"Dabei sein ist nicht alles"
Er war Europameister, Weltmeister und Welthandballer des Jahres. Der ehemalige Handball-Torwart Henning Fritz weiß aber auch um die andere Seite der Medaille. Neben dem Ehrgeiz kennt er inzwischen den Wert der Gelassenheit.
Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro werden wieder die Sieger gefeiert: Das Publikum feiert die Medaillen-Gewinner, Super-Athleten wie Usain Bolt absorbieren die öffentliche Aufmerksamkeit. Doch was kommt danach? Am Ende der Karriere droht das schwarze Loch – und auch mittendrin können selbst echte Leistungsträger persönliche Katastrophen erleben.
Einer, der sein Scheitern öffentlich machte, ist Hennig Fritz. Er war einer der ganz Großen im Handball: Europameister, Weltmeister, Welthandballer des Jahres, immer bei Top-Clubs aktiv, immer an der Spitze. Bis nichts mehr ging, ihn die Erschöpfung in die Knie zwang.
Es habe einfach zu wenig Pausen im Trainings- und Wettkampfbetrieb gegeben, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Letztlich brachte ihn eine Musiktherapie wieder in die Spur, berichtet er: Sie half ihm, wieder besser zu schlafen, dadurch zu regenerieren und zu alter Leistung zurückzufinden.
Fritz ist beruflich umtriebig. Er ist inzwischen Trainer und Fernseh-Kommentator. Bestleistungen erwartet er immer noch von sich. Doch neben dem Ehrgeiz kennt er inzwischen auch den Wert der Gelassenheit.
Medien und Gesellschaft sind zu sehr fixiert auf Gewinner, findet er: "Es kann nicht jeder gewinnen." Dabei sein ist alles? "Dabei sein ist nicht alles", sagt Fritz bestimmt: "Natürlich muss derjenige, der Erfolg hat, mehr geehrt werden." Es sei aber wichtig, den weniger Erfolgreichen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: In Rio geht es ja um Leistung, um Gold, Silber, Bronze. Es sind die Medaillenmomente, die wir alle so gerne sehen, einen strahlenden Turner, Hambüchen zum Beispiel, der sein Glück überhaupt nicht fassen kann, da steht er mit seiner Goldmedaille um den Hals und am Ende seiner Karriere erzählt er uns ein Märchen, frei nach dem Motto: Du musst alles geben, dann wirst du auch alles bekommen, du wirst belohnt!
Das mag bei ihm stimmen, aber bei vielen anderen eben auch nicht. Und wie ist das eigentlich, wenn man verliert? Und vor allem – die Frage wird sich Hambüchen jetzt ja wohl auch stellen: Was kommt nach der Spitzensportlerkarriere, dann, wenn das Scheinwerferlicht ausgeht?
Viel Erfahrung damit hat Henning Fritz, ehemaliger Handballtorwart, früher beim THW Kiel, Europameister 2004, Olympia-Silber 2004, Weltmeister 2007, jetzt Trainer, und er kommentiert bei Sky – und jetzt ist er bei uns, schönen guten Morgen!
Henning Fritz: Schönen guten Morgen!
Brink: Sie haben in Ihrer Laufbahn ja viele Höhen, aber auch Tiefen erlebt. Wie hat Sie das geprägt, auch für das Leben nach dem Sport, Leistungssport?
Auf Leistung und Erfolg gedrillt
Fritz: Ja, also, beim Leistungssport bist du natürlich gedrillt auf den Erfolg, ist ganz klar. Man wächst da so rein. Und am langen Ende zählt wirklich nur noch der Erfolg. Aber ich sage mal, ich habe auch die Erfahrung gemacht, oder gerade durch Misserfolg und Niederlagen habe ich das schätzen gelernt, was es bedeutet, dahinzukommen, einen Titel zu gewinnen.
Und deswegen kann ich eigentlich sagen, dass am Ende der Karriere ich viel gelernt habe durch diese Niederlagen. Man nimmt es als selbstverständlich hin, Spiele zu gewinnen und immer diesen Erfolg zu haben, aber es ist keine Selbstverständlichkeit. Und das habe ich eigentlich erst nach meiner Karriere verstanden, dass dieser Weg dahin dort immer relativ schwierig ist.
Brink: Sie hatten ja selbst während Ihrer beruflichen Laufbahn Symptome eines Burn-out-Syndroms, das haben Sie selber öffentlich gemacht, 2006 war das. Dann 2007 sind Sie noch mal Weltmeister geworden. Wie erklären Sie sich heute, dass es dazu gekommen ist?
Fritz: Ja, ich glaube, es waren einfach zu wenig Pausen. Ich bin halt im Trainings- und Wettkampfbetrieb gewesen, der ist vorgegeben. Man hat Verträge, die eingehalten werden müssen, und solche Symptome kommen natürlich auch schleichend. Das … ist man ein bisschen müde und ein bisschen matt, aber wer ist das am langen Ende nicht?
Darüber geht man hinweg, trainiert noch ein bisschen mehr und versucht, das Ganze durch intensiveres Training zu kompensieren. Aber irgendwann geht das nicht mehr. Und als ich dann gemerkt habe, dass sich gewisse Bewegungen nicht mehr ausführen lassen, gerade im Tor, wo es natürlich auch Reaktionsschnelligkeit … auch das ließ sich nicht mehr so praktizieren. Ja, ließ die Leistung nach und das hat sich natürlich dann auch so gezeigt, dass der Verein entsprechend dann nicht mehr, ja, wie gesagt, mit meinen Leistungen zufrieden war und, ja, mich dann mehr oder weniger auch abgeben wollte.
Brink: Wie sind Sie da rausgekommen in dem Moment, wo Sie es gespürt haben, wo Sie gemerkt haben, ich bin jetzt an meine Grenzen gestoßen?
Alternative Medizin gegen den Burn-Out
Fritz: Ich habe alles versucht. Also, ich habe das mit alternativer Medizin versucht, ich habe alles Mögliche genutzt, was mir zur Verfügung gestellt wurde. Am langen Ende hat mir eine Musiktherapie geholfen, die es wieder geschafft hat, dass ich schneller regenerieren konnte, dass ich besser schlafen konnte und der Schlaf wieder zu der Regeneration, Kraft geführt hat, um wieder 100-prozentige Leistung zu bringen.
Brink: Also ein ganz individueller Weg. Ich fand ganz interessant, was der frühere Turner Lucas Fischer mal gesagt hat über das Ende seiner Karriere, er habe sich gefühlt wie ein Außerirdischer, der sich im Alltag verloren hat. Können Sie diese Beschreibung nachvollziehen?
Fritz: Ja, das … Wenn man immer in diesem Sport so drin ist, kann es natürlich dazu kommen, dass der Alltag für einen etwas ungewohnt ist, wenn man dann auf einmal sich in einem neuen Bereich bewegt, den man vorher nicht so kennengelernt hat. Bei mir war es ähnlich, ich habe auch von klein auf Sport getrieben, hatte den glücklichen Umstand, dass ich dann auch frühzeitig Leistungssport beziehungsweise auch Profihandball betreiben konnte. Und wenn dann die Karriere vorbei ist und man nicht einen direkten Übergang bekommt in einem Verein oder in einem anderen Beruf, den man gelernt hat, kann das relativ schwierig sein.
Brink: Haben Sie diesen Druck dann auch in Ihrer Karriere nach dem Leistungssport gespürt, also dieses Gedrilltsein auf Leistungen, dass man da aus dieser Spirale gar nicht rauskommt?
Fritz: Na ja, ich erwarte natürlich auch bei mir nach dem Handball in den Tätigkeiten, die ich mache, Bestleistung. Ich glaube, das ist einfach so eine innere Einstellung und Erwartungshaltung an sich selbst. Und der immer gerecht zu werden, ist nicht ganz einfach. Aber das war natürlich auch der Motor und auch der Anspruch, solche Leistungen im Sportlichen zu bringen, und die habe ich natürlich jetzt auch an mich in den Dingen, die nach dem Handball kommen.
Brink: Finden Sie das richtig so, frage ich jetzt einfach mal?
Fritz: Ich sage mal so, diese Motivation zu haben, das ist mit Sicherheit nicht verkehrt. Ich glaube, am langen Ende ist es genauso wie im Sport auch, es gehört immer beides dazu, Motivation, aber auch eine gewisse Form der Gelassenheit. Weil, nur wenn man beides hat, kann man auch 100 Prozent Leistung bringen, weil, sonst verkrampft man. Ich glaube, es ist die Mischung aus beiden Dingen.
Brink: Ist denn dieses Fixiertsein – und das sage ich jetzt einfach mal, gerade weil wir die Olympischen Spiele haben – dieses Fixiertsein auf, ja, Erfolg, Getrimmtsein, sind wir da zu sehr fixiert auf Gewinner?
Immer gewinnen - das ist nicht das Leben
Fritz: Ja, mit Sicherheit. Also, weil, das ist ja nicht das Leben. Es kann nicht jeder gewinnen und ich glaube, dass das auch ein Zustand ist, der lähmt. Das kann nicht jeder schaffen. Deswegen glaube ich, eine Gesellschaft bildet eine gesamte Breite ab. Und es kann nicht jeder gewinnen.
Ich glaube, man sollte jedem versuchen, die Möglichkeiten zu geben, an 100 Prozent seiner Leistung heranzureichen, das sollte der Punkt sein. Aber man sollte auch vor allen Dingen in den Medien, weil die Medien ja doch sehr wichtig sind, um Information zu transportieren, nicht ausschließlich danach streben, dem Ersten im Endeffekt seine Aufmerksamkeit zu schenken, sondern, glaube ich, der breiten Masse. Das halte ich doch für sehr wichtig.
Brink: Also dann doch das Motto: Dabei sein ist alles?
Fritz: Nein, dabei sein ist alles nicht. Also, natürlich muss derjenige, der dann auch den Erfolg hat, mehr geehrt werden. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, der breiten Masse mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Der, der erfolgreich ist, bekommt natürlich mehr, das ist ganz klar, das muss der Anspruch sein. Aber überhaupt erst mal, um etwas ins Rampenlicht zu kommen, wäre es schon auch gut, einer breiteren Masse den Zugang zu den Medien zu geben.
Brink: Der ehemalige Handballtorwart und Olympia-Silbermedaillengewinner, jetzige Trainer Henning Fritz, schönen Dank, Herr Fritz!
Fritz: Ich danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.