Ehrenrettung eines armen Mädchens

12.05.2008
Nelly Kröger hieß ein einfaches, lebenslustiges Mädel vom Lande. Sie wurde die Frau des Schriftstellers Heinrich Mann, was fatal für sie war, denn als "schreckliche Trulle" und "versoffenes Stück" ging sie in die Literaturgeschichte ein. Die Kölner Publizistin Kirsten Jüngling greift im Titel ihrer Biografie den Verzweiflungsschrei der Überforderten auf: "Ich bin doch nicht nur schlecht".
Im Fernseh-Film "Die Manns" hat Veronica Ferres sie eindrucksvoll verkörpert, als aufreizende Blondine, üppig, vulgär, stets nah an der Hysterie und doch eine Seele von Mensch, die 'ihren‘ Heinrich liebte und bitter litt, weil dessen Familie um Schwager Thomas nur Verachtung für sie fand. Nelly Mann, geborene Kröger, ein uneheliches Kind aus einfachsten Verhältnissen, aufgewachsen im oldenburgischen Land, lernte Heinrich Mann 1929 kennen, da war sie 32 Jahre alt, verdiente ihr Brot im flotten Berlin als Animierdame, die Bars rund um den Kurfürstendamm waren ihr Milieu.

Dort zog es den damals hochberühmten Schriftsteller magisch hin, und Nelly war genau sein Typ: Großer Busen, toller Hintern, freche Schnauze und zechen konnte sie wie ein Kerl. Nelly wiederum imponierten Ruhm und Geistesgröße ihres Verehrers, sein melancholisches Wesen, die sinnliche Ader und die Zärtlichkeit, die er ihr gegenüber empfand. Sie wurden ein Paar und als solches den anderen Manns bald ein Gräuel.

Ins feinsinnig-dezente Familiengehege um Thomas Mann brach Nelly wie der sprichwörtliche Elefant in den Porzellanladen. Des Nobelpreisträgers Tagebuch verzeichnet denn auch die berühmten bösen Worte, die Nelly Mann als "schreckliche Trulle", als "arge Hur", als alkoholsüchtige Megäre für die Nachwelt kennzeichnen und bloßstellen.

Das erzwungene Exil nach 1933 hat Heinrich und Nelly unselig mit dem Geschick des Schwagers Thomas verknüpft; man konnte sich schlecht aus dem Weg gehen, in Frankreich, in den USA, zumal Heinrich bald finanziell am Ende und schließlich fast völlig abhängig vom jüngeren Bruder wurde.

Damit kam Nelly überhaupt nicht klar, immer mehr verfiel sie dem Suff und anderen Drogen, fuhr Autos im Rausch zu Schrott, Entziehungskuren halfen nichts, ihr Selbstmord 1944 - war es einer, oder nur zuviel Tabletten aus Versehen? - setzte einer schmerzlichen Lebensgeschichte das abrupte Ende.

Die Kölner Publizistin Kirsten Jüngling hat sich als kompetente Biografin berühmter literarischer Damen von Schillers Frauen, über Frieda von Richthofen bis zu Katia Mann einen Namen gemacht. Jetzt verhilft sie der geschundenen Nelly Mann zur einer späten Ehrenrettung. Kirsten Jüngling sortiert die kargen Fakten der Lebensgeschichte und hat etliche neue aufgetrieben, in Archiven und entlegenen Zeitzeugnissen. Sie zeichnet das unsentimentale Bild einer einfachen, überforderten Frau, die der Zufall in Verhältnisse bringt, wo sie im Grunde nichts zu suchen und zu finden hatte.

Wie gut und gern hat sie gekocht für ihren Ehemann, zumindest dieses Talent wird auch vom genervten Bruder bisweilen honoriert! Und ohne Nellys resolute Liebe wäre Heinrich Mann um vieles ärmer gewesen, er hat ihren Tod kaum verkraftet, wohingegen die Schwägerin Katia unverhohlene Erleichterung äußerte.

Kirsten Jüngling hat ein bewegendes Buch geschrieben, wiewohl man sich zwischendurch doch fragt: Wäre dieses Leben vielleicht nicht besser ausgegangen, hätte Nelly einen anderen, weniger prominenten Mann getroffen und geliebt? Niemand wüsste heute von ihr, aber sie wäre von dieser öffentlichen Rolle verschont geblieben, die ihr die Familie Mann zuwies und der sie nicht gewachsen war.

Rezensensiert von Joachim Scholl

Kirsten Jüngling, "Ich bin doch nicht nur schlecht".
Nelly Mann – Die Biographie.

Propyläen-Verlag, Berlin 2008
240 Seiten, 22,90 Euro