich meinen Vorgesetzten, den Minister, seit Jahren gut kannte und zu ihm, darf ich sagen, auch eigentlich ein persönliches, mitunter geradezu herzliches Verhältnis hatte.
Pokatzky: Wieso hat es dann noch Monate gedauert vom September 1983 bis zum Januar 1984, bis dieser Skandal an die Öffentlichkeit kam und dann ja sehr schnell auch zu einer Mediensensation wurde?
Kießling: Einfach daher, dass dieser Minister offensichtlich es nicht fertig gebracht hat, eine Klärung herbeizuführen. Und wie sich dann später im Januar 1984 herausstellte, wohl, aus was für Gründen auch immer, sich hat dazu verleiten lassen, mir irgendetwas nachzuweisen.
Pokatzky: Es gibt ja mehrere Ebenen bei diesem Skandal. Da ist einmal das Schwulenthema und die Art, wie mit einem verdienten General umgegangen wurde.
Kießling: Wobei es gar nicht mit einem verdienten General, sondern mit einem Soldaten. Jeder hat das Recht, das ist ja unsere Vorstellung von innerer Führung. Aus der heutigen Sicht nach 25 Jahren, was bei mir gewesen ist, kann ich nur sagen, war dies ein schwerer Verstoß gegen die so viel gepriesenen Grundsätze der inneren Führung.
Pokatzky: Innere Führung bedeutet die Grundphilosophie der Bundeswehr, sozusagen die Existenzphilosophie, zu der gehört das Bild des Staatsbürgers in Uniform, eines mündigen Staatsbürgers, mit dem menschenwürdig umgegangen wird?
Kießling: Man könnte sagen, dass diese Grundsätze der inneren Führung, die wir ja immer wieder zu Recht preisen, dass die im Prinzip nichts anderes sind als eine weite Interpretation des Artikels eins des Grundgesetzes, nämlich des Schutz der Menschenwürde.
Pokatzky: Die Würde des Menschen ist unantastbar, sie zu achten und schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Kießling: Dagegen ist in diesem Fall unentwegt verstoßen worden.
Pokatzky: Aber in einer Art und Weise, die wenn ein Krimiautor sie so beschrieben hätte, dass ein Minister die zwielichtigsten Zeugen gegen Sie einfliegen lässt und sie persönlich vernimmt, ein Krimiautor, der das geschrieben hätte, dem hätte man das Manuskript nicht abgenommen. Hat dieser Minister, der seinen "Zeugen" mehr geglaubt hat als Ihnen, Herr Kießling, hat dieser Minister sich jemals bei Ihnen entschuldigt? Hat Manfred Wörner das getan?
Kießling: Er hat sich nicht entschuldigt, er hat es bedauert und hat zu Recht bedauert am Ende, dass er hier diesen Verführungen aufgesessen ist, so gegen vorzugehen. Aber deshalb ist es ja ein Skandal geworden, und das ist nun einmal in einer parlamentarischen Demokratie so, dass die Opposition zu Recht diesen Fall aufgegriffen hat und die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses herbeigeführt hat.
Pokatzky: Das war die parlamentarische Aufarbeitung. Dann sind Sie aber doch im Grunde von den Medien gerettet und rehabilitiert worden, die dann wirklich ermittelt haben, was der militärische Abschirmdienst eben nicht getan hat, oder?
Kießling: Ja, was man aber doch etwas differenziert sehen muss. Ich meine, erst war das natürlich nicht für alle, aber für die meisten Medien eine willkommene Schlagzeile, die auch ganz im Sinne der Vorwürfe interpretiert wurde. Aber es gab eben andere, die von vorne dieser Deutung misstrauten. Und ich muss einfach hervorheben, kaum eine andere Zeitung hat von vornherein sich so tief in diesem Fall engagiert wie der "Spiegel", der ja, wenn ich mich recht erinnere, dreimal die Titelseite diesem Fall gewidmet hat und Rudolf Augstein selbst in mehreren Leitartikeln dieser Frage nachgegangen ist.
Pokatzky: Sie haben vor 15 Jahren, also zehn Jahre nach dem Skandal, ihre Lebenserinnerung geschrieben unter dem Titel "Versäumter Widerspruch". Da beschreiben Sie nach Ihrer Geburt 1925, ein Soldatenleben von der Pike auf, als Unteroffizier in Dresden, an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg, Ihr Studium als einer der ersten Studenten an der freien Universität Berlin nach dem Kriege, dass Sie mit dem Dr. rel. pol. abgeschlossen haben. Dann Ihre Karriere bei der Bundeswehr bis ganz nach oben, nämlich als stellvertretender NATO-Oberkommandierender und ganz am Ende Ihres Buches kommt ein kleines Kapitel über den Skandal, der das Ganze ja noch relativ dezent beschreibt. Hat da doch der letztlich immer noch loyale Soldat geschrieben?
Kießling: Ich habe niemals mich irgendwie entfernt von der Loyalität zu diesem Staat und der Loyalität zu dieser Bundeswehr und habe versucht, sie auch in dieser Form zu wahren.
Pokatzky: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum so viele ja durchaus auch intelligente Leute in Zivil, als Politiker oder eben in Uniform als Militärs so versagt haben, so versagen konnten? Wörner war immerhin Jurist.
Kießling: Sicher. Und er hat sich auch immer darauf berufen und er kommt ja in einem nicht umhin, dass er, was er als Disziplinarvorgesetzter, der er war, der höchste, und was wir von jedem verlangen, bis unten zu einem Kompaniechef, dass er nach bestem Wissen und Gewissen die beiden Standpunkte, die Vor- und Nachteile, das Für und Wider abzuwägen hat. Und das hat er offensichtlich nicht getan und er hat sich verleiten lassen, wer weiß aus welchem Grunde, nur danach zu suchen, was den Betreffenden, der ich hier war, belastete. Und zum Schluss ist er kläglich daran gescheitert.
Pokatzky: Ich spreche mit General a.D. Günter Kießling. Heute wäre ein schwuler General kein Sicherheitsrisiko mehr. Seit acht Jahren gibt es bei der Bundeswehr rechtliche Vorschriften, die die Diskriminierung von homosexuellen Soldaten nicht nur verbieten, sondern die auch disziplinarische Maßnahmen gegen Leute androhen, die Schwule mobben. Die wichtigsten Verantwortlichen für diesen Skandal haben danach stramme Karriere gemacht. Der Generalinspektor Wolfgang Altenburg wurde Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, Verteidigungsminister Wörner, der seine Entlassung angeboten hatte, wurde nicht vom Bundeskanzler Helmut Kohl entlassen, sondern stieg später sogar zum NATO-Generalsekretär auf. Herr Kießling, das muss Sie doch ganz schön aufgeregt haben?
Kießling: Ich muss sagen, mich hat es nur verwundert, weil wir immer von Verantwortung reden und an diesem Fall ist nun einmal klar geworden, dass wir uns offensichtlich nicht darüber im Klaren sind, dass Verantwortung mehr bedeutet als nur ein Lippenbekenntnis abzulehnen. Ich muss aber in diesem Zeitpunkt bei allen Vorwürfen, die ich gegen den damaligen Generalinspekteur erhoben habe, er sich vor fünf Jahren, anlässlich des 20. Jahrestages in einem Gespräch bei mir entschuldigt hat für sein Verhalten. Ich habe diese Entschuldigung angenommen, habe aber damals gesagt, was ich auch heute wiederhole, dies ändert natürlich nichts an den Vorgängen, wie sie 1984 waren.
Aber der wirklich Hauptverantwortliche ist nun einmal der jeweils im Amt befindliche Minister und die Frage ist offensichtlich bis heute immer noch nicht richtig beantwortet, nicht nur nach meinen Vorstellungen. Ein Minister, dem im Amt eine solche Fehlentscheidung wiederläuft, der kann seiner Verantwortung eigentlich nur gerecht werden, indem er zurücktritt. Und jetzt kommt eigentlich ein ganz entscheidender Punkt. Damals im parlamentarischen Untersuchungsausschuss wurde der Bundeskanzler aufgefordert, dieses Rücktrittsgesuch zu präsentieren - was für eine jämmerliche Antwort: Er wusste nichts anderes zu sagen, als er habe dieses Rücktrittsgesuch in den Papierkorb geworfen. So dürfte kein Disziplinarvorgesetzter bis runter zu einem Kompaniechef in einem Rechtsstaat mit seiner Verantwortung umgehen.
Pokatzky: Wieso haben Sie sich eigentlich diesen ehrenvollen Abschied, den großen Zapfenstreich dann zu Ende Ihrer militärischen Karriere, Seite an Seite mit Manfred Wörner noch zugemutet?
Kießling: Das ist keine Zumutung, es war für mich sogar wichtig, dass der Minister nicht durch einen anderen vertreten wird. Er hatte die Verantwortung, es war auch, wenn Sie es staatspolitisch nehmen, für die Bundeswehr wichtig, dass der Minister es selbst tat und damit ist er wenigstens in gewisser Weise seiner Verantwortung gerecht geworden.
Pokatzky: Welche Beziehung haben Sie denn zur Bundeswehr in den letzten 25 Jahren überhaupt noch gehabt?
Kießling: Eine ausgezeichnete und ich muss sagen, nach einem gewissen Abstand kann ich noch sagen, für mich eine große Genugtuung, als alle diejenigen, die ich wirklich kannte, zu mir gehalten haben und ich selber habe, das habe ich auch rückwirkend jetzt erst gesehen, aus meiner Sicht die richtige Entscheidung getroffen, indem ich mich nicht grollend zurückgezogen habe, sondern all diesen Vereinigungen, denen ich angehörte oder Treffen nicht ferngeblieben bin und vor allen Dingen habe ich immer dort wirkliche Genugtuung erfahren in den Bereichen, wo ich selbst einmal als Kommandeur oder Vorgesetzter tätig war. Das galt vor allen Dingen für mein Bataillon, dessen Kommandeur ich war, aber auch der Brigade der Division, wo immer. Und es ist falsch, wenn heute so konstruiert wird und sagt, meine Kameraden seien Opportunisten gewesen, die sich nur auf die Seite eines fehlentscheidenden Ministers geschlagen hätten, das war mit Sicherheit nicht so.
Pokatzky: Sind Sie nach 25 Jahren mit der Bundeswehr im Reinen? Ist es heute wieder Ihre Bundeswehr?
Kießling: Ja, ganz im Reinen, ja, ja.
Pokatzky: Am 5. Januar 1984 explodierte die Bombe, wie Sie in Ihren Lebenserinnerungen "Versäumter Widerspruch" schreiben. Als 1984 die "Süddeutsche Zeitung" als Erste schrieb, "Wörner entlässt General Kießling" und damit alles ins Rollen kam. Was, Herr Kießling, werden Sie am 5. Januar 2009, ein Vierteljahrhundert danach, tun? Wie werden Sie gedenken?
Kießling: Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nicht, ob dann noch am Leben sein werde.
Pokatzky: Das hoffen wir aber sehr.
Kießling: Aber ich kann nur sagen, je weiter die Zeit ins Land gegangen ist, umso mehr muss ich sagen, fahre ich volle Genugtuung und Bestätigung von Kameradschaft und Harmonie, was nichts daran ändert und dies bleibt ein Vorwurf, den ich gegenüber der Bundeswehrführung erhebe, dass die dieses Problem verdrängt hat aus dem großen Bereich der inneren Führung, in der scheint der Name Kießling oder der Vorfall getilgt zu sein.
Pokatzky: Herr Kießling, belastet es Sie eigentlich noch, dass wenn jemand Ihren Namen hört, dass er dann sofort an einen Skandal denkt, der eigentlich doch die Namen von ganz anderen tragen müsste?
Kießling: Es ist nun mal, dass sehr viele oder haben es viele von vornherein gesehen, dies zu einem Fall Kießling gemacht hat. Der "Spiegel" hat es, muss ich wieder sagen, sehr schön gleich als einen "Fall Wörner" und der "Spiegel" hat es sogar dann, wenn ich mich recht erinnere, zu einem "Fall Kohl" gemacht, was es auch mit Recht war. Denn der Bundeskanzler hat ja dieses Rücktrittsgesuch Wörners abgelehnt und gesagt, er übernimmt die Verantwortung, und es wäre eigentlich interessant, was der Bundeskanzler, der damalige Bundeskanzler unter Verantwortung versteht.
Pokatzky: Für die Öffentlichkeit war das Ganze sehr schnell ein politischer Skandal. Aber ganz ehrlich, für die Öffentlichkeit hatte das Ganze auch einen hohen Unterhaltungswert. Die zwielichtigen Zeugen, die der Verteidigungsminister einfliegen ließ und persönlich anhörte zum Beispiel, das hatte auch den Charakter einer Schmierenkomödie und wir Nichtbeteiligten konnten darüber lachen. Haben Sie auch einmal lachen können über irgendeinen Aspekt der ganzen Geschichte oder wenigstens in den 25 Jahren danach?
Kießling: Damals, kann ich mich nicht erinnern, dass ich damals gelacht hätte. Mir war nicht zu lachen zumute. Allein aus dem Grunde, weil ich immer erlebte, dass in der Verzweiflung, doch irgendwie das Fehlverhalten zu rechtfertigen, man immer nach irgendwelchen neuen oder irgendwelchen x-beliebigen Gründen suchte. Die reichten dann bis hin, dass sie meine Reisekostenabrechnungen der letzten acht Jahre überprüft hatten. Es hatte einen interessanten Aspekt, ich bekam noch einiges nachbezahlt.
Pokatzky: Also doch etwas zu lachen. Herr Kießling, vielen Dank! Das war General a.D. Günter Kießling über seine Erinnerungen an einen der größten politischen Skandale der Bundesrepublik.
Danach werden wir Günter Kießling selbst befragen, aber erst führt uns Burkhard Schmidtke noch einmal 25 Jahre zurück und schildert ein Stück, das zwischen Schmierenkomödie und Trauerspiel angesiedelt ist:
Die "Affäre Kießling" - Vor 25 Jahren wurde Bundeswehrgeneral Kießling fälschlich verdächtigt
Klaus Pokatzky: Burkhard Schmidtke erinnerte an den Skandal um General Günter Kießling, den ich nun herzlich im Studio willkommen heiße. Herr Kießling, wenn Sie diese Stimmen jetzt wieder hören, was geht da in Ihrem Kopf, was geht in Ihrem Herzen vor?
Günter Kießling: Als ich zu meiner totalen Überraschung mit diesen Vorwürfen konfrontiert wurde, habe ich natürlich nicht im Entferntesten ahnen können, welche Dimensionen dieser Skandal einmal annehmen würde. Bei dieser ersten Konfrontation war ich so sicher, dass es sich nur um ein Missverständnis handeln könnte und dass dies in ganz kurzer Zeit eine Klärung zu meinen Gunsten annehmen würde, zumal ich meinen Vorgesetzten, den Minister, seit Jahren gut kannte und zu ihm, darf ich sagen, auch eigentlich ein persönliches, mitunter geradezu herzliches Verhältnis hatte.
Pokatzky: Wieso hat es dann noch Monate gedauert vom September 1983 bis zum Januar 1984, bis dieser Skandal an die Öffentlichkeit kam und dann ja sehr schnell auch zu einer Mediensensation wurde?
Kießling: Einfach daher, dass dieser Minister offensichtlich es nicht fertig gebracht hat, eine Klärung herbeizuführen. Und wie sich dann später im Januar 1984 herausstellte, wohl, aus was für Gründen auch immer, sich hat dazu verleiten lassen, mir irgendetwas nachzuweisen.
Pokatzky: Es gibt ja mehrere Ebenen bei diesem Skandal. Da ist einmal das Schwulenthema und die Art, wie mit einem verdienten General umgegangen wurde.
Kießling: Wobei es gar nicht mit einem verdienten General, sondern mit einem Soldaten. Jeder hat das Recht, das ist ja unsere Vorstellung von innerer Führung. Aus der heutigen Sicht nach 25 Jahren, was bei mir gewesen ist, kann ich nur sagen, war dies ein schwerer Verstoß gegen die so viel gepriesenen Grundsätze der inneren Führung.
Pokatzky: Innere Führung bedeutet die Grundphilosophie der Bundeswehr, sozusagen die Existenzphilosophie, zu der gehört das Bild des Staatsbürgers in Uniform, eines mündigen Staatsbürgers, mit dem menschenwürdig umgegangen wird?
Kießling: Man könnte sagen, dass diese Grundsätze der inneren Führung, die wir ja immer wieder zu Recht preisen, dass die im Prinzip nichts anderes sind als eine weite Interpretation des Artikels eins des Grundgesetzes, nämlich des Schutz der Menschenwürde.
Pokatzky: Die Würde des Menschen ist unantastbar, sie zu achten und schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Kießling: Dagegen ist in diesem Fall unentwegt verstoßen worden.
Pokatzky: Aber in einer Art und Weise, die wenn ein Krimiautor sie so beschrieben hätte, dass ein Minister die zwielichtigsten Zeugen gegen Sie einfliegen lässt und sie persönlich vernimmt, ein Krimiautor, der das geschrieben hätte, dem hätte man das Manuskript nicht abgenommen. Hat dieser Minister, der seinen "Zeugen" mehr geglaubt hat als Ihnen, Herr Kießling, hat dieser Minister sich jemals bei Ihnen entschuldigt? Hat Manfred Wörner das getan?
Kießling: Er hat sich nicht entschuldigt, er hat es bedauert und hat zu Recht bedauert am Ende, dass er hier diesen Verführungen aufgesessen ist, so gegen vorzugehen. Aber deshalb ist es ja ein Skandal geworden, und das ist nun einmal in einer parlamentarischen Demokratie so, dass die Opposition zu Recht diesen Fall aufgegriffen hat und die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses herbeigeführt hat.
Pokatzky: Das war die parlamentarische Aufarbeitung. Dann sind Sie aber doch im Grunde von den Medien gerettet und rehabilitiert worden, die dann wirklich ermittelt haben, was der militärische Abschirmdienst eben nicht getan hat, oder?
Kießling: Ja, was man aber doch etwas differenziert sehen muss. Ich meine, erst war das natürlich nicht für alle, aber für die meisten Medien eine willkommene Schlagzeile, die auch ganz im Sinne der Vorwürfe interpretiert wurde. Aber es gab eben andere, die von vorne dieser Deutung misstrauten. Und ich muss einfach hervorheben, kaum eine andere Zeitung hat von vornherein sich so tief in diesem Fall engagiert wie der "Spiegel", der ja, wenn ich mich recht erinnere, dreimal die Titelseite diesem Fall gewidmet hat und Rudolf Augstein selbst in mehreren Leitartikeln dieser Frage nachgegangen ist.
Pokatzky: Sie haben vor 15 Jahren, also zehn Jahre nach dem Skandal, ihre Lebenserinnerung geschrieben unter dem Titel "Versäumter Widerspruch". Da beschreiben Sie nach Ihrer Geburt 1925, ein Soldatenleben von der Pike auf, als Unteroffizier in Dresden, an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg, Ihr Studium als einer der ersten Studenten an der freien Universität Berlin nach dem Kriege, dass Sie mit dem Dr. rel. pol. abgeschlossen haben. Dann Ihre Karriere bei der Bundeswehr bis ganz nach oben, nämlich als stellvertretender NATO-Oberkommandierender und ganz am Ende Ihres Buches kommt ein kleines Kapitel über den Skandal, der das Ganze ja noch relativ dezent beschreibt. Hat da doch der letztlich immer noch loyale Soldat geschrieben?
Kießling: Ich habe niemals mich irgendwie entfernt von der Loyalität zu diesem Staat und der Loyalität zu dieser Bundeswehr und habe versucht, sie auch in dieser Form zu wahren.
Pokatzky: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum so viele ja durchaus auch intelligente Leute in Zivil, als Politiker oder eben in Uniform als Militärs so versagt haben, so versagen konnten? Wörner war immerhin Jurist.
Kießling: Sicher. Und er hat sich auch immer darauf berufen und er kommt ja in einem nicht umhin, dass er, was er als Disziplinarvorgesetzter, der er war, der höchste, und was wir von jedem verlangen, bis unten zu einem Kompaniechef, dass er nach bestem Wissen und Gewissen die beiden Standpunkte, die Vor- und Nachteile, das Für und Wider abzuwägen hat. Und das hat er offensichtlich nicht getan und er hat sich verleiten lassen, wer weiß aus welchem Grunde, nur danach zu suchen, was den Betreffenden, der ich hier war, belastete. Und zum Schluss ist er kläglich daran gescheitert.
Pokatzky: Ich spreche mit General a.D. Günter Kießling. Heute wäre ein schwuler General kein Sicherheitsrisiko mehr. Seit acht Jahren gibt es bei der Bundeswehr rechtliche Vorschriften, die die Diskriminierung von homosexuellen Soldaten nicht nur verbieten, sondern die auch disziplinarische Maßnahmen gegen Leute androhen, die Schwule mobben. Die wichtigsten Verantwortlichen für diesen Skandal haben danach stramme Karriere gemacht. Der Generalinspektor Wolfgang Altenburg wurde Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, Verteidigungsminister Wörner, der seine Entlassung angeboten hatte, wurde nicht vom Bundeskanzler Helmut Kohl entlassen, sondern stieg später sogar zum NATO-Generalsekretär auf. Herr Kießling, das muss Sie doch ganz schön aufgeregt haben?
Kießling: Ich muss sagen, mich hat es nur verwundert, weil wir immer von Verantwortung reden und an diesem Fall ist nun einmal klar geworden, dass wir uns offensichtlich nicht darüber im Klaren sind, dass Verantwortung mehr bedeutet als nur ein Lippenbekenntnis abzulehnen. Ich muss aber in diesem Zeitpunkt bei allen Vorwürfen, die ich gegen den damaligen Generalinspekteur erhoben habe, er sich vor fünf Jahren, anlässlich des 20. Jahrestages in einem Gespräch bei mir entschuldigt hat für sein Verhalten. Ich habe diese Entschuldigung angenommen, habe aber damals gesagt, was ich auch heute wiederhole, dies ändert natürlich nichts an den Vorgängen, wie sie 1984 waren.
Aber der wirklich Hauptverantwortliche ist nun einmal der jeweils im Amt befindliche Minister und die Frage ist offensichtlich bis heute immer noch nicht richtig beantwortet, nicht nur nach meinen Vorstellungen. Ein Minister, dem im Amt eine solche Fehlentscheidung wiederläuft, der kann seiner Verantwortung eigentlich nur gerecht werden, indem er zurücktritt. Und jetzt kommt eigentlich ein ganz entscheidender Punkt. Damals im parlamentarischen Untersuchungsausschuss wurde der Bundeskanzler aufgefordert, dieses Rücktrittsgesuch zu präsentieren - was für eine jämmerliche Antwort: Er wusste nichts anderes zu sagen, als er habe dieses Rücktrittsgesuch in den Papierkorb geworfen. So dürfte kein Disziplinarvorgesetzter bis runter zu einem Kompaniechef in einem Rechtsstaat mit seiner Verantwortung umgehen.
Pokatzky: Wieso haben Sie sich eigentlich diesen ehrenvollen Abschied, den großen Zapfenstreich dann zu Ende Ihrer militärischen Karriere, Seite an Seite mit Manfred Wörner noch zugemutet?
Kießling: Das ist keine Zumutung, es war für mich sogar wichtig, dass der Minister nicht durch einen anderen vertreten wird. Er hatte die Verantwortung, es war auch, wenn Sie es staatspolitisch nehmen, für die Bundeswehr wichtig, dass der Minister es selbst tat und damit ist er wenigstens in gewisser Weise seiner Verantwortung gerecht geworden.
Pokatzky: Welche Beziehung haben Sie denn zur Bundeswehr in den letzten 25 Jahren überhaupt noch gehabt?
Kießling: Eine ausgezeichnete und ich muss sagen, nach einem gewissen Abstand kann ich noch sagen, für mich eine große Genugtuung, als alle diejenigen, die ich wirklich kannte, zu mir gehalten haben und ich selber habe, das habe ich auch rückwirkend jetzt erst gesehen, aus meiner Sicht die richtige Entscheidung getroffen, indem ich mich nicht grollend zurückgezogen habe, sondern all diesen Vereinigungen, denen ich angehörte oder Treffen nicht ferngeblieben bin und vor allen Dingen habe ich immer dort wirkliche Genugtuung erfahren in den Bereichen, wo ich selbst einmal als Kommandeur oder Vorgesetzter tätig war. Das galt vor allen Dingen für mein Bataillon, dessen Kommandeur ich war, aber auch der Brigade der Division, wo immer. Und es ist falsch, wenn heute so konstruiert wird und sagt, meine Kameraden seien Opportunisten gewesen, die sich nur auf die Seite eines fehlentscheidenden Ministers geschlagen hätten, das war mit Sicherheit nicht so.
Pokatzky: Sind Sie nach 25 Jahren mit der Bundeswehr im Reinen? Ist es heute wieder Ihre Bundeswehr?
Kießling: Ja, ganz im Reinen, ja, ja.
Pokatzky: Am 5. Januar 1984 explodierte die Bombe, wie Sie in Ihren Lebenserinnerungen "Versäumter Widerspruch" schreiben. Als 1984 die "Süddeutsche Zeitung" als Erste schrieb, "Wörner entlässt General Kießling" und damit alles ins Rollen kam. Was, Herr Kießling, werden Sie am 5. Januar 2009, ein Vierteljahrhundert danach, tun? Wie werden Sie gedenken?
Kießling: Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nicht, ob dann noch am Leben sein werde.
Pokatzky: Das hoffen wir aber sehr.
Kießling: Aber ich kann nur sagen, je weiter die Zeit ins Land gegangen ist, umso mehr muss ich sagen, fahre ich volle Genugtuung und Bestätigung von Kameradschaft und Harmonie, was nichts daran ändert und dies bleibt ein Vorwurf, den ich gegenüber der Bundeswehrführung erhebe, dass die dieses Problem verdrängt hat aus dem großen Bereich der inneren Führung, in der scheint der Name Kießling oder der Vorfall getilgt zu sein.
Pokatzky: Herr Kießling, belastet es Sie eigentlich noch, dass wenn jemand Ihren Namen hört, dass er dann sofort an einen Skandal denkt, der eigentlich doch die Namen von ganz anderen tragen müsste?
Kießling: Es ist nun mal, dass sehr viele oder haben es viele von vornherein gesehen, dies zu einem Fall Kießling gemacht hat. Der "Spiegel" hat es, muss ich wieder sagen, sehr schön gleich als einen "Fall Wörner" und der "Spiegel" hat es sogar dann, wenn ich mich recht erinnere, zu einem "Fall Kohl" gemacht, was es auch mit Recht war. Denn der Bundeskanzler hat ja dieses Rücktrittsgesuch Wörners abgelehnt und gesagt, er übernimmt die Verantwortung, und es wäre eigentlich interessant, was der Bundeskanzler, der damalige Bundeskanzler unter Verantwortung versteht.
Pokatzky: Für die Öffentlichkeit war das Ganze sehr schnell ein politischer Skandal. Aber ganz ehrlich, für die Öffentlichkeit hatte das Ganze auch einen hohen Unterhaltungswert. Die zwielichtigen Zeugen, die der Verteidigungsminister einfliegen ließ und persönlich anhörte zum Beispiel, das hatte auch den Charakter einer Schmierenkomödie und wir Nichtbeteiligten konnten darüber lachen. Haben Sie auch einmal lachen können über irgendeinen Aspekt der ganzen Geschichte oder wenigstens in den 25 Jahren danach?
Kießling: Damals, kann ich mich nicht erinnern, dass ich damals gelacht hätte. Mir war nicht zu lachen zumute. Allein aus dem Grunde, weil ich immer erlebte, dass in der Verzweiflung, doch irgendwie das Fehlverhalten zu rechtfertigen, man immer nach irgendwelchen neuen oder irgendwelchen x-beliebigen Gründen suchte. Die reichten dann bis hin, dass sie meine Reisekostenabrechnungen der letzten acht Jahre überprüft hatten. Es hatte einen interessanten Aspekt, ich bekam noch einiges nachbezahlt.
Pokatzky: Also doch etwas zu lachen. Herr Kießling, vielen Dank! Das war General a.D. Günter Kießling über seine Erinnerungen an einen der größten politischen Skandale der Bundesrepublik.